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Ein Fan posiert mit der Wachsfigur im neuen Chaplin-Museum.

© Laurent Gillieron/dpa

Pilgerort für Chaplin-Fans: Zu Besuch bei Charlie Chaplin

Charlie Chaplin lebte bis zu seinem Tod in einer Villa bei Montreux. Jetzt hat dort „Chaplin’s World“ eröffnet, ein Treffpunkt für Fans und Filmmuseum.

Das Chaplin-Universum beginnt, lange bevor man sich seinem ehemaligen Wohnsitz nähert. Da sind zunächst die 10-Stockwerk-hohen Wohntürme, auf die Chaplin-Porträts und Szenen aus seinen Filmen gemalt sind. Das „Modern Times“-Themenhotel liegt am Weg, das ein Reise-Rundumpaket in die Welt des „Vagabunden“ anbietet. Schließlich das Zentrum, „Chaplin’s World“: die Villa mit 40 Zimmern, in der er bis zu seinem Tod lebte.

Der Kanadier Yves Durand, einflussreicher Ideengeber und Finanzbeschaffer, träumte sechzehn Jahre lang von seinem persönlichen Wunder: der Wiederauferstehung Charlie Chaplins. Der Größte der Filmgeschichte sollte zurückkehren an seinen Ort: in die ehemalige Villa, im Dörfchen Corsiers-sur-Vevey bei Montreux. Da, wo die Schweiz am schönsten ist, zwischen Weinbergen und Genfer See, in einem 3000 Quadratmeter weiten Park mit Blick auf die Alpen. Hier verbrachte Chaplin seine letzten 25 Jahre. Und jetzt vielleicht noch eine Ewigkeit.

Chaplin lebt! Das ist die Botschaft, die nun in die Welt posaunt wird. Nur mit Elvis’ Tempel Graceland sei das alles zu vergleichen. Eine Kultstätte, ein Mammutmuseum mit 15000 Objekten, darunter viel Persönliches. In einer Vitrine glänzen, frisch poliert, der Goldene Löwe und der Ehren-Oscar, den sich der Schauspieler, Regisseur, Produzent und Filmkomponist kurz vor seinem Tod noch persönlich in Hollywood abgeholt hatte, eine von 23 internationalen Auszeichnungen. Das alles kaufte die Produktionsgesellschaft „Société des Alpes“ in aller Welt zusammen.

Der Geist Chaplins ist noch vorhanden

Nebenan, im Schlafzimmer, ist er gestorben. Überall Devotionalien, Fotos, Briefe, die die Filmlegende an seinem schweren Schreibtisch aus Ebenholz schrieb. Im Wohnzimmer schnurren private 16-Millimeter-Filme, die seine Frau Oona gedreht hat. Es wirkt ein bisschen, als wäre Chaplin nur mal nach draußen gegangen. Vor dem Herrenhaus steht Eugène Chaplin, einer der Söhne: „Ich bin der Letzte der Familie, der hier ausgezogen ist, vor zehn Jahren. Ein Ort voller praller Erinnerungen, an dem meine Eltern sehr glücklich gewesen sind.“

Das Glück kam spät zu Chaplin. Von seinen Problemen ist natürlich nirgendwo die Rede, seiner Vorliebe für sehr junge Frauen etwa oder dem Familienclinch mit Sohn Michael. Davon will hier auch keiner etwas wissen. Schließlich hat sich der weitverzweigte Chaplin-Clan noch einmal versammelt, um „Chaplin’s World“ in Augenschein zu nehmen. Das Urteil: Der „Geist Chaplins“ sei immer noch vorhanden.

Ein Disneyland, wie manche befürchteten, ist es nicht geworden. Tief bewegte Fans stolpern vom Gift Shop direkt ins „Studio“, eine Inszenierung von hollywoodartigen Ausmaßen. Man landet im Kinosaal. Chaplin empfängt den Besucher mit einer kleinen Rede vom Band.

Dann stürzt die Leinwand zur Seite, dahinter taucht eine Bühne auf, Kulissen, nachgebaute Straßen und Plätze aus den schäbigen Londoner Armenvierteln der Zeit um 1900. Der Zuschauer wird immer weiter nach vorne geschubst, durchschreitet Meter für Meter Filmgeschichte, von Szene zu Szene. Er wird bombardiert mit Filmschnipseln von „City Lights“ und „The Kid“, verliert sich auf nachgebauten Rolltreppen und schwankt über existenziellen Abgründen, in dem infernalisch schaukelnden Hüttenimitat aus „Moderne Zeiten“. Ein bisschen Klamauk darf es schon sein.

