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Radiohead-Gitarrist Ed O'Brien aka EOB. Sein neues Album „Earth“ erscheint am 17.04.2020.

© Universal Music/dpa

Plattendebüt von Ed O’Brien: Radiohead-Gitarrist auf Solo-Pfaden

Zwischen Weltumarmungspop und hartem E-Gitarren-Rock: Ed O'Briens Solodebüt „Earth“ passt perfekt in die Gegenwart. 

Die Menschheit stirbt nicht aus, der Untergang findet nicht statt. Das Ende ist ein Anfang. „Breaking News“ melden im Fernsehen den Kontakt mit Außerirdischen. Wetterleuchten kündigt ihre Ankunft an. Der Himmel verfärbt sich grau, lila, regenbogenfarbig. Aus den Städten strömen Menschen hinaus in den Wald. 

Staunend versammeln sie sich in einer Lichtung um eine Betonpyramide. Sie erinnert an das Prisma auf dem Cover des Pink-Floyd-Albums „The Dark Side of the Moon“, in dem sich ein weißer Lichtstrahl bricht. Und an die Betonstele auf der The-Who-Platte „Who’s Next“, ein Objekt von Stanley-Kubrick-hafter Rätselhaftigkeit.

Die Betonpyramide stammt aus dem Video zu Ed O’Briens Song „Brasil“. Er ist das Herzstück des Albums „Earth“, das der Gitarrist der britischen Rockband Radiohead gerade unter seinem Kürzel EOB veröffentlicht hat. 

Eine der schönsten Platten dieses Frühjahrs 

Das achteinhalbminütige Epos beginnt mit sanften Folkgitarrentönen, einer sphärisch wimmernden Geige und O’Briens Stimme, die tastend von Alpträumen und Abschiedsgefühlen singt. Und dann setzt ein pulsierender Four-to-the-Floor-Electrobeat ein, die Stimme hebt sich und bekennt euphorisch: „And I feel the love again / Feel the love again“. Ein Mantra.

O’Briens erstes Soloalbum gehört zu den schönsten Platten dieses Frühjahrs. Seine Lieder verwandeln sich – „Brasil“ ist das Musterbeispiel dafür –, sie verpuppen sich wie eine Raupe, die zum Schmetterling wird. Das Eröffnungsstück „Shangri-La“, in dem O’Brien mit fistelndem Falsett singt, wechselt von fingerschnipsendem Weltumarmungspop zu hartem E-Gitarren-Rock. 

Das fast neunminütige „Olympik“ lässt Rumpelelektronik wie aus den 90ern in Coldplay-artig dengelnden Stadionsound münden. „Cloak of the Night“ changiert mit Lagerfeuergitarre und verhallten zweistimmigen Chören zwischen traditionellem Folk und den psychedelisch eiernden Soloaufnahmen des ehemaligen Pink-Floyd-Sängers Syd Barrett.

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„Brasil“ ist eine Art Liebeserklärung, eine Erinnerung an die acht Monate, die Ed O’Brien 2012 mit seiner Familie auf einer Farm im brasilianischen Südosten verbrachte. Sich in den Karneval zu stürzen, sagt er, war ein „Heureka-Moment“. Das Album sei inspiriert vom „Geist und Sein in Brasilien“, von „Offenheit, Rhythmus und Farbe“. 

Während seines Aufenthalts entdeckte er die Platte „Screamadelica“ wieder, ein Rave-Klassiker aus dem Jahr 1991, auf dem Primal Scream Indierock und House Music fusionierten. Ein zweites Heureka-Erlebnis. Ganz in dieser Tradition bezeichnet O’Brien „Earth“ als „existenzialistisches Tanzalbum“. Wobei: Wirklich tanzen kann man dazu nicht, aber das Konzept ist klar.

An den Stücken hat der 52-jährige Gitarrist, unterbrochen von seinen Band-Verpflichtungen, seit Jahren gearbeitet. Nun passen sie perfekt in eine Gegenwart, in der das Leben auf dem Planeten gleich in doppelter Hinsicht bedroht ist - vom Klimawandel und vom Virus. 

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Produziert wurde „Earth“ von Mark Ellis, besser bekannt unter seinem Pseudonym Flood, der schon für U2, Depeche Mode und New Order gearbeitet hat.

Mitgewirkt an den Aufnahmen haben unter anderem die Sängerin Laura Marling, Adrian Utley von Portishead, der Wilco-Drummer Glenn Kotche und Radiohead-Bassist Colin Greenwood. Ein kleines Starensemble. Ursprünglich wollte O’Brien seinen Radiohead-Kollegen Thom Yorke bitten, den Gesang zu übernehmen. 

Dass er nun stattdessen selbst zu hören ist, ist ein Gewinn. Seine zerbrechlich wirkende Stimme, der er so wenig zutraute, trägt die Songs. Yorke hat im letzten Jahr sein gelobtes, ausfransendes Neoprogrock-Album „Anima“ herausgebracht. Auch Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood und Schlagzeuger Phil Selway veröffentlichten bereits Solomaterial und Soundtracks.

Infektion mit Corona-Virus

„Banksters“ – eine Verschmelzung der Berufsbezeichnungen Banker und Gangster – heißt ein Lied auf der Platte, das O’Brien nach der Finanzkrise von 2008 geschrieben hat. Da zitiert der Sänger die Devise „In God we trust“, die auf der Rückseite des Ein-Dollar-Scheins zu lesen ist und fragt repetierend: „Where did all the money go?“ 

Wohin ist das ganze Geld verschwunden? Dazu scheppert ein metallischer Rhythmus, bei dem man die Münzen förmlich durchs Rost fallen hört, hinab ins Nichts.

Die aktuelle Krise hat Ed O’Brien am eigenen Leib zu spüren bekommen. Er infizierte sich mit dem Corona-Virus und verbrachte eine mehrwöchige Quarantäne in seinem Haus in Wales. Seine Symptome waren schwach, er habe sich müde und ausgelaugt gefühlt, nun sei er aber wohl über den Berg, erzählte er in einem Radiointerview.

Auf Anfang des Videos zu „Brasil“ gleitet die Kamera auf den Erdball zu. So beginnt in einem Science-Fiction-Film beginnt eine Attacke aus dem Weltall. Doch fürchten muss sich niemand. „There’s no fear now“, singt O’Brien. Hoffnung spenden, auch dafür ist die Musik wohl einmal erfunden worden.
„Earth“ von Ed O'Brien ist bei Capitol/Universal erschienen]

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