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Seelenverwandt: Adele aus London ...

© Mari Sarii

Die Musik der Stunde: Soul-Revival: Hymnen aus Wut und Sehnsucht

Adele, Aloe Blacc und andere feiern derzeit Erfolge mit einem Revival, das von England aus nun in den USA ankam: Warum Soul wieder einmal die Musik der Stunde ist.

Künstler, fordert ein romantisches Klischee, müssen leiden. Gebrochene Herzen, die Schmach des Verlassenwerdens, Einsamkeit und Verlust, das war schon immer der Stoff, aus dem große Popsongs gemacht wurden. Am erfolgreichsten waren die Sängerinnen und Sänger, in deren Schmerz sich die Hörer wiederfinden konnten. Der Genrebegriff, der sich für diese Musik eingebürgert hat, lautet: Soul. „Ganz einfach, es ging um die Wahrheit“, hat Berry Gordy, Gründer des legendären Labels Motown, auf die Frage nach seiner „Hit-Formel“ geantwortet. „Die Wahrheit, was die Gefühle und die Aussage eines Songs betrifft. Wir haben uns da nicht groß was einfallen lassen, sondern es so gesagt, wir wir es selbst erlebt haben.“

Die Formel funktioniert noch immer. In dieser Woche hat die britische Sängerin Adele mit ihrem Album „21“ aus dem Stand den ersten Platz der deutschen Charts erobert. Auch ihre Single „Rolling in the Deep“ thront dort. „Rolling in the Deep“ ist ein düster rumorender, mit aufgerauter, sich heiser überschlagender Stimme vorgetragener Northern Soul Stomper über eine flammende Liebe, von der nur die Asche übrig blieb. Eine Hymne aus Wut und Verzweiflung. Handclaps, das Stakkato der Pianoakkorde und das „Ooohoho-Oh“-Gesäusel der Backgroundstimmen klingen schwer nach dem Detroit des Jahres 1967. „Wenn ich zornig werde, spüre ich, wie das Blut durch meine Adern pumpt“, sagt Adele in einem Interview, und zornig werde sie, wenn man sie für minderwertig halte, weil sie gerade in keiner Beziehung lebt. „21“ handelt vom Scheitern einer Liebe und vom Stärkerwerden an diesem Scheitern. 21, so alt war die in Nord-London aufgewachsene Sängerin, als ihre zweite Platte entstand.

Seelenverwandt. Adele aus London und Aloe Blacc aus L.A. Beide haben es mit Soul weit nach oben gebracht.
Seelenverwandt. Adele aus London und Aloe Blacc aus L.A. Beide haben es mit Soul weit nach oben gebracht.

© Dan Monick

Adele Adkins, wie ihr vollständiger Name lautet, ist die derzeit erfolgreichste Vertreterin jener britischen Soul-Renaissance, die 2006 mit Amy Winehouse begann. Winehouse verkaufte weltweit mehr als zehn Millionen Exemplare von ihrem Album „Back to Black“, ihr Hit „Rehab“ handelt von der Weigerung, sich in einen Entzug zu begeben. Dann versackte ihre Karriere zwischen Drogen und Zusammenbrüchen. Mittlerweile soll Winehouse clean sein, vor kurzem tourte sie durch Brasilien, aber neues Material von ihr ist vorerst nicht zu erwarten.

Adele wird bereits länger als „neue Amy Winehouse“ („Guardian“) gehandelt. Sie zeigt sich gerne, wie Winehouse, mit historistischer Bienenkorbfrisur und langen Kunstwimpern, neigt aber nicht zu Exzessen. Als Kind war sie Fan von Celine Dion, bei Balladen spreizt sie ihren Gesang zu melodramatischen Bögen. Drei Produzenten teilten sich die Arbeit an „21“, darunter der legendäre Klang-Purist Rick Rubin. Die Härten des Soul federten sie mit geigenumspültem, mitunter wie aufgeschäumt wirkendem R&B-Pathospop ab. Damit hat Adele ihre einstmals härteste Konkurrentin Duffy hinter sich gelassen. Die Waliser Sängerin brachte es mit ihrem aktuellen Album „Endlessly“ nur auf mittlere Hitparaden-Ränge. Allerdings wird bereits die Ankunft einer neuen Soul-Prinzessin gemeldet. Sie nennt sich Rumer und ist eine Londonerin mit pakistanischen Wurzeln, die Debüt-CD „Seasons of My Soul“ erscheint am 25. Februar in Deutschland. Ihr traumwandlerischer Easy-Listening-Soul erinnert an den Altmeister Burt Bacharach, mit dem sie bereits ein Weihnachtslied aufgenommen hat. Rumers feinherbe Stimme ähnelt der von Dusty Springfield.

