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Mitsuko Uchida

© promo

Pianistin Mitsuko Uchida: Kompositionen sind wie Kinder ...

... wer weiß, ob sie sich benehmen. Die Pianistin Mitsuko Uchida spricht mit dem Tagesspiegel über Klassik, Kunst und Lautstärke.

Frau Uchida, Sie sind eine leidenschaftliche Museumsbesucherin. Gibt es für Sie Seelenverwandtschaften zwischen Komponisten und bildenden Künstlern?

Für mich besteht tatsächlich eine Verbindung zwischen Schubert, Tilman Riemenschneider und van Gogh. Ich sehe bei ihnen eine seelische Unschuld. Ich glaube, wenn man ihre Werke schälen könnte, bis nur noch der innerste Kern übrig bliebe, dann wäre er durchsichtig.

Eine Riemenschneider-Madonna hat auf den ersten Blick aber nicht viel mit Schuberts „Schöner Müllerin“ zu tun.

Aber der Riemenschneider kann mit einer einzigen Linie zeigen, wie ein Mensch gelebt und gelitten hat! Im Victoria & Albert-Museum in London gibt es eine Figurengruppe, die mich fasziniert, seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Sie besteht aus einem Engel und einem Ehepaar – und Sie erkennen genau: Die beiden Menschen haben gelebt, der Engel nicht. Diese Reinheit der Empfindung finde ich eben auch bei Schubert. Schubert ist der unschuldigste Mensch der Musikgeschichte. Was er auch tatsächlich getan haben mag, seine Seele hat das nie befleckt.

Aber Schubert, das ist doch auch Rastlosigkeit und der Wille, Grenzen zu sprengen …

Ach wo, der Schubert wollte nix sprengen, der hat nur komponiert. Gewalt gibt es bei Beethoven, nicht bei Schubert.

Suchen Sie in der klassischen Musik eigentlich immer das Gute, das Reine?

Das kann man nicht suchen, entweder es ist da oder nicht. Bei Mozart ist es zum Beispiel nicht da, dafür hatte er die Gabe, Dummheit in ein transzendentales Ereignis umzuwandeln – das konnte außer ihm nur noch Shakespeare. Beethoven war regelrecht böse darüber, dass Mozart mit „Così fan tutte“ eine Oper über die menschliche Dummheit geschrieben hat.

Finden Sie diese transzendierende Dummheit auch in Mozarts Klaviermusik?

Für mich ist jedes Mozart-Stück an Charaktere gebunden, fast jedes ist eine Oper. Überall finden sich Szenen aus dem Menschenleben, auch ganz alltägliche. Wenn ich Mozart spiele, mache ich Oper.

Und Beethoven? Das 19. Jahrhundert hat ja gerne die Parallele zwischen Beethoven und Michelangelo gezogen.

Natürlich, weil beide diese Kraft haben, aber bei Michelangelo spüre ich nicht die tiefe Spiritualität, die Beethoven eben auch besitzt. Die sehe ich viel eher in der Auferstehung von Piero della Francesca in Borgo San Sepolcro. Da ist Christus kein hübscher Jüngling – sondern man merkt, dass er wirklich tot war. Und Beethoven kann auch in der Hölle noch zum Himmel aufblicken.

Haben diese Parallelen zwischen Musik und bildender Kunst Ihr Spiel beeinflusst?

Höchstens unbewusst. Aber ich denke, die Musik ist die Musik und existiert für sich allein.

Sie sehen auch keine Farben beim Spielen, wie etwa der Komponist Olivier Messiaen?

Nein, nicht mal bei dessen Musik. Da empfinde ich hauptsächlich, wie sehr Messiaen an Gott gedacht hat. Das ist übrigens eine Seltenheit: Außer Bach waren die klassischen Komponisten ja nicht besonders religiös.

Vergleicht man Ihr jetziges Spiel mit Ihren älteren Aufnahmen, fällt auf, dass Sie inzwischen viel mehr leise Töne wagen.

Ich wollte immer leise spielen – ich glaube, das war mir schon als Baby klar. Dass man das jetzt stärker wahrnimmt, liegt wohl daran, dass ich inzwischen besser Klavier spiele als früher. Man wird einfach ausdrucksstärker, je länger man lebt. Früher bekam ich immer gesagt, ich sei zu leise, inzwischen beschwert sich keiner mehr, obwohl ich jetzt viel leiser spiele. Mein Schubert zum Beispiel ist sehr leise. Kaum einer komponiert ja leiser als er. Mit hat ein Klavierbauer für historische Klaviere mal gesagt: „Endlich eine Pianistin! Die anderen sind doch nur Fortisten!“ Das hat mich sehr gefreut.

