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Vorsicht explosiv! Alec Empire ist ein Hohepriester des Noise. Er gründete das stilprägende Label Digital Hardcore, arbeitet als DJ, Produzent, Remixer und Musiker.

© Promo

Alec Empire: Für immer Störenfried

Nach zehn Jahren Pause sind die Berliner Anarcho-Technopunks Atari Teenage Riot wieder da – am Freitag spielen sie in Tempelhof. Ein Gespräch mit Sänger Alec Empire.

Herr Empire, in den Neunzigern feierte ihre Band große Erfolge, der britische „Guardian“ nennt Sie den „kultisch verehrten König des Noise“. Was erwartet den Besucher des Berlin-Festivals, wenn er sich Freitagnacht um 0.40 Uhr in Hangar 4 verirrt?
Eine Erfahrung, die man schlecht beschreiben kann. Wenn das später einer auf MP3 hört, könnte er sich fragen: Okay, wo bitte war jetzt genau die Melodie? Es geht um Energie! Um Regler im roten Bereich. Um extrem tiefe Bässe – und Höhen bis zu 20 000 Hertz, die man im Grunde gar nicht mehr hört. Aber man spürt sie.

Zu Ihren knallenden Beats schreien Sie radikale Parolen, da ist von Revolution und Kampf gegen das System die Rede.
Ja, wir sehen uns als Störenfriede der Musikszene. Leider gibt es zu wenige Bands, die sich politisch äußern. Oder wenigstens mal sagen, was sie überhaupt denken.

Vielleicht wollen die gar nicht. Der Sänger von Madsen sagt: Leute, die andere mit politischen Ansichten nerven, sind uncool.
Das ist mir ziemlich egal, was er cool findet. Eine deutsche Version der Strokes, noch dazu auf dem unterstmöglichen Level – so was finde ich uncool. Aber im Ernst: Bands mit politischem Bewusstsein haben keine Plattform, höchstens in ganz kleinen Indie-Nischen.

Ihre Band war Ende der Neunziger auch kommerziell erfolgreich, hat sich aber dann nach einer Krise aufgelöst …
Nach einer Krise? Unsere Band lag in Schutt und Asche! Da war dieses wirklich wichtige Konzert 1999 in London, wir sollten vor 9000 Leuten in der Brixton Academy spielen, und nach uns Nine Inch Nails. Ausgerechnet an dem Tag hat unsere Sängerin Hanin Elias hingeschmissen, hat gesagt, sie halte es nicht mehr aus.

Es soll ständig Zoff gegeben haben. Muss man sich das vorstellen wie bei den Gallagher-Brüdern?
Das nicht, aber … wie formulier’ ich das jetzt? Mit Hanin droht gerne mal Streit, egal wie diplomatisch man sich verhält. Jedenfalls haben wir uns damals in London gesagt: Okay, jetzt steht eh alles in Flammen, jetzt kann diese Band ruhig untergehen. An diesem Abend haben wir ausschließlich puren Noise gespielt ...

Eine knappe halbe Stunde extremen Krach, der selbst die treuen Fans verstörte.
Ja, so etwas traut man sich sonst höchstens vor ausgewähltem Publikum. Einige Fans waren richtig sauer, haben ihre T-Shirts zerrissen. Aber die Musikzeitschrift „NME“ fand den Auftritt bahnbrechend, gab uns hinterher elf von zehn möglichen Punkten. Trotzdem wussten wir, dass es mit der Band nicht weitergeht.

Immerhin war es Hanin, die letzten Herbst einen Versöhnungsversuch wagte.

Sie schrieb mich auf Facebook an und fragte, ob wir nicht wieder zusammen spielen sollten. Erst sprachen wir bloß über ein oder zwei Shows, inzwischen geht die Tour schon bis November, mindestens. Tragisch ist nur, dass Hanin am Ende doch noch einen Rückzieher gemacht hat. Ihre Stimme hat nicht genug Kraft zum Dauerschreien.

