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Al dente. Alice Cooper schmeckt die Gerte in der Max-Schmeling-Halle.

© dapd

Alice Cooper: Grüße aus der Gruft

Seine Rache: Alice Cooper gibt in der Berliner Max-Schmeling-Halle ein schauriges Konzert.

Wenn die Mär stimmt, die die Runde macht, dann war Alice Cooper vorletzten Sonntag mit seinen Kindern in der Kirche. Vielleicht hat er ja ein bisschen um Publikum gebetet. Denn in der Woche darauf ging seine „Theatre of Death“-Tour los. Und ratzekahl ausverkauft war die nicht. Hat Alice Cooper bahnbrechende Songs geschrieben? „School’s Out“ kennt jeder, aber möchte man einen 62-jährigen Lederhosenträger mit Eyeliner um die Augen tatsächlich „No more pencils, no more books, no more teacher’s dirty looks“ singen hören, wie ein zeugnisängstlicher Pennäler vor den Sommerferien?

Vielleicht hat Alice Cooper den Song am Montagabend in der gediegen gefüllten Max-Schmeling-Halle darum trotzig zweimal gesungen. Und „I’m 18“ gleich mit. Dabei fuchtelte er mit einer Krücke aus Knochen herum: „I’m 18“, aber mit einem Bein im Grab, ho ho. Überhaupt waren die Accessoires das Absurdeste an dieser charmanten Horrorparodie. Erst die Knochenkrücke, dann eine Guillotine, die ihm den Kopf absäbelt, aber nicht wirklich, versteht sich. Bei „Poison“ bekommt er eine Megaspritze ins Gemächt, dann muss er aus einer roten Zwangsjacke heraus intonieren, wovon jede Gesangslehrerin einem bestimmt abraten würde wegen gepresster Stütze und so. Dann tanzt kurz ein Mädchen in weißem Elfenkostüm herum, ach nein, es ist doch nur eine Puppe. Alice Cooper nimmt also die Puppe und führt sie, in einer etwas dürftigen „Choreo“, wie Tanzlehrer D! monieren würde, über die Bühne und wirft sie ruppig hin und her. Aber danach kommen die Giveaways: Bei „Dirty Diamonds“ schmeißt Alice Cooper falsche Perlenketten in die Menge, später hat er Geldscheine aufgespießt und lässt sie flattern, und zusammen mit fliegenden Musikerhaaren und diversen Spuckespuren könnte man garantiert eine prima Vaterschaftsklage inklusive DNA-Samples gegen den Mann aus Detroit anregen. Wenn man das nötig hätte.

Die Musiker der Band, alles gestandene Rockrecken mit einem Adressbuch voller „Slashs“, „Ozzies“, „Axls“ und „Sebastian Bachs“, drücken sich derweil ihre Gitarren ordentlich in den schwarz gewandten Schritt, richten sie genretypisch auf den Saal, um hernach, einer nach dem anderen, lange Soli abzugniedeln. Herrlich, so eine satanistische Rock-’n’-Roll-Show. Und es will und will nicht aufhören: Wieder kommt eine Frau, diesmal als Krankenschwester, und schiebt Alice im Rollstuhl in weißen Krankenhausklamotten vor sich her. Er windet sich also in einem subtilen Anti-Psychiatrie-Protest vor dem Mikro, als sie sich plötzlich den Kittel vom Leib reißt, irgendwoher eine Flex in die Pfoten bekommt und beginnt, sich den Keuschheitsgürtel aufzuflexen: Ist das noch Rock, oder ist das ein unbekanntes Schlingensief-Stück?

Der Höhepunkt ist jedoch das Jackett, an dessen Ärmel je drei riesige Spinnenarme untereinander gebunden sind, die sich parallel bewegen, während Alice „Vengeance is mine!“ brüllt und auf Thekla macht. Man ist ganz fertig, allein vom Zugucken, zum Sound kann man in der ersten halben Stunde nichts sagen, weil alles zu laut ist. Aber Ohren sind Kummer gewöhnt, und nach einer Weile wird das Konzert tatsächlich auch musikalisch besser. Schön, wenn die beiden Gitarristen in Thin-Lizzy-Manier in Terzen zueinander spielen.

Apropos. So lange kann der im tiefsten Inneren garantiert politisch korrekte Alice Cooper die Frauen gar nicht unterdrücken, denn jetzt ist schon wieder eine der vorher gepiesackten Tänzerinnen aufgestanden, und hat Alice den Hocker weggestoßen, so dass er an einem Galgen baumelt. Der hat ja mehr Leben als eine Katze! Am Ende singt er „Elected“ im Glitzeranzug, das Publikum, hält zustimmend Bierbecher hoch und nickt mit der dünn gewordenen Matte. Aus denen werden einmal, bald, lustige Großväter, so viel steht fest.

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