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Raul Midon live beim Montreux Jazz-Festival in der Schweiz

© dpa

Interview mit Raul Midon: "Ich wäre gern hier gewesen, als Berlin noch geteilt war"

Der Neo-Soul- und Jazzmusiker Raul Midón spricht mit dem Tagesspiegel über Castingshows, dass Blindheit keine Hilfe ist, ein guter Musiker zu werden und die besondere Energie Berlins.

Herr Midón, aufgrund eines ärztlichen Fehlers sind Sie kurz nach Geburt erblindet. Man liest häufig, dass diese Behinderung Grund für Ihr außergewöhnliches Talent sei. Ist es für die Musik tatsächlich ein Vorteil nicht sehen zu können?

Ich denke nicht. Es gibt eine verbreitete Annahme, dass einen das zu einem besseren Musiker macht. Einige denken, es macht einen einfühlsamer für die Musik, ich denke nicht so. Man kann nicht kellnern, oder sonst einem Job nachgehen um das Musikmachen zu finanzieren. Als blinder Musiker ist man deshalb gezwungen, wirklich gut zu sein, oder es mit voller Hingabe zu machen, weil man keine anderen Möglichkeiten und somit eher weniger Optionen hat.

Du kannst kein Gastmusiker sein, weil du nicht vom Blatt spielen kannst. Was das angeht, bist du nicht konkurrenzfähig. Das zwingt dich, dein eigenes Ding zu machen. So war das auf jeden Fall bei mir. Und deshalb war für mich klar, dass ich meine eigenen Gigs spielen muss, dass ich die treibende Kraft sein muss. In diesem Sinne hilft Blindheit vielleicht, aber sonst nicht. Als blinder Mensch muss man im Leben generell härter arbeiten. Einfach zur Schule zu gehen oder die alltäglichen Dinge zu erledigen, dauert viel länger und braucht mehr Kraft.

Haben ihre Eltern ihre musikalische Laufbahn gefördert?

Absolut. Mein Vater bemerkte sehr früh, dass ich Talent habe. Mit sechs Jahren bekam ich Gitarrenunterricht. Das hat sicherlich geholfen. Ich war schon immer sehr zielstrebig. Selbst in diesem Alter wusste ich, wenn es gut werden soll, muss ich daran arbeiten. Ich war sehr diszipliniert.

Gibt es ein Idol aus Ihrer Kindheit, das Sie musikalisch beeinflusst hat?

Ich denke, ich mochte einfach Musik. Ich hatte nicht wirklich ein Idol. Als ich so vier oder fünf Jahre alt war, hörte ich viel argentinische Volksmusik, aber auch José Feliciano und Santana.

Im Podcast: Zusammenschnitte des Originalinterviews + Bonusmaterial

Wie würden Sie jemandem, der noch nie ein Lied von Ihnen gehört hat, Ihren Musikstil beschreiben?

Es ist eine Art Popmusik mit Soul-, Jazz- und Heavy-Latin-Elementen. Auch wenn Popmusik heutzutage nichts mit dem zu tun hat, was ich mache. Der Musik-Mainstream geht leider in eine ganz andere Richtung. Ich schreibe meine Texte selber und versuche immer etwas zu sagen. Es ist nicht wirklich zu kategorisieren, es ist nicht strikt Soul oder Jazz oder irgendetwas. Ich würde sagen, in diesen Tagen, wo alle meinen, sie kennen schon alles oder haben alles gesehen, werden sie in meiner Live-Show tatsächlich etwas zu sehen bekommen, was sie vorher noch nie gesehen haben. Ich denke, was ich ihnen zu aller erst gebe ist meine persönliche Sicht auf Musik, das, was anders ist. Das ist alles, was ich sagen kann. Wenn Sie etwas neues, etwas anderes erleben möchten, sollen sie meine Show besuchen.

Sie folgen also eher der alten Schule der Singer-Songwriter und geben viele Konzerte. Was halten Sie von Castingshows im Fernsehen?

Ich schau Sie mir nicht an (lacht). Ich denke, sie sind ein Teil des Geschäfts und sie übernehmen immer mehr das Geschäft. Doch sie produzieren lediglich musikalische Rauchschwaden. Diese Leute bekommen sehr viel Aufmerksamkeit und wenn Sie dann singen sollen, dann können sie es nicht.

Also sind Castingshows nicht der richtige Weg. Was würden Sie einem Nachwuchstalent für eine erfolgreiche Karriere dann empfehlen?

