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Der sterbende Stalin (Adrian McLoughlin, am Boden) umringt von seinem Führungsstab, darunter Chruschtschow (Steve Buscemi, links) und der designierte Nachfolger Malenkow, (Jeffrey Tambor, zweiter von links).

© Concorde

Politische Satire im Kino: Warum "The Death of Stalin" in Russland nicht gezeigt werden darf

In der Komödie „The Death of Stalin“ kämpfen alte Weggefährten um das politische Erbe des Tyrannen. Der Kinofilm ist in Russland verboten.

Von Andreas Busche

So viele Namen – die über Jahrzehnte aus dem kollektiven Gedächtnis der Sowjetunion verschwanden. So viele Gesichter – die kurzerhand aus offiziellen Fotos retouchiert wurden, weil die Nase dem großen Führer Josef Stalin plötzlich nicht mehr passte. Und Stalin war ein impulsiver, paranoider Landesvater, selbst hochrangige Mitarbeiter kamen bei seinen Stimmungschwankungen nicht immer hinterher. Millionen von Russen starben unter Stalin in den Gulags oder wurden in Massengräbern verscharrt: Bolschewiki, Juden, Oppositionelle, engste Vertraute. Die kann man sich doch unmöglich alle merken. Da entwickelt sich die arglose Frage „Was macht eigentlich..?“ zu später Stunde – der Chef lässt gerade einen John-Wayne-Western in den Projektor laden (Stalin verehrte das klassische Kino des Systemfeinds) – schnell zum Stimmungskiller, wenn der Betreffende erst kürzlich zur Persona non grata erklärt wurde.

Für einen Moment herrscht betretenes Schweigen unter den politischen Alphatieren in Armando Iannuccis Satire „The Death of Stalin“: Nikita Chruschtschow (Steve Buscemi), Sekretär des Zentralkomitees der kommunistischen Partei und kritischer Gefolgsmann Stalins, Georgi Malenkow (Jeffrey Tambor), stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats und inoffiziell zweiter Mann im Staat, Lawrenti Beria (Simon Russell Beale), Geheimdienstchef sowie ein Architekt von Stalins Terror, und Wjatscheslaw Molotow (Michael Palin), der in der Spätphase des Regimes tatsächlich gar nicht mehr zum engsten Zirkel gehörte.

Stalins „Säuberunsgwelle“ verschonte auch Ärzte nicht

Die Frage wird von den Anwesenden ignoriert, der Alkoholpegel entschuldigt den kurzen Aussetzer. Die nächtlichen Saufgelage in Stalins Vorort-Datsche waren legendär. Wie Aasgeier drängten sie sich um das sieche Zentrum der Macht, Stalin galt Anfang fünfziger Jahre als gesundheitlich angeschlagen. Diese medizinische Diagnose hatte zur Folge, dass die besten Ärzte der Sowjetunion (überwiegend Juden) in einer „Säuberunsgwelle“ getötet worden waren.

Der Mann, der sich in „The Death of Stalin“ so unbedarft nach dem Verbleiben eines alten Weggefährten erkundigt, ist Stalins rechte Hand Georgi Malenkow, ein wachsweicher Bürokrat, der sich madig an der Macht des Parteichefs labte. Es erscheint im Nachhinein wie eine Ironie des Schicksals, die dem bösen Humor eines Armando Iannucci würdig wäre, dass ausgerechnet Jeffrey Tambor den unbedachten Kommentar in den Raum wirft. Der „Transparent“-Star könnte sie nach den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs auch sich selbst stellen. Tambor ist seither von den Listen der Hollywood-Agenten verschwunden, so wie Stalins Opfer aus den historischen Fotografien.

Der Schotte Iannucci gilt als Spezialist für die politische Komödie. Als Showrunner der mit diversen Emmys ausgezeichneten HBO-Serie „Veep“ über die unzurechnungsfähige Vizepräsidentin der USA, die ihr Amt permanent am Rande der moralischen Unzumutbarkeit performt, hat er die politische Demütigung zur Kunst erhoben. „Veep“-Star Julia Louis-Dreyfus ist die böse und dank ihrer vulgären, aus allen Poren strömenden Beleidigungskaskaden mit stark sexuell-fäkalen Nuancen brüllend komische Stiefschwester von Frank Underwood in „House of Cards“.

