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Vorbild Jimi Hendrix. Anna Calvi rockte am Wochenende im Kreuzberger Privat Club.

© Domino

Gitarrenrock: Frauen, an die Saiten!

Das Zentralinstrument der Rockmusik war lange eine Männerdomäne. Die britische Sängerin und Gitarristin Anna Calvi will das ändern.

Von Jörg Wunder

Als vor einer Woche Gary Moore starb, wurde in den Nachrufen vor allem sein Können als Gitarrist und weniger sein Wirken als Sänger oder Komponist gewürdigt. Und während einem sofort Dutzende Musiker einfallen, auf die die Berufsbezeichnung „Rockgitarrist“ zutreffen würde, sieht es mit der Frauenquote ziemlich düster aus. So verzeichnete das lückenhafte, aber repräsentative „Lexikon der Rockgitarristen“ unter gut 400 Einträgen nur sieben Frauen.

Zwar gab es von der „Duchess“, der Halbschwester Bo Diddleys, bis zu den Riot-Grrrl-Heroinen der Neunziger immer wieder auffällige Rockgitarristinnen. Doch in den seltensten Fällen waren ihre instrumentalen Fähigkeiten ihr Alleinstellungsmerkmal. Karriere haben Frauen im Popbusiness bislang meist als Sängerinnen und Songschreiberinnen gemacht. Selbst eine großartige Technikerin wie Joni Mitchell würde niemand zuerst als Gitarristin bezeichnen. Und wenn doch mal eine Frau wie die Kalifornierin Sylvia Juncosa, die 1988 in der „Spex“ als beste Gitarristin der Welt bezeichnet wurde, in den exklusiven Männerzirkel der Ausnahmekönner einbricht, kann man wetten, dass es auch nichts nutzt: Juncosas Soloalben floppten alle, sie lernte resigniert auf Computertechnikerin um.

Jetzt gilt die Britin Anna Calvi als Hofnungsträgerin: endlich wieder eine Frau, die sich traut, Gitarrensoli zu spielen. Am ersten von zwei ausverkauften Konzertabenden im Kreuzberger Privat Club wird sofort deutlich, dass Calvi eine ausgezeichnete Rock-Gitarristin ist. Sie haucht der Tradition des Twang neues Leben ein: der geisterhaft nachhallenden E-Gitarre, die man vom Rockabilly kennt oder aus Ennio Morricones Western- Soundtracks. Anna Calvi spielt im Geiste großer Minimalisten wie Duane Eddy oder Ry Cooder, grundiert ihre lasziven Songs mit flirrenden Akkordfolgen, streicht wie beim Flamenco über die Saiten, wirft hier und dort die Andeutung eines Solos hin, während ihre famosen Mitstreiter Daniel Maiden-Wood am Rumpelschlagzeug und Mally Harpaz an allem zwischen Rumba-Rassel und Harmonium die Soundlöcher stopfen.

Doch noch fehlt die Überwältigungsgeste. Die darf man erwarten von einer Künstlerin, die Gitarrenlegenden wie Django Reinhardt und Jimi Hendrix als Einfluss zitiert. Noch nimmt man sie eher als Sängerin wahr, die Gitarre spielt. Eine einschüchternde, großartige Sängerin mit dem Habitus der morbiden Frauen aus der TV-Serie „Twin Peaks“. Calvi verausgabt sich schonungslos, wenn sie sich in ihre Todesballaden stürzt oder Elvis Presleys „Surrender“ in eine schaurig- schöne Séance verwandelt. Doch ihr Spiel bleibt verhalten, beinahe nebensächlich. Noch eine Frau, die vor dem Mythos „Gitarrensolo“ zurückschreckt?

Die Ursachen für die Marginalisierung des weiblichen Geschlechts beim Zentralinstrument der Rockmusik liegen auf mehreren Ebenen: Zum einen sind Frauen strukturell benachteiligt, weil „das Geschäft an sich sexistisch ist, weil sie immer in erster Linie als Frau und dann als Musikerin wahrgenommen werden, dadurch stets Schönheitsklischees und dem Alterspostulat unterworfen sind“, wie Christiane Rösinger 2003 im Katalog zur Ausstellung „Die E-Gitarre – Kunst und Mythos“ anmerkte. Zudem scheint der Hang zur narzisstischen Zurschaustellung, der sich in der Gestik aller eitlen Gitarrenposer dieser Welt manifestiert, bei Frauen andere Formen zu finden. Ganz zu schweigen von der eindeutig männlich-sexuellen Konnotation der E-Gitarre, die als metaphorische Penisverlängerung geradezu sprichwörtliche Bedeutung gewonnen hat.

Doch immerhin, es gibt Anzeichen für Besserung. Zumindest im Independent- Bereich tauchen in jüngster Zeit vermehrt Musikerinnen auf, die sich nicht den Schneid abkaufen lassen und unbefangen die Ausdrucksmittel der E-Gitarre erkunden. Die New Yorkerin Marnie Stern etwa begeistert mit hyperkomplexen Soli, in denen Vorbilder von Eddie Van Halen bis John Lee Hooker anklingen. Die Australierin Orianthi war als Sologitarristin für Michael Jacksons Comeback-Tournee gebucht, doch auch ohne diesen Popularitätsbonus dürfte man von der 26-Jährigen mit ihren eleganten, an Carlos Santana erinnernden Soli noch einiges hören.

Anna Calvi lässt die Fans im Privat Club bis zum letzten Song schmoren. Dafür ist das Inferno, das bei „Love Won’t Be Leaving“ losbricht, umso beeindruckender: Sie zerrt mit geschlossenen Augen an den Saiten, beugt den Oberkörper nach hinten, verliert sich in Powerakkorden und gleißenden Notensalven. Eine Rarität, so selten wie die Blaue Mauritius. Aber das muss ja nicht so bleiben.

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