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Legendär. Pressler, 1923 geboren, wurde mit dem Beaux Arts Trio berühmt.

© picture alliance / dpa

Pianist Menahem Pressler im Gespräch: „Ich spüre das Alter nicht, wenn ich spiele“

Der 94-jährige jüdische Pianist Menahem Pressler über Ehrlichkeit in der Musik und die Quelle seiner Lebensfreude.

Herr Pressler, am Sonntag feiern Sie Ihren 95. Geburtstag. Freuen Sie sich darauf?

Ja natürlich. Vor allem, wenn es so bleibt, wie es im Augenblick ist, dass ich noch spielen und unterrichten kann, dass ich wichtige Konzerte habe. Der polnische Pianist Mieczyslaw Horszowski hat bewiesen, dass man auch mit hundert Jahren Konzerte geben kann, die schön sind und vom Publikum genossen werden.

Würden Sie sagen, dass Sie im Alter mit einem anderen Blick auf die Noten schauen als früher?

Das weiß ich eigentlich nicht. Denn ich spüre das Alter nicht, wenn ich spiele. Ich spüre nur die Musik. Aber vielleicht verändert sich tatsächlich der Blick, entdeckt man plötzlich Ausdrucksmöglichkeiten, die einem früher vielleicht nicht zur Verfügung standen.

1946 haben Sie den Debussy-Klavierwettbewerb in San Francisco gewonnen. War das der Start ins Glück?

Dieses Glück verdankte ich dem Pianisten Paul Loyonnet, mit dem ich in damals in Israel auftrat. Er, der Debussy noch persönlich kannte, zeigte mir, wie man Debussy spielt. Wir waren mindestens drei Wochen zusammen, es waren die wichtigsten drei Wochen in meinem Leben. Man spielte in diesem Wettbewerb übrigens hinter einem Vorhang, so dass die Richter den Spieler nicht sehen konnten.

Sie sind 1923 in Magdeburg geboren? Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Ich erinnere mich an den wunderschönen Dom. Ich ging aufs Dom-Gymnasium, das ich dann aber als Jude verlassen musste. Und ich erinnere mich an meinen Klavierlehrer. Er selbst war Organist an der Kirche und gab mir Unterricht, obwohl es ihm nicht erlaubt war. Er kam zu mir oder ich ging zu ihm, solange ich die Straßenbahn benutzen durfte. Er hat einen Platz in meinem Herzen.

Wie haben Sie die Nazis erlebt?

Grausam. Wenn ich auf die Straße ging, liefen die Jungs hinter mir her, beschimpften mich und wollten mich schlagen. Das waren dieselben Jungs, mit denen ich in die Schule ging, mit denen ich sozusagen befreundet war. Diese plötzliche Änderung war gewaltig. Der Schreck steckt mir noch immer in den Knochen.

1939 ist Ihrer Familie im letzten Moment die Flucht aus Deutschland gelungen.

Wir waren bis Triest gekommen und bekamen dort die Reiseerlaubnis nach Palästina. An dem Tag, an dem wir in Haifa anlegten, trat Italien mit Mussolini in den Krieg ein.

Ihr Name ist untrennbar verbunden mit dem Beaux Art Trio, in dem Sie 53 Jahre lang gespielt und das Sie über all diese Zeit in wechselnden Besetzungen zusammengehalten haben.

Als wir das Trio gründeten, hatte ich das Glück, zwei großartige Leute zu finden. Den Geiger Daniel Guilet, ehemals Konzertmeister bei Arturo Toscanini, und Bernard Greenhouse, wahrscheinlich einer der besten Cellisten, den es je gab.

Mit dem Beaux Art Trio sind Sie schon in den 50er Jahren wieder in Deutschland aufgetreten. Viele Juden haben das Land damals gemieden.

Ich war zu der Zeit mit einer enorm patriotischen Israelin verheiratet. Sie sagte: Ich bin bereit zu verstehen, dass du in Deutschland spielen willst, weil du dort mit dem Trio erfolgreich bist. Aber ich bestehe darauf, dass das Geld, das du dort verdienst, Israel zugute kommt. Wenn du mit mir verheiratet bleiben willst, musst du mir das Recht geben, es zu verteilen. So ist es geschehen, und ein großer Betrag ist nach Israel gegangen, für Waisen- und Immigrantenkinder, für Kranke und Gesunde.

Seit dem Ende des Trios sind Sie als Solist unterwegs: ein Rollenwechsel mit 85.

Ja, nach all den Jahren mit dem Beaux Art Trio kam dann eigentlich das größte Wunder. Ich wurde großartig aufgenommen. Die Kritik sagte: Warum hat er so lange mit dem Triospiel zugebracht? Er hätte schon längst alleine spielen sollen. Das war für mich eine eine freudige Überraschung.

Sie sind als Pianist nicht der schäumende Tastenlöwe, sondern ein eher sanfter Spieler, der, wie mir scheint, immun ist gegen Übertreibungen.

Übertreibung bedeutet ja, dass man nicht ganz ehrlich ist, dass man nicht wirklich auf das hört, was die Musik sagt. Wenn man ehrlich ist, kann man nicht übertreiben. Dann ist Übertreibung etwas Hässliches. Man empfindet es als unehrlich, Und Ehrlichkeit ist ja eine enorme Tugend, auf die man stolz sein darf. Für mich als Pianist bedeutet das, sich der Musik so hinzugeben, wie sie ursprünglich gemeint ist.

Ihre in diesem Jahr bei der Deutschen Grammophon erschienene CD „Clair de Lune“ ist Ihrer Freundin Annabelle Weidenfeld gewidmet. Eine Liebeserklärung?

Ja ich habe die Platte für sie aufgenommen. Sie ist der Grund, dass ich leben will, dass ich das Leben genieße. Ich liebe sie unendlich. Sie ist es auch, die mich dazu anhält, man könnte fast sagen, mich zwingt, weiterzuspielen.

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