Chaplin neu entdecken

Die Schweiz war sein Exil

Nun meldet sich Chaplin erneut zu Wort, diesmal als „Großer Diktator“. Eine unvergleichliche Sprachorgie, eine Gestik zum Brüllen. Die grandiose Hitler-Parodie wirft viele Fragen auf, zum Beispiel: Keiner hat einen Diktator so hemmungslos, so vollkommen und so voller Lust dekonstruiert und lächerlich gemacht wie Chaplin. Vielleicht brauchen wir einen solchen Großmeister, der unsere gegenwärtigen Despoten alt und grau aussehen lässt?

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Das Jahr1952 ein entscheidender Wendepunkt in Chaplins Leben: der Weg in die Schweiz. Die US-Behörden der McCarthy-Zeit verweigern ihm die Einreise, mit der Begründung „unamerikanischer Umtriebe“. Chaplin erfährt davon auf dem Dampfer, der ihn zu einer Tournee nach Europa bringt, wo er notgedrungen bleibt. Die sonnigen Tage in der Schweiz sind für ihn auch ein erzwungenes Exil.

Der Workaholic hat hier weiter an Filmen gearbeitet, etwa der „Gräfin von Hongkong“ mit Sophia Loren und Marlon Brando. Mit der Landschaft, die ihn umgab, fühlte er sich osmotisch verbunden. Die fantastische Schweizer Riviera zwischen Lausanne und dem Wallis, die sonnendurchfluteten Weinberge des Lavaux, die schneebedeckten Alpengipfel und der Genfer See waren ihm eine Zeit lang Energiezentrum und Paradies. Sie wurde aber auch zur Bühne eines traurigen Endspiels. Chaplin wurde krank, irgendwann konnte er nicht mal mehr ein Champagnerglas halten.

Kaum ein Künstler hat so viel Aufmerksamkeit erregt

Weihnachten 1977 starb er. Die Leiche wurde von zwei Provinzkriminellen ausgebuddelt, die einen Erpressungsversuch starteten. Sie gingen der Polizei rasch ins Netz. Aus Schutz vor Wiederholungstätern wurden Chaplin und seine Frau unter einer meterdicken Betonwand erneut bestattet. Das alles ist nur ein paar Gehminuten von „Chaplin’s World“ entfernt.

Charles Chaplin gehört zu den Menschen, die man sich tot nicht vorstellen kann. Kaum ein Künstler des 20. Jahrhunderts hat so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zu seinen Freunden zählten Picasso, Einstein, Churchill und Sophia Loren, Marc Chagall und Bertolt Brecht, Marlene Dietrich und Marlon Brando, ja sogar Michael Jackson. Er durfte mehrfach in Chaplins Haus übernachten, flog mit dem Hubschrauber ein. Sein „Moon Walk“ soll stark von Chaplins Art zu gehen inspiriert worden sein.

60 Millionen Dollar wurden insgesamt investiert – von Grévin, derselben Firma, der auch das Pariser Wachsfigurenkabinett gehört. Das ist nicht unbedingt ein Vorteil. Heute bevölkern ein paar Dutzend Wachsfiguren das Haus, die zum Teil scheußlich aussehen. Einen Einstein im Bad, der die Zunge herausstreckt. Man hätte sich das sparen können.

Chaplin neu entdecken

„Chaplin’s“ World ist dennoch weder Mausoleum noch Mottenkiste geworden. Eher ein Anlass, Chaplin neu zu entdecken, auch sinnlich. Denn er war trotz seiner fulminanten Slapstickkunst alles andere als ein Clown. Daneben sehen einige Ikonen des 21. Jahrhunderts ziemlich blass aus. Sogar Lenin, der nicht unbedingt für seine Launigkeit bekannt war, zollte ihm Anerkennung. Der Revolutionär soll gesagt haben: „Charlie Chaplin ist der einzige Mensch, den ich gerne kennenlernen würde.“

Werner Bloch

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