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Diskussion mit Adam Bousdoukos, Cymin Samawatie, Ersan Mondtag und Ijoma Mangold (v.l.n.r.).

© Christoph Soeder/ dpa

Podiumsdiskussion: Heimatabend im Schloss Bellevue

Vom „politischen Kampfbegriff“ bis zum „Zustand im Kopf“: Frank-Walter Steinmeier lud zum Nachdenken über Heimat ein.

Was Heimat bedeuten kann, war aus den Fenstern vom Schloss Bellevue lange Zeit gut zu beobachten. Bevor vor einigen Jahren das Grillverbot in Kraft trat, lagerten auf der großen Wiese jenseits der Straße an jedem warmen Wochenende große türkische Familien und grillten wie einst am Bosporus.

Wer sinnend am Rande stand, um einen kontemplativen Kontext herzustellen zwischen Heimatgefühl, Gemeinschaft  und Gemütlichkeit in fremden Gefilden, konnte urplötzlich herausgerissen werden und sich mit unerwarteter Gastfreundschaft konfrontiert sehen. Manchmal wurden Passanten spontan in eine Familienrunde eingeladen, als sei dies Niemandes Ausland, nur eine Kultur übergreifende Sommerfrische.

Grundlegende Schattenseite der deutschen Kultur

Beim Heimatabend, zu dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstagabend ins Schloss Bellevue geladen hat, wird ein anderer Spannungsbogen geschlagen. Den beschreibt Steinmeier in seiner Einführung mit Zitaten und eigenen Eindrücken. Vom „politischen Kampfbegriff“ bis zum „Sehnsuchtsbegriff“ eines Edgar Reitz reicht der, von Martin Walsers schönstem Namen „für Zurückgebliebenheit“ bis zu Fatih Akins „Zustand im Kopf“.

Auch das Kunstwort „Haymat“ spielt eine Rolle. In dem verbirgt sich das türkische Wort „hayat“, das „Leben“ bedeutet. Es der Titel eines Buchs von Kristina und Firat Kara, die unter den Gästen sind, wie auch die Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar, die der Bundespräsident zitiert mit dem Satz: „Meine deutschen Wörter haben keine Kindheit“. Er habe von den türkischen Nachbarn in Moabit viele Geschichten von fehlender Anerkennung gehört, berichtet Steinmeier.

Frank-Walter Steinmeier mit seinen Gästen.
Frank-Walter Steinmeier mit seinen Gästen.

© Christoph Soeder/dpa

Dass auch Ur-Berliner und andere Bio-Deutsche oft unter einem Mangel an Wertschätzung leiden, mag eine grundlegende Schattenseite der deutschen Kultur sein, die an dieser Stelle nicht thematisiert wird. Auch andere Fragen passen nicht in diesen Zusammenhang. Am Vorabend vom Jahrestag des Sürücü-Ehrenmordes zum Beispiel der Aspekt, mit welch fatalen Folgen  Menschen in einem Land Heimat suchen, dessen Kultur sie verachten.

Dies ist vor allem ein positiver, womöglich auch heilend gemeinter Abend. Und genau an solchen Signalen hat es zu oft und zu lange gefehlt. „Sie haben Deutschland zu einem offeneren und vielfältigeren Land gemacht“, dankt der Bundespräsidenten den anwesenden Migranten stellvertretend.

Natürlich ist das eine eigene Elite, die hier versammelt ist, mit Geistesgeschwistern in der ganzen Welt, die Heimat wohl zuallererst in der Kunst suchen dürften, erst dann in einem Land. Offenheit, Neugier, Experimentierfreude sind Teil der Persönlichkeit, ganz unabhängig von den jeweiligen Wurzeln. 

„Ausländer“ versus „Menschen mit Migrationshintergrund“ 

Die neue deutsche Vielfalt drückt sich live aus, nicht mehr in Duft von Gegrilltem, sondern in Musik, unter anderem vom Quartett Cyminology und Sultan Tunc, bekannt als Rasta Baba, in Filmausschnitten und einem vom Ijoma Mangold moderierten Gespräch, in dem es um Begrifflichkeiten geht wie „Ausländer“ versus „Menschen mit Migrationshintergrund“, um den schwarzen Peter der über die Jahrzehnte weitergegeben wurde von Italienern an Griechen an Türken und schließlich an Muslime.

Es geht um den sozialistisch klauenden Vater aus Kasachstan (nichts von Privatpersonen!) und wie entwürdigend es sein kann, wenn so einer mehr Angst vor dem Gang auf ein deutsches Amt hat als vor der Waffe im eigenen Gesicht. In dieser schon durch Digitalisierung unumkehrbar globalisierten Welt geht es in erster Linie um Geschichten, die Geschichte formen. 

Die Musik aber vor allem illustriert einen besonders bedenkenswerten Satz des Bundespräsidenten: „Heimat gibt es auch im Plural“.

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