Ich weiß es nicht. Ich möchte auch niemandem einen Ratschlag geben. Es ist ein sehr schwieriges Business. Man muss sich einfach entscheiden, was für eine Art von Künstler man sein möchte.

Sollte ein Künstler nicht erst einmal authentisch sein?

Ja, das denke ich auch. Wie auch immer der Erfolg ist, solange du ehrlich zu dir selber bist, wirst du glücklich sein. Was auch immer man macht, wenn man sich selbst nicht treu ist, dann ist es egal wie erfolgreich man ist, es wird sich nicht gut anfühlen.

Video: Raul Midon live in Joe's Pub (NYC)

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"Ich versuche kein Image zu vermitteln, dem ich nicht entspreche"

Ist es heutzutage wichtiger für einen Künstler, näher an seinem Publikum zu sein? Per Twitter und Facebook mit den Fans in Kontakt zu bleiben?

Absolut.

Sollte man auch intimere Informationen teilen?

Naja, ich glaube nicht an diese Kultur, bei der jede Kleinigkeit geteilt wird. Man ist als Künstler in direktem Kontakt mit den Fans. Somit erübrigen sich meist die regelmäßigen Pressemitteilungen, da man diese nun selbst verfasst.

Video: Raul Midon beim North Sea Jazz Festival - I

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Ein erfolgreicher Musiker ist fast immer ein Vorbild für seine Fans. Ist dies ein besonderer Druck, mit dem Sie leben müssen? Auf jeden Schritt acht zu geben, was sie tun und was sie sagen?

Nicht wirklich. Die meisten meiner Fans wissen, welche Beziehung ich zur Musik habe. Ich habe noch nie solch einen Druck verspürt. Ich versuche auch kein Image zu vermitteln, dem ich nicht entspreche.

Ihre Musik hat Einflüsse verschiedener Musikrichtungen. Arif Mardin, der ehemalige Produzent von Aretha Franklin, Norah Jones und Diana Ross, hat Sie entdeckt und unter Vertrag genommen. Wie viel Einfluss nahm er auf Ihre musikalische Entwicklung?

Er war der erste erfolgreiche Produzent mit einem großen Namen in der Branche, der meine Fähigkeiten als Musiker bestätigte. Er hat mein Leben verändert. Bis dahin habe ich immer wieder gehört, dieses oder jenes müssen wir ändern. Er wollte nicht mich oder meine Musik „markttauglich“ machen, sondern bestätigte mich in meiner Musik und sagte: „Das ist super, genau das, was wir aufnehmen werden.“ Er nahm mich, wie ich bin und hat mir niemals gesagt, dass ich stets seinen Anweisungen folgen müsse, wenn ich ein Star werden möchte.

Inwieweit ist er für Ihren Sound verantwortlich?

Viele Produzenten sind für ihren speziellen Sound bekannt. Wenn man mit solchen Produzenten arbeitet, wird es sich immer nach deren Sound anhören. Arif hat dies niemals getan. Arif wollte mein Album produzieren, nicht seins. Einige Produzenten wollen der Musik ihren Stempel aufsetzen, während Arif mir dabei die Möglichkeit gab, das zu sagen, was ich sagen möchte.

Video: Raul Midón auf dem North Sea Jazz Festival - II

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Ihr erstes Konzert in Deutschland gaben Sie 2007 in Berlin. In Kürze geben Sie erneut ein Konzert im Quasimodo. Gibt es etwas, worauf Sie sich besonders freuen?

Berlin ist auf jeden Fall ein sehr spezieller Ort. Ich wünschte, ich wäre mal hier gewesen, als die Stadt noch geteilt war, als es noch den Checkpoint-Charlie gab. Es fühlt sich nach wie vor wie eine Stadt an, in der Sachen passieren oder passieren können. Mehr als in anderen Städten, in denen ich gewesen bin. Es existiert definitiv eine besondere Energie in dieser Stadt, eine ganz andere, als in anderen deutschen Städten.

Das Gespräch führte Atila Altun.

Aufgewachsen ist Raul Midón in New-Mexico (USA). Als Backround-Sänger bekannter Popgrößen wie Shakira, Julio Iglesias oder José Feliciano begann seine musikalische Karriere. 2002 startete der Singer-Songwriter dann seine Solo-Karriere und arbeitete mit den Großen aus Jazz und Soul wie Herbie Hancock, Paquito D'Rivera oder Dave Samuels. Sein 2005 erschienenes Solo-Album "State of Mind" erhielt durchweg gute Kritiken. Dies war der Startschuss für eine Karriere fernab des Mainstreams.

Am 14.3.2013 tritt der Solokünstler im Quasimodo auf.

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