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Killer Mike (links) und El-P bilden zusammen das wortgewaltige Hip-Hop-Duo Run the Jewels.

© Tim Saccenti

Politischer Hip-Hop: Run the Jewels liefern den Soundtrack für Amerika

Mit dem vierten Album avanciert das Duo endgültig zum politischen Hip-Hop-Act der Stunde. Der Blick auf das eigene Land ist ernüchtert.

Von Andreas Busche

Im Anbetracht der aktuellen Bilder aus amerikanischen Städten klingt es von Deutschland aus fast vermessen zu schreiben, dass ein weißer, jüdischer Rapper aus Brooklyn und ein schwarzer Rapper aus der Party-Hochburg Atlanta gerade den Soundtrack für Amerika liefern. Zumal das vierte Album der Hip-Hop-Supergroup Run the Jewels um El-P und Killer Mike, schlicht „RTF4“ betitelt, nicht auch zu jedem anderen Zeitpunkt in der Ära Trump – oder, genau genommen, den vergangenen zehn oder auch 20 Jahren – einen Nerv getroffen hätte.

Dass die Texte geradewegs aus den Schlagzeilen und Essays stammen könnten, die den Zustand Amerikas anklagen, mutet unheimlich an, prophetisch. Doch am Ende lässt sich aus den Sätzen vor allem eine Desillusion heraushören.

„And everyday on evening news they feed you fear for free“, rappt Killer Mike über den sägenden Beat von „Walking in the Snow“. Amerika sei so taub, dass es dabei zusehe, wie Polizisten einen Mann wie ihn (sprich: schwarz) in den Würgegriff nehmen. „Til’ my voice goes from a shriek to a whisper / I can’t breathe.“

Killer Mike unterstützt Bernie Sanders

Das letzte Album von Run the Jewels liegt schon wieder über drei Jahren zurück, es war entstanden unter dem Eindruck eines selbstzerfleischenden Präsidentschaftswahlkampfs, in dem der vermeintliche Außenseiter jegliche Hemmungen ablegte. Killer Mike, bürgerlich Michael Render, hatte zuvor den demokratischen Außenseiter Bernie Sanders unterstützt.

Auf einer Wahlkampfveranstaltung in seiner Heimatstadt Atlanta, kündigte er Sanders bereits als nächsten US-Präsidenten an. Hoffnungsvolle Zeiten waren das, verglichen mit den Bildern, die seit einer Woche in den Nachrichten in Dauerschleife rotieren.

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„RTJ3“ war der Aufruf zu einer zivilen Revolution, subkutan verabreicht mit surrealem Humor und einer druckvollen Produktion zwischen Stripclub (so tickt Atlanta halt!) und Apokalypse. Der Nachfolger greift diese Stimmung wieder auf, nur wütender, beißender. Doch die scharfen Wortkaskaden, die die beiden Rapper entrollen wie Stacheldraht, klingen auch ernüchtert. Auf Popzitate verzichten sie diesmal weitgehend, ein Song heißt lediglich „Goonies vs E.T.“. Die Party von Run the Jewels brennt jetzt.

Party zwischen brennenden Geldbergen

Im Video der Single „Ooh La La“ sind es Berge von brennenden Geldscheinen, zwischen denen die Menschen tanzen. Der neue Gangnam Style für Trump-Amerika. „You want maximum stupid, I’m the guy“, meint El-P, den Adressaten der Zeile darf man sich dazu denken. Am Ende laden er und Mike kistenweise Moët aus einem Kofferraum. Wenn das Volk schon keine Demokratie bekommt, soll es wenigstens am Schampus ersaufen. Am Himmel kreisen die Helikopter.

Run the Jewels sind ein Phänomen. Vom wohl unwahrscheinlichsten Duo in der Geschichte des Hip-Hop – auf Initiative des Cartoonkanals Adult Swim – sind Run the Jewels mit ihrem dritten Album zu einem politischen Hip-Hop-Act avanciert. Produzent El-P ist beeinflusst von der Bomb Squad, die den Agit-Hip-Hoppern Public Enemy ihre fiependen, wummernden Lärmarchitekturen errichteten. Gleichzeitig sind sie seit kurzem auch die Helden in einem Videogame.

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Ende Mai veröffentlichte Michael Render unter seinem bürgerlichen Namen eine Kolumne, in der er erneut erklärt, warum er den zweiten Zusatzartikel, der das Recht auf Waffenbesitz in der Verfassung verankert, so vehement verteidigt. In diesem Amerika, schreibt er, könne man sich als Schwarzer nicht auf den Schutz von anderen verlassen.

Er hätte es auch weniger diplomatisch formulieren können: dass Afroamerikaner die Polizei nicht per se als Freund betrachten, solange man für den Besitz eines gefälschten 20-Dollar-Scheins mit dem eigenen Leben bezahlt.

Pop-Beschwingtheit trifft Stadtguerilla

In seiner Netflix-Dokuserie „Trigger Warning with Killer Mike“ von 2019 begibt sich Render in die afroamerikanischen Viertel und spricht mit den Bewohnern in Michael-Moore-Manier über Themen, die Amerika gerade zu zerreißen drohen: Rassismus, Bildungsungleichheit, wirtschaftliche Marginalisierung. Er tut das mit Humor und absurden Sozialexperimenten. Auf „Run The Jewels 4“ ist ihm das Lachen vergangen.

In „Yankee And The Brave“ rappen El-P und Mike in dichten Kadenzen über einen humorlosen Maschinenrhythmus. „JU$T“ mit Pharrell Williams und Zack de la Rocha vereint den beschwingten Pop des Neptunes-Masterminds mit dem Stadtguerilla-Pathos von Rage against the Machine.

Das zentrale Stück aber ist das vom Gospel beeinflusste „Pulling the Pin“, in der Soul-Legende Mavis Staples den Refrain „There is a Grenade in my Heart“ singt. In einer Woche, in der der Präsident unter Tränengasschwaden eine Kirche für einen Presseauftritt okkupiert, klingt diese Zeile unendlich traurig. Oder wie eine Drohung.
„Run the Jewels 4“ erscheint bei BMG

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