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Der amerikanische Freund. Dennis Hopper, von Wim Wenders mit Polaroid-Kamera fotografiert in Hamburg 1976.

© Wim Wenders, Courtesy Deutsches Filminstitut, Frankfurt a.M. . Courtesy Wim Wenders Stiftung

Polaroids von Wim Wenders im C/O Berlin: Nostalgie, minutenschnell

Mit zwei Ausstellungen feiert C/O Berlin die Sofortbild-Fotografie: „Das Polaroid Projekt“ und „Wim Wenders. Sofort Bilder“ mit Fotografien des Regisseurs.

Sofortbild! Allein das Wort muss für die Selfie-Generation komisch klingen. Sind Fotos nicht generell sofort verfügbar? Für Wim Wenders besteht ein deutlicher Unterschied zwischen Sofortbildfotografie – „das letzte Aufbäumen der Analog-Ära“ – und unreflektierter Handyknipserei. Das Ende besiegelte die zweite Linse, die in Smartphones eingebaut wurde, schreibt der Regisseur und Fotograf in einem Band, der die aktuelle C/O-Ausstellung „Sofort Bilder“ flankiert. „Ist diese ganze Sache, diese Selfie-Kultur“, so Wenders, „nicht im Grunde genommen die komplette Umkehrung der Idee von Photographie?“

Das Fotoforum C/O Berlin teilt Wenders’ Faszination für Analogfotografie und ignoriert den Pessimismus, der aus solchen Sätzen spricht – mit Ausstellungen quicklebendiger, junger Fotografie. Doch zwei aktuelle Schauen im Amerika-Haus kreisen um Fotogeschichte, um die Sofortbild-Marke Polaroid, die 1937 in Boston aus der Taufe gehoben wurde. Neben dem großen Wim-Wenders-Solo unten ist im Obergeschoss „Das Polaroid Projekt“ zu sehen. Die rund 250, unter anderen von Nobuyoshi Araki, Anna und Bernhard Blume, Richard Hamilton oder Robert Rauschenberg geschossenen Sofortbilder entstanden im Rahmen eines „Artist Support Program“ ab den 60ern: Polaroid zeigte sich, wohl auch aus Marketinggründen, spendabel gegenüber Kreativen, stattete sie mit Kameras und Filmmaterial aus und konnte mit den Ergebnissen eine stattliche Polaroid Collection aufbauen.

In Vitrinen sind Polaroid-Kameras und rare Werkstatt-Papiermodelle zu sehen, aber, Technik beiseite, die Schau fokussiert auf künstlerische Aspekte. Für Andy Warhol und seine „Factory“-Mitstreiter, die wie Fische in der schnelllebigen Konsumwelt schwammen, kam Polaroid wie gerufen. Zwei Selbstporträts von Warhol (1978) zeigen sein vom Niesreiz verzerrtes Gesicht und dann „Andy niesend“, wie er Sekunden danach ein Taschentuch an die Nase drückt – was allerdings geschauspielert wirkt. Polaroid gibt keine Authentizitäts-Garantie.

Dennis Hopper verbindet die beiden Ausstellungen

Künstler wie David Hockney, Barbara Kasten oder im Zug der aktuellen Polaroid-Retro-Phase Cyprien Gaillard profitierten von der sofortigen Überprüfbarkeit der Ergebnisse in Farben und Formen. Mit Polaroid konnte man malen. Berühmte Beispiele sind die aus Einzelbildern zusammengesetzten quasi-kubistischen Räume von Hockney, ein solches Puzzle von 1986 hängt in der Ausstellung.

Dennis Hopper – im Obergeschoss sind seine schmutzig-trüben Sofortbilder aus Los Angeles zu sehen, Bretterzäune und Straßenstaub – verbindet die beiden Ausstellungen. Mit seiner SX-70-Kamera, die die quadratischen Bilder mit dem charakteristisch-breiten unteren Rand automatisch ausspuckte, ist der Hollywoodstar auch unten bei Wim Wenders zu sehen. Als „Der amerikanische Freund“ (Wenders-Film von 1977) liegt er in einer als Loop projizierten Filmszene auf einem Billardtisch und lässt Sofortbilder auf sich herabregnen wie Blüten zur eigenen Beerdigung. Polaroid, das immer gleich „alt“ aussah, Instant-Patina lieferte, verschärfte die der Fotografie ohnehin eigene Erfahrung von Zeit, Vergehen und Tod.

Wenders’ 240 Polaroid-Fotos der 60er bis 80er Jahre erzählen die Liebesgeschichte zwischen ihm und einem besonderen Fotoapparat. Auch der Filmregisseur wurde vom Polaroid-Unternehmen unterstützt, das ihm 1973 für den Dreh von „Alice in den Städten“ ein SX-70-Modell zur Verfügung stellte. „1. Foto von Polaroid“, schrieb der Regisseur in einem amerikanischen Diner unter das gelbstichige Sofortbild eines Toastbrots mit Ei und Schinken. Ein kleiner Haps für einen Menschen, ein großer Schritt in der Mediengeschichte. In dem kurzen Essayfilm „Instant Wonderland“ zeigt Wenders anhand von Ausschnitten aus „Alice in den Städten“, wie die Kurzzeitmaschine SX- 70 zum Dialogpartner des Helden Philip Winter wurde. „Da ist ja gar nichts drauf“, sagt die kleine Alice einmal zu ihm. „Musst noch ein paar Minuten warten“, lautet die Antwort. „Sofort“ war nämlich nicht ganz korrekt, aber es gehörte zum Zauber von Polaroid, dass das Bild allmählich aus dem Nichts auftauchte.

Wenders fotografierte auch zu Recherchezwecken

Das Gros der auf dunkelblauen Wänden präsentierten Polaroids aus den 70ern entstand auf USA-Trips des Regisseurs. Vom nebligen San Francisco in die unterbelichteten Straßenschluchten Manhattans: Es sind unscharf-fehlfarbige Ansichten, nicht ganz von dieser Welt. Wenders’ von Hollywood imprägnierter Blick lenkt die Kamera, die den Autor doch immer wieder auf die Schäbigkeiten dieses Amerika stößt: heruntergekommene Motels, Boardwalks, Wartesäle. Leben im Transit. Er fotografiert John-Ford-Filme vom Hotelfernseher ab, benutzt die SX-70 aber auch ausgiebig zu Recherchezwecken. Etwa bei der Location-Suche in San Francisco für seinen Schmerzensfilm „Hammett“, den er, nach Produzenten- Veto 1981, noch einmal komplett im Studio nachdrehen musste.

Was bleibt, sind die Bilder. Einen Tag nach John Lennons Ermordung im Dezember 1980 fotografiert Wenders die trauernden Massen im Central Park. „Es ging nicht nur um den Tod eines großen Mannes“, kommentiert der Fotograf. „Wie trauerten alle über das Ende einer ganzen Ära. Unserer Jugend.“

„Das Polaroid Projekt“ und „Wim Wenders. Sofort Bilder“, beide bis 23. September, C/O Berlin, Amerika-Haus, Hardenbergstraße 22–24, Mo–So 11–20 Uhr

Jens Hinrichsen

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