Schubert, Mozart, Beethoven – das Herz ihres Repertoires sind die Wiener Klassiker. Weil Sie in Wien aufgewachsen sind?

Ohne Wien würde ich jedenfalls anders spielen. Wenn ich nicht mit zwölf nach Wien gekommen wäre, wäre ich vermutlich nicht mal Musikerin geworden. Ganz sicher spielt diese Sozialisation eine Rolle für meinen Schubert und für Berg, Schönberg und Webern. Nicht für Mozart, der ist universell, aber für die zweite Wiener Schule muss man einfach diesen Dreivierteltakt und die besondere Weichheit der Wiener Musik verinnerlicht haben.

Dabei ist gerade diese Musik bei vielen als intellektuelles Trockenfutter verschrien.

Mein Lehrer, der Richard Hauser, hatte ja beim Webern Unterricht und hat mir eine Geschichte erzählt: Eines Tags sei er zu früh gekommen, die Tür zu Weberns Arbeitszimmer habe halb offen gestanden. Da habe er heimlich zugehört, wie Webern seine Variationen spielte – und es habe geklungen wie hochromantische Musik. Als Webern ihn bemerkt habe, hätte er gesagt: Nicht wahr, das rauscht wie bei Chopin?

Also wird diese Musik meist missverstanden?

Ach, ich halte es da mit dem Boulez. Der sagt immer, Kompositionen sind wie Kinder – man weiß nie, wie sie sich benehmen werden. Es gibt da nicht richtig oder falsch. Was zählt, ist nur, dass man die Musik ehrlich erlebt.

Spielt die Moderne denn bei Ihrer Liebe zur bildenden Kunst auch eine Rolle?

Maler wie Mark Rothko bedeuten mir viel. Nur muss Kunst für mich einen inneren Wert besitzen, der über den bloßen Moment und seine Aufregungswirkung hinausgeht. Marcel Duchamps Urinal zum Beispiel interessiert mich nicht. Ein Freund, der Kunsthistoriker David Sylvester, hat mich einmal zu einer Ausstellung mit Stillleben des 20. Jahrhunderts mitgenommen. Da waren alle Stars vertreten, doch am meisten beeindruckte mich ein kleines Stillleben von Cezanne, das der Ausstellung vorangestellt war.

Sammeln Sie eigentlich Kunst?

Nein, ich bin ein Anti-Sammler! Man soll im Leben keine unnötigen Sachen aufhäufen. Das raubt einem nur Zeit und Energie. Selbst meine frühen englischen Porzellane besitze ich nur, weil ich gern meinen Tee aus ihnen trinke. Es würde mir aber nichts ausmachen, sie wegzugeben und nur eine einzige Tasse zu behalten.

Den Abschluss Ihrer Konzertreihe bei den Berliner Philharmonikern bildet ein Beethoven-Abend. Bei Ihren CD-Einspielungen hat man den Eindruck, dass Beethoven erst spät ins Zentrum Ihres Interesses gerückt ist.

Aufnahmen sind oft Zufälle. In meinen Wiener Jahren habe ich sehr viel Chopin und Debussy gespielt, nur hatte ich damals eben keinen Plattenvertrag. Und als ich einen hatte, sollte ich erstmal Schubert einspielen. Aber dann kam der Amadeus-Hype dazwischen und ich musste Mozart aufnehmen. Weil sich die erste Aufnahme gut verkaufte, sagte mein Produzent: Sorry, aber jetzt musst du noch mehr Mozart spielen. Das zog sich hin, und zwischen 1983 und 1987 habe ich so viel Mozart gespielt, dass sich die anderen Komponisten entfernten. Man ändert sich ja auch physisch, wenn man nur einen Komponisten spielt. Meinen Weg zurück zu Beethoven musste ich mir erst wieder erkämpfen.

– Das Gespräch führte Jörg Köngisdorf.

Mitsuko Uchida, 1948 in Japan geboren, ist

zurzeit Pianist-in-Residence bei den Berliner Philharmonikern. Am heutigen Sonnabend gibt sie das erste Konzert in ihrer Berliner

Saison im Kammermusiksaal, mit Stipendiaten der Orchesterakademie. Auf dem

Programm steht Mozarts A-Dur-Klavierkonzert KV 414 und

Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“.

Sie wird in dieser

Saison auch Schumanns Klavierkonzert mit Simon Rattle aufführen (11. – 13.2.09) und an vier Kammermusikabenden die Vielseitigkeit ihrer künstlerischen Persönlichkeit zeigen. Die in Wien aufgewachsene Japanerin zählt zu den großen Pianistinnen der Gegenwart und ist vor allem für ihre Interpretationen der Wiener Klassiker bekannt: Für Mozart und Schubert, aber auch Beethoven, dessen Hammerklaviersonate sie kürzlich auf CD einspielte (Philips).

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