zum Hauptinhalt

Acht Auftritte im MoMa: Kraftwerk: Museum statt Markt

Der Kunsttempel als Sehnsuchtsort des Pop: Kraftwerk treten acht Mal hintereinander im New Yorker Museum of Modern Art auf. Diedrich Diederichsen fragt sich: Ist die Musealisierung der Popmusik damit abgeschlossen? Ein Essay.

An acht aufeinanderfolgenden und längst ausverkauften Abenden wollen Kraftwerk im New Yorker Museum of Modern Art den größeren Teil ihres Back-Katalogs präsentieren, pro Abend ein Album, vom heutigen Dienstag an. Damit scheint eine Entwicklung auf ihren Höhepunkt gekommen zu sein, die auf den ersten Blick nur wie die Nobilitierung der Popmusik aussieht: die Aufnahme in ein Pantheon, das ihr bisher verwehrt war. Aber war und ist ihr überhaupt noch etwas verwehrt? Warum ist das MoMA als Tempel der westlichen Moderne, der Endpunkt dieser Kunst, die aus den Sümpfen des Südens und von den Straßenecken des Nordens kam? Ist das ein Erfolg? Oder ein beispielloser Niedergang?

Zunächst geht auch diese Veranstaltung davon aus, dass das Album in LP-Länge die maßgebliche Werkeinheit der Popmusik ist, obwohl in den letzten 25 Jahren eine Reihe anderer Formate damit konkurriert. Gerade weil Retrospektiven und Wiederveröffentlichungen, Box-Sets und Deluxe-Editionen so große Mengen von Hörzeit akkumulieren, wurde eine Einheit gebraucht, auf die sich all jene einigen können, deren Kindheit und Jugend ihnen nun in einem zahlungskräftigeren Alter zurückverkauft wird.

Nach der ersten Phase der Luxus-Editionen, angereichert mit Outtakes, Instrumentalversionen und verworfenen Songs, wurde das Album in einer zweiten Stufe mit Archivaufnahmen von Tourneen, Engagements und Sessions zum neuen Objekt aufgewertet. Die „Bitches Brew“-Sessions von Miles Davis etwa oder alle Konzerte einer Band in einem bestimmten Zeitraum: Die Grateful-Dead-Nachlassverwalter veröffentlichten kürzlich die gesamte Europa- Tournee von 1972 (22 Konzerte auf 73 CDs) in limitierter Auflage.

Die Beach Boys fingen damit an

Und für den ganz feinen Plattensammler, der schon alles hat, wäre das gesamte Live-Schaffen der frühen Suicide zu empfehlen: 15 Konzerte auf nur sechs CDs. Die dunklen Elektronikpioniere wurden nämlich meist von erbosten Spießer-Punks nach 20 Minuten von der Bühne geprügelt. Auch das ist klassisch, und ich erkläre an anderer Stelle gerne, warum ich die beiden letztgenannten Produkte unverzichtbar finde. Hier geht es darum, wie man solche bombastischen, opulenten Monstren von Pop-Objekten noch steigern könnte - und wem das nützt.

Die dritte Stufe der Musealisierung war dann die Rekonstruktion eines gefeierten Studioalbums auf der Bühne. Die Beach Boys, respektive Brian Wilson fingen damit an. Von ihren Alben gab es nicht nur die ersten historisch-kritischen Werkausgaben, sondern das gebrechliche Genie mit dem chemisch getrübten Gemüt war es auch, der von kräftigen jungen Musikern unterstützt, seine Meisterwerke auf der Bühne zu rekonstruieren begann. Es ist nun auch schon über 15 Jahre her, dass er mit „Pet Sounds“ das Berliner ICC rührte. Mit Lou Reed („Berlin“) und John Cale („Paris 1919“) haben sich in letzter Zeit auch rüstigere Rentner dieses aufwendigen Modells bedient.

Auch in der bildenden Kunst wird seit Jahren darüber debattiert, ob und wie man Performances und Prozess-Kunst der 60er Jahre wieder aufführen darf. Von Happening-Erfinder Allan Kaprow bis zu MoMA-Dauergast Marina Abramovic haben etliche Protagonisten sich im Alter mit der Idee anfreunden können. Fluxus-Events werden neuerdings als skriptbasierte Kunst gelesen, die man jederzeit an x-beliebigen Orten aufführen kann wie eine schnöde Sonatine.

Doch Kraftwerk wollen noch ein bisschen mehr. Nicht nur Retrospektive und Reenactment, sondern dies auch an einem Ort, der Kanonisierung verspricht. Es geht natürlich nicht darum, dass das MoMA die rekonstruierten Alben als Konzerte buchstäblich aufbewahrt. Milliarden Sammler machen das schon per Schwarmmuseum. Wenn der Welt etwas nie verloren gehen wird, ist es das Stück „Autobahn“. Nein, Kraftwerk wollen das, was die gesamte, von der Erinnerung an goldene Jahrzehnte lebende Branche eh tut – verwerten, verwerten und wieder verwerten. Und sie wollen es an einem anderen Ort fortsetzen: als bildende Kunst. Auch damit stehen sie nicht allein.

