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Das Marschland Gavkhooni unweit von Isfahan im Zentraliran ist durch den Temperaturanstieg fast ausgetrocknet.

© imago/Xinhua

Poesiefestival Berlin: Belagerung der Stadt

"Werte Vers Kunst" lautet das Motto des Poesiefestivals Berlin 2018. Ein Ausblick vor dem Festivalstart am 24. Mai.

Von Gregor Dotzauer

Was die Poesie gegen den Klimawandel ausrichten kann, ist eigentlich die falsche Frage. Für praktische Maßnahmen ist die Politik zuständig, wobei sich auch der Einzelne nicht aus der Verantwortung stehlen sollte. Weitaus besser lässt sich begründen, wie Gedichte den Sinn für ein Phänomen zu schärfen vermögen, das sich hinter komplexen Daten und deutungsbedürftigen Zeichen versteckt.

Der karibische Dichter und Dramatiker Kendel Hippolyte, 1952 auf St. Lucia geboren, der Insel, von der auch Derek Walcott stammt, schreibt in seinem Tagebuch, dass es darum gehe, angesichts schleichender Prozesse „die Vorstellungskraft eines Kindes“ zu entwickeln. Es müsse gelingen, das Mögliche als das Wirkliche zu erkennen: „Wie Gerüchte über eine, die deine Stadt eingekreist hat, aber du siehst genau genommen gar keine Soldaten. Und dann, der Schuss eines Scharfschützen.“

Sein Gedicht „Fashionisten des Fortschritts“, das er am Samstag bei einem „Weltklimagipfel der Poesie“ im Rahmen des Berliner Poesiefestivals (24. bis 31. Mai) vortragen wird, ist in diesem Zusammenhang schon die vorweggenommene Wutpredigt nach der Apokalypse. Er ist aber auch nur eine Stimme in einem Quintett, in dem die Grönländerin Jessie Kleemann mit ihrem mystischen Zugriff auf Naturphänomene ebenso vertreten ist wie die im pakistanischen Lahore geborene Imtiaz Dharker, die sich selbst als „schottisch-muslimische Calvinistin“ bezeichnet.

Ai Weiwei trifft beim Chinaabend auf Zheng Xiaoqiong

„Werte Vers Kuns“ heißt das Motto des diesjährigen Festivals, das am Donnerstag mit fünf Vernissagen in Galerien eröffnet wird, die sich der konkreten, der visuellen und der Lautpoesie widmen. Am Freitag geht es an den Hauptspielort, die Akademie der Künste am Hanseatenweg, wo die traditionelle „Weltklang“-Nacht der Poesie stattfindet, unter anderem mit dem Go-Betweens-Sänger Robert Forster und der Language-Poetry-Legende Charles Bernstein. Der Schwerpunkt auf performative Formen verrät schon, dass man es weder mit dem politisch eindeutig konnotierten Wert noch mit dem Vers allzu genau nehmen sollte: Am Sonntag beschäftigt sich ein Symposion mit den „Arrièregarden“ des Konkreten. Im Gespräch mit Michael Lentz beteiligt sich daran auch Eugen Gomringer.

Auch die 1980 in der chinesischen Provinz Sichuan geborene Zheng Xiaoqiong, die wohl berühmteste Vertreterin der Wanderarbeiterpoesie, könnte ihr Lied zum Klimawandel beisteuern. Denn sie entwirft in ihren Gedichten ein vielgestaltiges Szenario der Globalisierungsfolgen. Die Autodidaktin Zheng schreibt eine Literatur der Arbeitswelt, die in ihrer Metaphernfreudigkeit zugleich schillernd doppeldeutige Bilder herstellt und handfest physischen Erfahrungen Ausdruck verleiht. Sie tritt am Dienstag bei einem Chinaabend zusammen mit Ai Weiwei und Yang Lian auf.
Mehr unter www.haus-fuer-poesie.org

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