Springfield, die „White Queen of Soul“, ist die Übermutter der Bewegung, das role model für alle Amys, Duffys und Adeles. Dustys Hits – zwischen 1963 und 1970 platzierte sie 18 Singles in den britischen Charts – lieferten die Blaupause für die Musik der Nachfolgerinnen. Da trotzen quengelige Beat-Gitarren der orchestralen Wucht der Geigen und Bläser, und Springfields Altstimme wechselt von schläfrigem Grummeln zu jubilierendem Belcanto. Jeder Song ein Drama.

Quasi im Alleingang erschuf Springfield die weiße Spielart eines schwarzen Genres, den Blue Eyed Soul. Dabei war der Star, der 1999 mit 59 Jahren einem Krebsleiden erlag, ein hochneurotischer Mensch. Springfield war für Alkoholeskapaden und Fressattacken berüchtigt, sie prügelte sich auch schon mal mit einem Schlagzeuger. Als der Produzent Jerry Wexler sie 1968 für ihr Meisterwerk „Dusty in Memphis“ nach Tennessee holte, war Springfield so beeindruckt von den Musikern, die ansonsten mit Aretha Franklin spielten, das sie keinen Ton herausbrachte. Die Gesangsspuren mussten in New York aufgenommen werden.

Hart angeschlagene Pianoakkorde, der Bass setzt ein, dann kommt eine rauchige Schluckaufstimme dazu, die auf dem Takt auf und ab zu hüpfen scheint. „Well I need a dollar, that’s what I need“, barmt sie, und ein Bass fügt im Background hinzu: „He, he!“ Ein Hilferuf. „I Need A Dollar“, der Winterhit des kalifornischen Sängers Aloe Blacc, knüpft an einen klassischen Blues- und Soul-Topos an: Die Sehnsucht ist groß, aber das Geld stets knapp. „Money (That’s What I Want)“ hieß 1959 der erste, von Berry Gordy geschriebene Motown-Erfolg.

Aloe Blacc hat seine Karriere als Rapper begonnen, er war MC der Formation Emanon, doch sein Album „Good Things“ ist nun lupenreiner Soul, nur so strotzend vor stilistischen Verweisen: Wah-Wah-Gitarren, Kirmesorgel, Falsettgesänge. Auch in Amerika scheint Soul die Musik der Stunde zu sein. Das liegt an der schwarzen Mittel- und Oberschicht der „Obama Nation“ (Kanye West), die sich vom Sexismus und Gewaltfetischismus der Gangsta-Rapper distanziert und sich stattdessen auf die Traditionen der sechziger Jahre beruft, auf die Ära der Bürgerrechtsbewegung.

Cee-Lo Green, der als Teil des Duos Gnarls Barkley „Crazy“ veröffentlicht hatte, den meistverkauften Song der nuller Jahre, inszeniert sich jetzt als „Lady Killer“ und Meister eines überschäumenden Gute-Laune-Souls. Fingerschnipsend geht es bei Raphael Saadiq zu, der taillierte Anzüge und eine Hornbrille im Stil der frühen Sixties trägt und bei seinem originalgetreu durcharrangierten Soul-Album „The Way I See It“ Stevie Wonder für ein Mundharmonika-Solo akquirierte. In der Kunst- und Literaturgeschichte gibt es einen Begriff für eine derartig akribische Nachahmung: Pastiche.

Das von England ausgehende Soul-Revival ist auf der anderen Seite des Atlantik angekommen, gewissermaßen als Rückkopplung. Großen Anteil an diesem Kulturtransfer hat das New Yorker Label Daptone Records. Mit dessen Hausband, den Dap-Kings, nahm Amy Winehouse ihr Album „Back to Black“ auf. Die eigentliche Sängerin der Band heißt Sharon Jones, inzwischen ist sie selber auf dem Weg zum Star. Der Soul von Daptone klingt schmutziger als der von Adele und Duffy. Demnächst erscheint „No Time For Dreaming“, das Debüt von Charles Bradley, der sich lange als Tagelöhner durchschlagen musste. Souverän verknüpft er die „Sweet Soul Music“ des amerikanischen Südens mit einer politischen Botschaft: „Why can’t we show more love to make this a better place?“ Soul, befand der Pophistoriker Peter Guralnick, hat seinen Ursprung im „Freiheitstraum der Südstaaten“.

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