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Pop-Art: Ich will eine Maschine sein

Enthusiasmus als Lebensform: In seiner Autobiographie "POPism“ erinnert sich Andy Warhol an die sechziger Jahre. Zum 80. Geburtstag des 1987 verstorbenen Künstlers erscheint dass Buch erstmals auf Deutsch.

Im Juni 1963 stand John F. Kennedy vor dem Rathaus Schöneberg und sagte: „Ich bin ein Berliner.“ Es war der Sommer der ersten Bombardierung Vietnams und der Bürgerrechtsmärsche von Martin Luther King. Die Beatles und die Rolling Stones hatten ihre ersten Hits und im Kino lief „Kleopatra“ mit Liz Taylor. Die Beatles würden bald populärer als Jesus sein und Kennedy tot, erschossen in Dallas. Der von ihm begonnene Krieg sollte ihn überleben und für Amerika in einer militärischen Niederlage und einem moralischen Desaster enden. In diesem Sommer begann eine Kunst die Welt zu erobern, die versuchte, das alles – das Charisma der Stars und Präsidenten, den Krieg im Fernsehen und das Lächeln der Taylor – festzuhalten. Die Pop-Art sagte ja zur Gegenwart, sie feierte den Konsum und das Triviale und griff dafür am liebsten auf die Bilder der Massenmedien zurück.

In diesem historischen Sommer, Mitte September 1963, brach der noch weitgehend unbekannte Maler und Filmemacher Andy Warhol von New York aus nach Los Angeles auf, um dort eine Ausstellung zu eröffnen. Kalifornien hatte er bis dahin nur in Hollywood-Filmen gesehen. Er fuhr mit drei Freunden in einem Kombi, auf dessen Ladefläche eine Matratze lag. Gehalten wurde nur an Tankstellen und zum Essen, es war ein Abenteuer und ein Irrsinnstrip wie in Jack Kerouacs Roman „On the Road“.

„Je weiter wir nach Westen kamen, desto pop-artiger sah es auf den Highways aus“, schreibt Warhol in seiner Autobiografie „POPism“. „War man erstmal von Pop ,infiziert’, sah man kein Schild mehr so wie zuvor. Und dachte man erstmal in Pop-Kategorien, sah man Amerika nie mehr so wie zuvor. Etwas mit einem Etikett zu versehen, ist ein großer Schritt – man nimmt es nie mehr ohne Etikett wahr. Wir sahen die Zukunft, und wussten es. Wir sahen, wie die Leute darin herumliefen, ohne es zu wissen, weil sie noch in den Kategorien der Vergangenheit dachten. Man brauchte bloß zu wissen, dass man in der Zukunft war, und schon war man mittendrin. Das Geheimnis war weg, aber das Staunen fing gerade erst an.“

„POPism“, das zu Warhols 80. Geburtstag nun zum ersten Mal auf Deutsch erscheint (Andy Warhol/Pat Hackett: POPism – Meine 60er Jahre, Deutsch von Nikolaus G. Schneider, Schirmer/Mosel Verlag, München 2008, ca. 300 S., 29.80 €, ab Anfang September im Buchhandel), ist ein großartiges Erinnerungsbuch, bei dem Anekdote und Reflexion fließend ineinander übergehen. Man hat Warhol Oberflächlichkeit vorgeworfen, weil er sich mehr für den Glanz der Welt als für ihre Abgründe interessierte. Mit Politik und Psychologie konnte er wenig anfangen, doch er war ein leidenschaftlicher, seismografisch genauer Beobachter. Besser als mit diesen sechs Worten lässt sich der Enthusiasmus der sechziger Jahre kaum beschreiben: „Das Staunen fing gerade erst an.“

Warhol betreibt mit „POPism“ hagiografische Geschichtsschreibung in eigener Sache. Er hat das Buch 1980 seiner Assistentin Pat Hackett diktiert, daher rührt der plaudernde Tonfall dieser Memoiren. „Ich möchte eine Maschine sein“, lautete Warhols Credo, mit dem er Jackson Pollocks berühmten Satz „Ich möchte Natur sein“ zurückwies. Es galt, die Kunst von der Abstraktion und „dem Innerlichkeitskram“ zu befreien.

Andy Warhol, am 6. August 1928 in Pittsburgh geboren, war schon in den fünfziger Jahren zu einem der erfolgreichsten New Yorker Werbegrafiker aufgestiegen. In „POP ism“ weist er nicht ohne Stolz darauf hin, dass er damals bereits in dem Buch „A Thousand New York Names“ aufgeführt wurde, allerdings in der Rubrik „Mode“. Sein Status als bekannter Gebrauchsillustrator verhinderte lange die Anerkennung in der Kunstszene. Kunst, darin waren sich die wichtigsten Galeristen, Kuratoren und Sammler einig, hatte gegenstandslos, großformatig und irgendwie erhaben zu sein. Warhol aber begann um 1960, seine ersten Siebdrucke von Superman-Figuren, Marilyn-Monroe-Köpfen und Autounfällen herzustellen.

Der Schock und die Befremdung, den diese Bilder ausgelöst haben, kann man sich heute kaum noch vorstellen. „Ich habe mich oft gefragt, warum sich Leute, die unglaubliche neue Kunst anschauen und sich darüber lustig machen, sich überhaupt mit Kunst abgeben“, empört sich Warhol. Über seine Bilder haben viele Betrachter anfangs bloß gelacht, ein Gemälde von Frank Stella wurde bei einer Party von einer Besucherin mit Whiskey übergossen und ruiniert. Die Pop-Art begann als Feldzug gegen die Arroganz des Publikums und das Heldengebaren der Abstrakten Expressionisten, die sich laut Warhol „extrem machomäßig“ aufführten. Doch auch die Pop-Künstler waren untereinander verfeindet. Robert Rauschenberg und Jasper Johns gingen Warhol demonstrativ aus dem Weg, sie fanden ihn „zu tuntig“.

Der Sommer 1963 mit der Fahrt nach Los Angeles wurde zum Wendepunkt in Warhols Karriere. Kurz danach übernahm der New Yorker Galerist Leo Castelli seine Vertretung, es folgten die Gründung der Factory, radikale Filme wie „Sleep“ und „Blow Job“ und viele Partys. Es waren enthusiastische Jahre fast ohne Schlaf. Warhol überstand sie mit Amphetamin-Tabletten, die er „Diätpillen“ nannte. „Ich habe nie herausgefunden“, schreibt er, „ob in den Sechzigern mehr passiert ist, weil es mehr wache Zeit gab, in der Dinge passieren konnten, oder ob die Leute Amphetamine nahmen, weil es so viele Dinge zu tun gab, dass sie mehr wache Zeit benötigten, um sie zu erledigen.“ Im Sommer 1968 schoss eine Frauenrechtlerin auf ihn. 1987 ist Warhol an den Folgen einer Gallenoperation gestorben.

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