Eine schillernde Typologie von Politikerdarstellern

Seinen toxischen Witz bezieht „Veep“ aus einer schillernden Politikertypologie, die das ganze Spektrum abdeckt (Iannucci ist ein, wie es im Englischen heißt, equal opportunity offender), sowie aus seinem detaillierten Kenntnissen von politischen Prozessen, deren Methoden ja nie komplett vom handelnden Personal zu trennen sind.

„The Death of Stalin“ basiert auf einer ähnlichen Prämisse, außerdem auf einer Graphic Novel von Fabien Nury und Thierry Robin. Der Film beginnt in der letzten Nacht in der Ära Stalin. Nachdem die Gäste aufgebrochen sind, widmet er sich dem Mitschnitt einer Mozart-Aufführung, die der panische Aufnahmeleiter des staatlichen Orchesters (Paddy Considine) mit auf der Straßen rekrutierten Proletariern eilig rekonstruieren ließ. Beim Hören der Sinfonie fällt Stalin eine handgeschriebene Verwünschung der Solistin des Ensembles (Olga Kurylenko) in die Hände, bei der ihm das Lachen buchstäblich im Hals stecken bleibt. Da sich niemand in die Privatgemächer traut, wird der Tod Stalins erst am nächsten Morgen bemerkt.

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Da kniet dann das Führungspersonal in der Urinlache des großen Führers und teilt insgeheim bereits dessen Erbe unter sich auf. Der schwächliche Malenkow fühlt sich als natürlicher Nachfolger, Chruschtschow will endlich einen moderaten Kurs einleiten und Beria versucht seinem Terrorregime einen reformistischen Anstrich zu verpassen – mit Unterstützung von Stalins im Volk beliebter Tochter Svetlana, die Andrea Riseborough als porzellanhafte Matrjoschka spielt, deren feine Gesichtszüge vor Anspannung fast zerspringen. Die Besetzung ist exzellent, leider hat Iannucci seine markanten Stakkato-Dialoge zwei Stufen runtergefahren, das komödiantische Timing ist im Vergleich zu den blumig-viskösen Verbalinjurien, mit denen sich die Figuren in „Veep“ oder der Tony-Blair-Farce „In the Loop“ traktieren, fast schon sozialverträglich.

Iannuccis Film gilt in Russland als gezielte Provokation

Natürlich ist es opportun, sich im aktuellen weltpolitischen Klima Stalin – nicht per se ein Komödienthema – vorzunehmen. Laut einer Umfrage des durchaus staatskritischen Levada Center im Juni 2017 hält die Bevölkerung Stalin für „die größte Persönlichkeit der russischen Geschichte“ – dicht gefolgt von Putin, der keinen Hehl daraus macht, dass seine nationalistische Politik Stalin zum Vorbild hat. Ein Wandel im Umgang mit dessen Erbe ist in den vergangenen Jahre verstärkt zu beobachten, Stalin wird zunehmend wieder als Modernisierer Russlands und als historische Bezugsgröße angesehen.

Das Echo aus Moskau ließ nicht lange auf sich warten. Im Januar wurde „The Death of Stalin“ in klassisch stalinistischer Manier in Russland verboten. Pavel Pozhigailo, ein Berater des Kulturministeriums, nannte Iannuccis Film „eine gezielte Provokation“, die „zum Hass anstachelt“. Ein Grund, das Stalin als politische Figur heute wieder gesellschaftsfähig ist, hat auch damit zu tun, dass trotz der Bemühungen Chruschtschows ab 1953 lediglich in der kurzen Zeit zwischen Mauerfall und Putins Amtsantritt eine ernste Auseinandersetzung mit dem dessen Erde geführt wurde. So kann Stalin unter Russen heute als Politiker gelten, der „für das Land überwiegend Gutes geleistet“ habe. „The Death of Stalin“ löst in Russland, wie so viele Kunstaktion in jüngster Zeit, eine Art Waldheim-Trotzreaktion aus. Umso ärgerlicher, dass sich Iannucci weder für das Spezifische des Stalin-Apparats noch für die systemischen Gemeinsamkeiten mit dem Putin-Regime interessiert. „The Death of Stalin“ liefert nur eine Typologie politischer Speichellecker.

Ab Donnerstag in den Kinos

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