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Sofia Kappel spielt Linnéa aka Bella Cherry.

© Plattform Produktion

„Pleasure“ im Kino: Bein hier, Brust da – ein Blick hinter die Kulissen der Pornoindustrie

Erfolgreich und erniedrigt: Die schwedische Regisseurin Ninja Thyberg zeigt in ihrem Debütfilm „Pleasure“ die Erfahrungen einer Pornodarstellerin.

Es dauert keine zehn Minuten, bis in „Pleasure“ der erste erigierte Penis zu sehen ist. Groß und bedrohlich ragt er über Bella Cherrys Kopf, die eigentlich Linnéa heißt und mit 19 Jahren aus einer schwedischen Kleinstadt nach Los Angeles gereist ist, um Pornostar zu werden. Es ist ihr erster Dreh, sie zweifelt. „Das ist Lampenfieber, da musst du durch, das musst du durchbrechen“, redet der Regisseur auf sie ein. „Aber kein Druck“, fügt er hinzu. Linnéa reißt sich zusammen, die Kamera läuft. Bella Cherry ist geboren.

„Pleasure“ beleuchtet die Grenzen von Zwang und Freiwilligkeit, vor dem Hintergrund einer oft verteufelten Branche. Vor dem Dreh unterschreibt Linnéa eine Erklärung, in der sie expliziten sexuellen Akten zustimmt. Aber, das lernt sie schnell, wer es nach oben schaffen will, muss bereit sein, alles zu tun. Und darf sich nicht beschweren.

Jahrelang recherchierte die schwedische Regisseurin Ninja Thyberg für ihren Debütfilm in der Pornoindustrie. Bis auf die Hauptdarstellerin Sofia Kappel sind die Rollen mit echten Akteur:innen der Branche besetzt, vom Agenten Mark Spiegler bis zur Regisseurin Aiden Starr, gedreht wurde teils an echten Pornosets. Seit sie Teenagerin ist, interessiere sie sich für die Thematik, sagte Thyberg in Interviews. Zunächst als strikte Anti-Porno-Aktivistin, später änderte sich ihr Blick. Dass „Pleasure“ weder dezidiert für noch gegen Pornografie Partei ergreift, macht ihren Film so stark.

Die Story folgt dem „Showgirls“-Muster

Die vorhersehbare Story folgt dem „Showgirls“-Muster: Eine ehrgeizige, aber naive junge Frau kommt aus der kleinen in die große Stadt, um Karriere zu machen. Auf dem Weg nach oben muss sie immer mehr ihrer Seele verkaufen, bis sie am Ziel ihrer Träume angelangt, aber innerlich leer ist. Besonders macht „Pleasure“ erst das Setting. Denn es geht hier eben nicht ums Singen oder Tanzen, sondern um Sex.

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Mit Spaß oder Erotik haben die Filmdrehs allerdings rein gar nichts zu tun. Thyberg präsentiert sie als ein Arrangement der Körperteile, Bein hier, Brust da. Während des Akts nimmt die Kamera auch Linnéas Blickwinkel ein, sie sieht meistens nur Füße. Ab und zu erinnert „Pleasure“ gar an den Körperhorror von „Titane“, für den Julia Ducournau 2021 in Cannes die Goldene Palme gewann. Etwa, wenn sich Linnéa in Nahaufnahme ihren Intimbereich rasiert. Die Rasierklinge schrappt schludrig über bereits gereizte Haut, unweigerlich kommt die Angst, sie könnte sich aus Versehen verstümmeln.

Später ist nur Linnéas schmerzverzerrtes Gesicht zu sehen, während sie eine Szene dreht: Doppel-Anal, genau das richtige, um den bekannten Agenten auf sich aufmerksam zu machen und ein „Spiegler-Girl“ zu werden. Die sind hoch angesehen und gut bezahlt. Voraussetzung: keine Grenzen. Je krasser desto besser.

„Pleasure“ klagt an, aber macht auch Spaß

Die seelischen Schmerzen sind noch deutlich schlimmer als die körperlichen. In einer langen, verstörenden Einstellung gerät ein „harter“ Dreh außer Kontrolle. Als Linnéa später vor ihrem Agenten von Vergewaltigung spricht, will der davon nichts hören. Sie sei ja freiwillig ans Set gekommen.

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Männer, die überreden, ziehen sich durch alle Drehs, mit Ausnahme von Aiden Starr, bei der viele andere Frauen am Set arbeiten und Einwilligung keine abgedroschene Phrase ist. „Pleasure“ ist aber nicht nur anklagend, sondern macht auch Spaß. Thyberg spielt mit der künstlichen Ästhetik der Pornos, der Soundtrack von Karl Frid wechselt abrupt zwischen sphärischem Operngesang und explizitem Rap.

Die Protagonistin bleibt ein Rätsel.
Die Protagonistin bleibt ein Rätsel.

© Plattform Produktion

Nach einer Reihe von Erniedrigungen und Erfolgen, wird Linnéa selbst vom Opfer zur Täterin. Die Protagonistin, von der Newcomerin Sofia Kappel mit stoischer Entschlossenheit und laszivem Schlafzimmerblick gespielt, bleibt dabei ein Rätsel. Sie möge einfach Schwänze und gefilmt zu werden, mehr ist über ihre Beweggründe nicht zu erfahren. Einmal sagt sie, ihr Vater habe sie vergewaltigt, lacht das aber als Scherz weg. Eine Frau muss keine traumatischen Dinge erlebt haben, um diese Karriere zu wählen, will Thyberg offenbar vermitteln – ein bisschen mehr über das Seelenleben ihrer Protagonistin hätte man trotzdem gern erfahren.

Lässt man Penisse und Analplugs beiseite, ist „Pleasure“ eine Parabel auf Frauen am Arbeitsplatz. „Du wirst leider überall auf Idioten treffen“, sagt Linnéas Mutter am Telefon, die denkt, ihre Tochter mache ein Praktikum. „Du musst lernen, damit umzugehen.“ Wer Macht hat, kann machen, was er will. Und Macht haben eben meist die Männer, gerade in der Pornoindustrie. Eine von Linnéas Kolleginnen beschreibt, wie sie von ihrem Agenten gegen ihren Willen prostituiert wurde – ein angeblicher Filmdreh war gar keiner. „Er hat die Kamera nicht mal angemacht“, sagt sie achselzuckend. Nicht der Sex ist das Problem, sondern die Verhältnisse.

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