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Hü und hott. Peter Sloterdijk.

© Andreas Gebert/dpa

Philosoph: Peter Sloterdijk rechnet mit der AfD ab

Der Philosoph Peter Sloterdijk distanziert sich von der AfD, hält aber an seinem umstrittenen Begriff „Lügenäther“ fest.

Peter Sloterdijk ist bekannt für seine Sprunghaftigkeit. Und für eine gewisse Unschärfe seiner Formulierungen. Scharf sind seine Worte trotzdem. In der Flüchtlingsdebatte hatte der 69-jährige Philosoph 2015 in einem Interview mit der Zeitschrift „Cicero“ vor der „Überrollung Deutschlands“ gewarnt, ein „Lob der Grenze“ gesungen. Analog zum Pegida-Begriff „Lügenpresse“ sprach er vom „Lügenäther“ – und erntete reichlich Kritik. Sloterdijk wehrte sich in der „Zeit“ gegen die „Übererregtheit“ und die „primitiven Reflexe“ der Andersdenkenden. Seinen Kontrahenten Herfried Münkler lud er auf ein Podium in fünf Jahren ein, „sollten wir uns dann noch unter den Lebenden befinden“: zu einem Austausch darüber, wer recht hatte in der Flüchtlingsfrage.

Möglich, dass Peter Sloterdijk bis dahin seine Position noch einige Male nachkorrigieren wird. Als Stichwortgeber der AfD möchte er jedenfalls nicht gelten, wie er jetzt klargestellt hat. In einem Beitrag für das „Handelsblatt“ nennt er die Alternative für Deutschland eine „Unmöglichkeitspartei, der die Sympathien zahlloser Frustrierter zufliegen“. Sie mische sich „ins gesamteuropäische Konzert der Unqualifizierten mit landeseigenen Tönen“ ein. Von Marc Jongen, der an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung Sloterdijks Assistent war, heute in der AfD-Programmkommission sitzt und stellvertretender Parteisprecher in Baden-Württemberg ist, distanziert er sich.

Allerdings zeigt er für dessen Motive Verständnis. Der rechte „Vordenker“ Jongen bilde sich ein, „seine Partei vernunftpolitisch beeinflussen“ zu können – „was für einen Mann mit einer gewissen philosophischen Bildung kein ganz falscher Vorsatz sein mag“, so Sloterdijk.

Zur ganzen Größe seiner Polemik läuft Sloterdijk – wie schon in der „Zeit“ – als Kritiker seiner Kritiker auf. SPD-Chef Sigmar Gabriel, der ihn im „Spiegel“ als „rechten Ideologielieferanten“ attackiert hatte, schlage hilflos um sich „wie designierte Verlierer es zu tun pflegen“. Noch böser: „Herr Gabriel ist offenbar eine ausgedehnte Sache, bei deren Ausdehnung die denkende Sache nicht Schritt halten konnte.“ Das ist reines Kabarett. Wenn der Philosoph den „Erregungshunger“ von Journalisten beklagt, darf konstatiert werden, dass seine eigene Lust an der Erregung nicht kleiner ist.

An seiner Wortschöpfung „Lügenäther“ hält Sloterdijk fest. Moderne „Kommunikations“-Medien seien „überall imstande, Wählerschaften zu verwirren“ und verfügten über das Potenzial, Demokratien zu destabilisieren. Gemeint ist offenbar eher ein medial-politischer Komplex, der das Bewusstsein der Bürger manipuliert. Als Beispiel nennt Sloterdijk die Lügen, mit denen Tony Blair Großbritannien in den Irak-Krieg geführt hat, „ein Manöver der geplanten Unaufrichtigkeit“. Dass Politik und Presse unter einer Decke stecken, gemeinsam gezielt verführen und verfälschen, gehört auch zu den ideologischen Bausteinen der AfD.

Eine Epoche experimenteller Politik?

„Von politischen Epidemien“ heißt Sloterdijks fünfseitiger Aufsatz, dessen eigentliches Thema ist der Brexit. Das „politisch klügste Volk der Welt“ habe mit dem Brexit-Beschluss selbstschädigend gehandelt. Möglich sei das nur, weil wir in einer Epoche „experimenteller Politik“ leben. Gesinnungen verflüssigen sich, Politik gerät zum Spiel. Der Austausch von Argumenten und Gegenargumenten werde abgelöst von einer „ständigen Auseinandersetzung zwischen Epidemien und Impfungen“. Für beides sorgten Medienkampagnen. Als Beispiele für das Vordringen des „Unsoliden, ja Neurotischen in den politischen Raum“ nennt Sloterdijk Berlusconi und Sarkozy, sowie den „enthemmten Clown“ in den USA, gemeint ist Donald Trump.

Ähnlich, vielleicht nicht ganz so wortgewaltig, würde das jeder europäische Linksliberale formulieren. Populismus definiert Sloterdijk als „Aggressionsform der Simplifikation“, wobei er nicht nur den Populisten, sondern auch dem Populum, dem Volk, die Verantwortung dafür zuschreibt. Groß sei derzeit das „Verlangen nach Inkompetenz an der Macht“.

Der Karlsruher Denker spricht gerne vom Volk, möchte mit ihm aber nicht viel zu tun haben. Dass er ein Einflüsterer, Rechtfertiger oder Weiterdenker unqualifizierter Rechtspopulisten sein könnte, hält er für ein groteskes Missverständnis.

Der Brexit, so glaubt Peter Sloterdijk, wird nicht wirklich stattfinden. Man wird ihn jahrelang zu Tode verhandeln, und „seine praktischen Konsequenzen werden sich im Ungreifbaren verlieren“. Entwarnung also? Die Zeit siegt über die Erregung? Im September erscheint bei Suhrkamp übrigens Sloterdijks nächstes Buch, der erotische Roman „Das Schelling-Projekt“.

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