Einen Ihrer ersten Reunion-Auftritte hatten Sie im Juni beim Fusion-Festival. Bei Ihrem Song „Revolution Action“ haben hunderte Fans die Bühne gestürmt.

Es war großartig. Als ich sah, wie die das Absperrgitter aus den Angeln gehoben haben, dachte ich erst: Na gut, jetzt können wir unser ganzes Equipment abschreiben. Aber nichts ging kaputt, niemand wurde verletzt. Wow! Ich glaube, genau darum geht es bei Atari Teenage Riot: Wir loten Grenzen aus.

Gibt man den Bandnamen bei Youtube ein, findet man ein Video von der Kreuzberger Mai-Demo 1999. Herr Empire, Sie stehen oben auf einem Wagen und schreien „Revolution“, während unten Polizisten auf Demonstranten einprügeln.

Normalerweise ist es sicher nicht unser Ding, mit Krawall-Touris einmal im Jahr durch Kreuzberg zu ziehen undbeim Dönerladen die Scheibe einzuschlagen. Aber die Nato bombardierte damals gerade den Kosovo, und Deutschland führte erstmals wieder Krieg. Für uns eine Ungeheuerlichkeit. Und dann diese grundlose Polizeigewalt gegen die Demo!

Man sieht in dem Video auch Steinewerfer, die Polizisten hinterherjagen.

Das war in diesem Fall aber nur die Reaktion. Echt jetzt. Allerdings flogen in dem Chaos auch ein paar Steine in unsere Richtung, das war brenzlig. Wir hatten Angst.

Die Polizei holte Sie dann vom Wagen. Wurden Sie angeklagt – zum Beispiel wegen Ihrer dauernden „Fuck the police“- Rufe?

Nein, die haben nur unsere Persos kontrolliert und uns dann weggeschickt. Vielleicht lag es daran, dass ich damals den Erstwohnsitz in London hatte, das wäre wohl ein bürokratischer Akt geworden.

Der Zwischenfall trug erheblich zur Legendenwerdung Ihrer Band bei.
Klar, ich meine: Als die Beatles 1969 unangemeldet auf dem Dach ihres Studios gespielt haben, wollten sie doch auch am liebsten möglichst dramatisch von der Polizei weggezerrt werden. Aber die nur so: „Okay, spielt noch den Song zu Ende.“ Andererseits reduziert uns der Vorfall auch. Wir rennen ja eben nicht durch die Straßen und zünden Autos an. Bei unserem Revolutionsbegriff geht es natürlich um Veränderungen in den Köpfen.

Die Demo-Aufnahmen wollten Sie dieses Frühjahr auf einer kostenlosen iPhone- App bereitstellen. Apple ließ das nicht zu.
Zumindest nicht diese eine Komponente. Dafür kann man sich über die App unser altes Album „Future of War“ streamen ...

Das steht in Deutschland eigentlich auf dem Index.
Aber die Begründung dafür war ein 45 Seiten langer, schlechter Witz. Eine unserer Zeilen lautete etwa „I’ve a fear of a white planet“, und die haben uns vorgeworfen, wir würden Menschen mit weißer Hautfarbe diskriminieren. Absurd! Vielleicht wehren wir uns noch mal dagegen. Wir hörten neulich von guten, spezialisierten Anwälten. Die Jungs von K.I.Z. haben uns da einen Tipp gegeben.

Hat Ihre Band Deutschland gefehlt?
Grundsätzlich denke ich, wir brauchen Künstler, die einem etwas vorhalten, was man in dem Moment vielleicht nicht genießen kann und auch gar nicht konsumieren will. Christoph Schlingensief war so einer, der konnte wachrütteln.

Sie sind damals kurz vor der Trennung in Schlingensiefs Show „U3000“ aufgetreten. Danach sagten zwei Frauen im Publikum: Wenn wir nach der Revolution solche Musik hören müssen, bringen wir uns lieber um.
Ja, aber das darf man bitte nicht verwechseln. Wir machen doch die Musik für die Revolution – danach schreiben wir eben Musik für nach der Revolution.

Das Gespräch führte Sebastian Leber.

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