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F*** Me, I’m Famous. David Guetta beherrscht den Dancefloor.

© EMI

David Guetta in Berlin: Hundertdreißig Beats pro Minute

Der Franzose David Guetta ist momentan der erfolgreichste DJ und Produzent der Welt. Jetzt tritt er in Berlin auf.

Eine ganz normale Clubnacht irgendwo im Süden Frankreichs. Nichts deutet darauf hin, dass hier etwas von pophistorischer Bedeutung geschehen könnte. Doch dann läuft plötzlich ein Instrumentaltrack, der eine junge Frau auf dem Dancefloor zu Tränen rührt. Völlig begeistert fragt sie den DJ anschließend, wer das wunderbare Lied geschrieben habe. Er selbst, lautet die Antwort, die die Frau noch mehr verzückt. Sie ist nämlich Sängerin und möchte unbedingt eine Gesangsspur zu dem Stück beisteuern. Der DJ ist schnell überredet, die Sängerin macht sich an die Arbeit.

Das Resultat heißt „When Love Takes Over“ und markiert den Beginn einer neuen Phase im amerikanischen Mainstream-Pop. Denn Kelly Rowland, einst Mitglied bei der von Beyoncé dominierten Girlgroup Destiny’s Child, importiert den Sound des französischen House-DJs David Guetta in ihre Heimat. Kurz darauf nahm der Pariser zusammen mit den Black Eyed Peas den Überhit „I Gotta Feeling“ und mit Akon das ebenfalls sehr erfolgreiche „Sexy Bitch“ auf, Stücke, die seither als Vorbild für nahezu jede Chartproduktion dienen. Ob Rihanna, Madonna oder Justin Bieber – Guettas Einfluss ist ähnlich omnipräsent wie Mitte der Nullerjahre der Klang der Produzenten Timbaland und Neptunes. Das überrascht insofern, als dass sich die US-Szene für europäische Trends traditionell taub stellt. Elektronische Musik war dort – trotz aktiver Ausnahmen aus Detroit oder Chicago – Jahrzehnte ein Nischenphänomen im riesigen Schatten des Hip-Hop.

Und jetzt wollen sie auf einmal alle dieses euphorische Geballer des dünnen Franzosen mit der Otto-Waalkes-Frisur und dem Vollbart, der schon als Teenager im Keller der Eltern für seine Freunde auflegte. Damals bringt er ganze Nachmittage damit zu, sich in Elektrogeschäften Plattenspieler und die Mixgeräte anzuschauen, die er sich gerne kaufen würde. Auch in Plattenläden geht er mangels Geld meistens nur zum Gucken. Mit 17 beginnt der heute 44-jährige Guetta in einem Pariser Gay Club aufzulegen – es ist der einzige, der ihm einen Job geben will. Dort entdeckt er eher zufällig seine Liebe für Acid House. Er recherchiert, welche Musik in den Discos der schwarzen Schwulenszene in den USA läuft und startete erste Experimente mit der Kombination von House und Hip-Hop.

Seine Offenbarung erlebt er bei einem Urlaub auf Ibiza, wo ihn die sommerliche Dauerparty restlos begeistert. Für seinen späteren Erfolg ist die Insel zentral, denn hier entwickelt er beim regelmäßigen Auflegen in Clubs wie dem Pacha ein Gefühl dafür, was bei der Masse funktioniert. Mitte der neunziger Jahre startet er mit seiner Frau Cathy und einer handvoll Freunden die immer noch laufende Ibiza-Partyreihe „F*** Me, I’m Famous“, später kommen die gleichnamigen CD-Kompilationen dazu. Die aktuelle Ausgabe – wie immer mit dem Guetta-Ehepaar in sexy Pose auf dem Cover – ist gerade erschienen.

Guetta hat die Elektro-Szene mit dem R&B verbunden.

Mix-Alben sind in David Guettas Discografie deutlich in der Mehrheit. Denn lange versteht er sich in erster Linie als DJ und schraubt höchstens hobbymäßig mal ein bisschen an eigenen Tracks herum. So ist er schon 34, als sein Debütalbum „Just A Little More Love“ erscheint. Sein wichtigster Mitstreiter ist der unbekannte US- Gospelsänger Chris Willis, dessen leidenschaftliche Performance perfekt zu Guettas funky House-Sound passt. Willis bleibt auf den zwei nächsten Alben eine wichtige Konstante. Bei „One Love“ (2009), dem endgültigen Durchbruch für Guetta, spielt er aber nur noch eine Nebenrolle: R’n’B- und Hip-Hop-Stars wie Will.i.am, Kid Cudi, Akon oder Kelly Rowland singen jetzt die Hits ein.

David Guettas Markensound ist nun vollständig ausgereift. Zu einem schnellen Four-to-the-Floor-Beat von 125 bis 130 Schlägen pro Minute gesellen sich flackernde Synthie-Effekte und eine eingängige Gesangshookline, in der es um Liebe, Sex oder Party geht. Dieses simple Rezept bringt dem Produzent außerhalb der Danceszene viel Spott ein. So wird seine Musik gern als Kirmestechno oder Plastik-House bezeichnet. In Frankreich nehmen ihn die Macher der Puppensatiresendung „Les Guignols de l’info“ – ähnlich dem englischen „Spitting Image“ – gerne auf die Schippe. In einem Clip zeigen sie ihn als debil grinsenden Superstar, der auf jedem Instrument immer nur eine Note spielt, ein anderes Mal präsentiert ihm ein berühmter Instrumentenbauer einen maßgefertigten Flügel. Und natürlich hat der nur eine Taste.

Es lässt sich allerdings nicht abstreiten, dass es David Guetta in einer von Retro- Moden und Revivals dominierten Zeit gelungen ist, einen modernen Popsound zu kreieren, der trotz bekannter Bestandteile eine neue, frische Ausstrahlung hatte. Sein Ziel, die elektronische Musik so groß zu machen wie Rock oder Hip-Hop, hat er erreicht. „Ich wollte eine Brücke zwischen Europa und Amerika bauen, eine Brücke zwischen der electronic culture und der urban culture, zwischen weißen und schwarzen Leuten“, sagte er kürzlich in einer Dokumentation. Auch diese Verbindung ist Guetta geglückt, der bei seinen Auftritten – rund 150 im Jahr – bis zu sechsstellige Gagen kassiert.

Inzwischen zeigen sich gewisse Abnutzungseffekte. So ist auf seinem aktuellen Doppelalbum „Nothing But The Beat“ (EMI) die Gästeliste mit Snoop Dogg, Nicki Minaj, Lil Wayne und sogar Timbaland zwar wieder beeindruckend besetzt, doch die Vorhersehbarkeit der Songs und der exzessiv eingesetzte Auto-Tune-Effekt zerren schon sehr an den Nerven. Ganz ohne Gesang kommt hingegen die zweite CD aus, auf der Guetta seine House-Wurzeln feiert und Kollegen wie Daft Punk und Justice seine Referenz erweist. Hier scheint seine wahre Leidenschaft zu liegen – und zu diesem Sound kann Guetta jederzeit zurückkehren, wenn der Hype vorbei ist.

Konzert am 8. Juli, 19 Uhr, Arena Berlin.

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