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Pop: Das Porno-Prinzip

Billig und willig: R'n'B-Star Rihanna bringt mit "Talk That Talk" ihr sechstes Album in sechs Jahren heraus.

Die USA haben ihren Supermachtstatus auf vielen Gebieten eingebüßt. Doch wenn es um Glamour und Sexsymbole geht, richten sich immer noch alle Augen auf das Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Hollywood und die Popbranche produzieren weiterhin die optischen Standards, an denen sich der Rest der Welt orientiert. Wichtige Instanzen in Sachen weiblicher Idealmaße sind dabei der R’n’B und der Dancepop, die mittels ihrer hoch spezialisierten Fabrikationsmethoden eine Monokultur singender Plastikpüppchen durchgesetzt haben.

Ob Britney Spears, Christina Aguilera, Kesha, Katy Perry, Shakira, Beyoncé – letztlich sind sie alle nur leicht abgewandelte Variationen ein und desselben langmähnigen, spärlich bekleideten, sexuelle Verfügbarkeit signalisierenden Prototyps. Selbst wer einmal anders begonnen hat, wie Kelis, die auf ihrem Debüt mit regenbogenfarbener Afromähne zu sehen war und „I Hate You So Much Right Now!“ brüllte, trällerte schon bald darauf über ihren „Milkshake“ und lutschte lasziv an Lollis. Oder Nelly Furtado: Sie fing 2000 als hippieske Songwriterin („I’m Like a Bird“) an und inszenierte sich sechs Jahre später als lasziver „Maneater“.

Angesichts dieser tristen Barbie-Parade weiß man erst mal, was man an Madonna und Lady Gaga hat. Natürlich gehört auch bei ihnen Sexyness zur Strategie, doch im Unterschied zu ihren Kolleginnen, ist es nicht die einzige Strategie. Bei ihnen gibt es Raum für Überraschungen oder Exkursionen ins Freakhafte. Zudem können sie glaubhaft vermitteln, ihre Inszenierungen selbst zu kontrollieren, wohingegen Britney & Co. stets wie ferngesteuert wirken.

Selbst eine Genre-Größe wie Beyoncé muss im Booklet ihres aktuellen Albums „4“ in diversen knappen Kostümchen posieren, obwohl sie sich musikalisch eher als gereifte Diva in der Whitney-Houston-Nachfolge positioniert. Nützen wird das der 30-Jährigen trotzdem nicht viel, denn ihren Thron hat längst ein jüngeres, wendigeres, willigeres Exemplar übernommen: Rihanna, Protegé von Beyoncés Ehemann Jay-Z. Er begleitete sie vor vier Jahren auf ihrer ersten großen Hitsingle „Umbrella“ und rappt auch auf dem Titelsong ihres neuen Albums „Talk That Talk“ wieder an ihrer Seite.

Es ist die sechste CD-Veröffentlichung der 23-jährigen Sängerin in sechs Jahren. Sie hat weltweit 30 Millionen Alben verkauft und erreicht derzeit  auch durch Gastauftritte – etwa bei Coldplay – eine Omnipräsenz wie kaum ein anderer aktueller R’n’B-Star. Das muss auch so sein, beruht ihr Geschäftsmodell doch auf dem Porno-Prinzip der ständigen Reizerneuerung und Reizverstärkung. Ihr Alleinstellungsmerkmal war bisher die Verbindung von Sex und Gewalt. Seit Rihanna vor knapp drei Jahren von ihrem damaligen Freund Chris Brown, einem Soul-Sänger, verprügelt worden war, hat sie hier quasi einen Glaubwürdigkeitsbonus. Das anschließend veröffentlichte Album „Rated R“ geriet recht düster und wurde als Abrechnung mit dem Ex gewertet. Auf dem Nachfolger „Loud“ sang sie im letzten Jahr von ihrer Vorliebe für Ketten und Peitschen – „S&M“ hieß das Stück. Und in einem Duett mit Eminem findet sie Gefallen an häuslicher Gewalt („I like the way it hurts“).

Von diesem Maso-Trip ist sie inzwischen wieder abgekommen. Auf „Talk That Talk“ begnügt sich die aus Barbados stammende Sängerin damit, offensiv Oralsex einzufordern, herumzustöhnen und aufzuzählen, wo überall sie den Akt mit ihrem Partner ausgeführt hat (Bett, Sofa, Boden). Das Ganze klingt ungefähr so antörnend wie ein Werbespot für Zahnpasta. Die Sexyness wirkt völlig aseptisch und maschinenhaft, was allerdings im Plastik-„R’n’B“ zu den Genremerkmalen gehört. Genau wie das zweite große Thema der Platte: die Liebe, die den Kuschelkontrast zum „Gib’s mir, Baby“-Geraune bildet. Drei der zwölf Songs tragen „Love“ bereits im Titel. Hier wird es mal megadramatisch wie in der Kitschballade „Farewell“ und mal Eurodance-haft wie bei der Single „We Found Love“, die endlos auf einem aus zwei Akkorden bestehenden Synthiemotiv herumreitet.

Eines der stärksten Lieder dieser routiniert runtergerissenen Platte ist „Drunk On Love“, das auf dem Song „Intro“ der britischen Düster-Kids The XX beruht. Das norwegische Produzentenduo Stargate, das noch für zwei weitere Stücke des Albums verantwortlich zeichnet, hat den Instrumentaltrack quasi komplett übernommen, wobei sie die Gitarrenspur von Keyboards nachspielen lassen und den Sound mächtig aufblasen. Dazu schmachtet Rihanna über ihr Dasein als hoffnungslose Romantikerin. Ihre Stimme wird hier ausnahmsweise einmal nicht übermäßig manipuliert. Auf dem Rest des Albums wird sie immer wieder verzerrt, verdoppelt und verdreifacht. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass ihre Persona von einer Aura totaler Künstlichkeit und Unnahbarkeit dominiert wird.

Als neues Signet der Verruchtheit hat man Rihanna Zigaretten (oder gar Joints?) ausgesucht. Das Albumcover von „Talk That Talk“ zeigt sie mit ihrem typischen Schlafzimmerblick und weit geöffnetem Mund, aus dem Rauch entweicht. Und im Video zur Nummer-eins-Single „We Found Love“ dienen Zigaretten neben bunten Pillen als schockierende Requisiten. Viel geknutscht wird natürlich auch. Nur schade, dass das alles so irre billig wirkt.

„Talk That Talk“ ist bei Def Jam/Universal erschienen.

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