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Poesie für Poesiehasser? In Detroit im US-Bundesstaat Michigan ist's möglich, wie dieses Graffiti zeigt.

© imago images/ZUMA Wire

Poesiefestival Berlin 2022: Wörter, Wanderungen Verwandlungen

Zum Auftakt des Poesiefestivals.

Von Gregor Dotzauer

Aus der Ferne wirkt die Poesie auf manche vielleicht wie ein einziger dunkler Kontinent voller verfeindeter Ethnien, deren aussterbende Sprachen außer den Eingeborenen kaum jemand versteht. Wovor Fiston Mwanza Mujila in seinem Beitrag in Bezug auf Afrika warnt, gilt auch für sie: Man muss schon näher hinsehen, um die verwirrende Vielfalt des Einzelnen und zugleich die vereinheitlichende Drift, der die Poesie mehr denn je ausgeliefert ist, zu erfassen. Und das wiederum geht nur, indem man hinhört: Der Klang macht in weitaus höherem Maß die Bedeutung als in erzählenden Formen der Literatur.

Im deutschsprachigen Raum erfährt man dies nirgends besser als beim Poesiefestival. Nach zwei Jahren der coronabedingten Verlegung in den digitalen Raum findet es in der Akademie der Künste am Hanseatenweg nun wieder vor Publikum statt – und zum letzten Mal unter der Ägide von Thomas Wohlfahrt. Im Herbst übergibt er sein Amt als Leiter des ausrichtenden Hauses für Poesie an Katharina Schultens. Ob in gebundener Rede, freien Versen oder reinen Lauten: Hier kommt alles aus aller Welt zusammen, und dass dabei allen schroffen Sprach-, Generations- und Registerwechseln zum Trotz dennoch so etwas wie eine Familie der Dichterinnen und Dichter entsteht, ist der besondere Reiz dieser Tage. Alle Details unter poesiefestival.org.

Der Eröffnungsabend heißt traditionell „Weltklang“ (17. 6., 19.30 Uhr). Wulf Kirstens gemächliche Wanderungen über ostdeutsche Erde treffen dabei wie selbstverständlich auf die hitzigen Performances der Äthiopierin Mihret Kebede. „Wörter wandern, verwandeln sich“ wird die französische, der Oulipo-Bewegung zugehörige, sinologisch und japanologisch beschlagene Dichterin Michèle Métail in ihrer Berliner Rede zur Poesie (19. 6., 19.30 Uhr) erklären: „Sie überschreiten alle Grenzen. Sprache ist Bewegung.“

Das muss nicht zur Erfindung eines aus allen Welt- und Wissensgegenden zusammengeklaubten Esperanto führen, das sie „Die Zwischensprache“ nennt. Doch etwas von dieser Kraft steckt schon in den natürlichen Sprachen. Das wird sicher auch der Übersetzungsworkshop „Versschmuggel“ (21. 6., 20 Uhr) beweisen, bei dem Gedichte zwischen Deutschland und vier exjugoslawischen Republiken ausgetauscht werden.

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