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Comeback: Take That: Der große Sprung

Therapie geglückt: Für Take That und ihr Comeback-Album "Progress" ist eine große Marketingkampagne im Gange.

Vielleicht steht Schwarz-Weiß ihnen einfach. In „Look Back, Don’t Stare“, dem schwarz-weißen Dokumentarfilm über ein Jahr Take That, von Robbies Rückkehr bis zur ersten Single-Auskopplung des neuen Albums, sehen die Bandmitglieder richtig gut aus. Wie Männer eben. Viel besser als früher, in den Neunzigern, als ihre weichen Teeniegesichter unter Pseudo- Dreadlocks und in die Stirn geklebte Ponyfransen wie Arsch auf Eimer zu der weichgespülten Popmusik passten, mit der sie Millionen von Mädchen rumkriegten. Oder rumgekriegt hätten, wenn die Band die flehentlichen Schreie vor den Fenstern, die bettelnden, verliebten Minderjährigen erhört hätten. „Meine Mutter musste die Gardinen schließen, weil Fans sich vor dem Haus drängten, und Erde aus unserem Garten mitnahmen“, erzählt Robbie Williams im Film. „Sie konnte die Gardine ein paar Jahre lang nicht aufziehen“.

Großbritannien hat, seit einer gewissen, irren Zeit vor fast 50 Jahren, eine ganz besondere Beziehung zu seinen Boygroups. Dabei dürfte man Take That nicht zu jenen Bands zählen, die sich aus gemeinsamer Musikleidenschaft gründeten. Take That waren eine gecastete Gruppe gut aussehender, des Singens und Tanzens mächtiger Arbeiterjungs mit der Sehnsucht nach einem besseren Leben. Und auch, wenn sich Gary Barlow nach einer Weile als musikalisch durchaus talentiert und des Songschreibens fähig erwies, blieben die anderen mehr oder weniger Hintergrundtänzer. Was die Bandstimmung, zusammen mit Robbies Drogenexzessen und dem Wahnsinn des Boygroupdaseins an sich, bis zum eisigen Auflösungspunkt 1996 herunterkühlte.

Um zu beweisen, dass jetzt alles ganz anders ist und, dass das neue, sechste Album „Progress“ für eine demokratische Genietruppe steht, ist momentan eine große Marketingkampagne im Gange. Das Album, mit programmatischem Titel und einem Cover, auf dem eine menschliche Silhouette aus der Hocke zum großen Sprung ansetzt. „Although no one understood / We were holding back the flood / learning how to dance the rain/ now we’ll never dance again“, singen sie in der ersten Single „The Flood“ auf ihre Hupfdohlen-Vergangenheit gemünzt. Dann ein Video, in dem Gary und Robbie als Cowboys auftreten und sich rumpfoberhalb ausziehen, um mit sympathisch wackelnden Um-die- 40-Bäuchen kurz vorm Sprung in die Schlucht haltzumachen. Und vor allem der Film, der die Selbstbestimmtheit als Band so hoch hängt, dass er die anderen Mitarbeiter an der Platte fast komplett ausblendet. Als hätten Robbie, Gary, Mark, Howard und Jason die langen Monate in den Studios von New York und L. A. tatsächlich zu fünft verbracht, und sich die Zeit mit Songwriting und Amateur-Gruppentherapie vertrieben.

Man soll verstehen, und nicht nur an ihren gereiften Gesichtern mit den Falten sehen, dass sie erwachsen geworden sind. Dass sie in der Lage sind, Image und Inhalt zu kontrollieren. Dass sie die Popblase auf ihrem neuen Album eigenmündig aufpusten. Richtig glauben kann man es trotzdem nicht. Dafür sind in fast jedem der elf Songs überdeutlich Geschmack und Händchen des Sciccor-Sisters-Produzenten Stuart Price zu hören, der auch die Bee Gees oder Ultravox tief in seinem Herzen trägt, und songdefinierende Strukturen gern von Achtziger-Keyboards einspielen lässt. Das macht nichts, wenn man diese Art von kitschig-tanzbarer Popmusik mag, die nicht an großen Gesten und einfachen Akkordfolgen spart. Ehrlich klingen die Songs, bei allem Respekt vor der Professionalität in Produktion und Gesang und den bemüht persönlichen Texten, dennoch nicht.

Und das ist ein bisschen schade. Denn vor allem in der zweiten Hälfte der Doku blitzt ab und an eine sympathische Ehrlichkeit auf. Wenn Mark etwa zugibt, dass er immer Angst hatte, ersetzt zu werden, weil er weder überragend singen noch tanzen kann, und dass der „Lächel-Wettkampf“, den er als kleiner Junge gewonnen habe, ein Training für Take That war. Wenn Gary erkennt, dass er „über Gefühle nie mit jemandem geredet“ habe. Robbie und Mark haben zum Zeitpunkt des Films diverse Rehabs hinter sich. „Na das wird ja toll mit euch auf Tour, wenn ihr nie mit Bars geht“, witzelt Gary. „Keine Angst“, antwortet Robbie lässig, „bis zur Tour bin ich längst wieder rückfällig. Entweder Alkohol, oder das Zeug aus Kolumbien!“

Robbie Williams musste seine Depressionen und seine Drogensucht (genau wie Kollege Mark Owen) bekanntlich erst einmal in allen Ausmaßen zu spüren bekommen, bis er versuchte, damit umzugehen. Ein Mensch wie Beach Boys-Kopf Brian Wilson konnte bei seinen fragilen, nur mit Piano im Schlafzimmer aufgenommenen Meisterwerken genau aus dieser traurigen Quelle schöpfen. Beim mit großem Aufwand produzierten Take That-Album ist von derlei Verzweiflung, von den Schattenseiten des Popstardaseins nichts mehr zu spüren: Es eckt nirgends an.

„Progress“ erscheint am Freitag, 19.11., bei Universal

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