Kraftwerk geht weiter als andere

Tatsächlich spricht vieles dafür, dass Popmusik ein Gefüge verschiedener visueller und auditiver Künste, performativer und propagandistischer Genres und Praxen ist, die in ihrer komplexen Verbundenheit durchaus mit postkonzeptueller Gegenwartskunst vergleichbar sind. Auch diese fügt sich schon lange nicht mehr der simplen Objekthaftigkeit, die man mit sammelnden Museen verbindet, auch hier geht es eher darum, dass Museen und andere Institutionen diese Werke adoptieren und finanziell unterstützen.

In diesem Sinne haben zahllose Kuratoren, auch der Schreiber dieser Zeilen, versucht, in Museen und Galerien Zusammenhänge zwischen der Hybridkunst Popmusik und anderen Hybridkünsten aus dem Umfeld der bildenden Kunst vorzuführen. Bands wie Sonic Youth haben schon selbst Ausstellungen kuratiert. Allerdings waren alle diese Versuche, auch die der Sound-Art-Shows, immer noch objekt- und dokumentorientiert. Die Ausstellungsreihe von Kraftwerk-Konzerten geht weiter.

Die Gefräßigkeit der Institution bildende Kunst und die Privatisierung der Avantgarde

Ihren Trieb zur Musealisierung haben Kraftwerk schon mit der Roboterpose angedeutet, der Koketterie mit der Ersetzung der Musiker durch Maschinen. 2005 kam dann ihr Auftritt auf der VenedigBiennale hinzu, und im Spätherbst 2011 widmete das Münchner Lenbachhaus den 3-D-Videoinstallationen der Band eine eigene Ausstellung. Mit der New Yorker Aufführungsreihe, begleitet von einer kleinen Ausstellung im PS 1 des MoMA, wird an Kraftwerk endgültig ein Problem aller noch nicht seit Ewigkeiten etablierten Kulturgenres deutlich: die Gefräßigkeit der Institution bildende Kunst und – indirekt – die Privatisierung der Avantgarde.

Wer heute einen Experimentalfilm drehen will, versucht nicht mehr, einen WDR-Redakteur für die Finanzierung zu gewinnen, sondern einen Galeristen. Wer früher mit Text-Klangexperimenten den Hörspielpreis der Kriegsblinden gewann, macht heute Sound Art. Wer die künstlerischen und psychischen Architekturen von improvisierter Musik weiterentwickelt, versucht wie jeder halbwegs vom Spielfilmstandard abweichende Bewegtbild-Künstler, Galerien- und Museumsgeld anzuzapfen. Etats, die zunehmend von privatem Geld abhängen. Über diese Entwicklung können sich aber nur „Kulturinfarkt“-Deppen freuen.

Popmusik war beim Versuch, sich der eigenen Geschichte zu versichern, immer allein gelassen mit dem Markt und seinen Kräften. Zunächst ist es verständlich, dass sie bei der bildenden Kunst einen Gegenpol voller Ruhe und Ressourcen sucht. Doch die Tendenz der Kunst, vom sozialen Experiment bis zum Kino alle nicht konventionellen Praktiken einer Institutionslogik unterzuordnen, bedeutet auch eine Gefahr für die historische Selbstvergewisserung der Popmusik. Sie ist zwar im Gegensatz zur klassischen Musik oder zur Malerei ähnlich hybrid und heterogen wie heutige bildende Kunst. Daraus folgt aber nicht, dass die Kunst, die in letzter, nämlich ökonomischer Instanz objektbezogen, privatwirtschaftlich dominiert und Archiv- und Sammlung-basiert ist, den richtigen Rahmen für Popmusik bildet. Denn diese verfügt weder über den akademischen noch den kulturpolitischen Rückhalt, der der bildenden Kunst noch hilft, in ihren eigenen Institutionen der Logik des Markts zu widerstehen.

Idiotisch-geniale Nichtproduktivität

Vielleicht wollen Kraftwerk aber auch in eine andere Richtung. In eine subversive? Die ersten drei, ziemlich genialen Alben fehlen im MoMA. Die folgenden vier Alben, die den Mythos von den rheinischen Robotern begründeten – „Autobahn“, „Radioaktivität“, „Trans-Europa Express“ und „Mensch-Maschine“ –, erschienen während Helmut Schmidts erster Kanzlerschaft. Seit 1978 wurde nichts Wichtiges mehr veröffentlicht, seit 1983 nur noch mikroskopisch kleine Produkte und Compilations. Dafür haben sie zahllose Remixe, Neuaufführungen, und Würdigungen erlebt.

Philosophisch haben sie schon lange die Kritik am genialen Künstlersubjekt radikal durch diese idiotisch-geniale Nichtproduktivität vollendet oder auch banalisiert: je mehr Museum, desto weniger Werke. Dass der Roboter nackt ist, kann man ihnen nicht vorwerfen. Ihn bis aufs Androiden-Gerüst zu entkleiden, war offensichtlich seit ca. 1983 das Konzept. Kraftwerk liefen mithin schon eine Weile als Parodie auf jene Logik der Kanonisierung und Sakralisierung, die ein Museum ausmacht. Zumal das Museum der Museen, das MoMA. Dass sich dieser Kreis jetzt schließt, hat etwas Tröstliches.

Diedrich Diederichsen

Zur Startseite