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Fröhliche Notlandung. Die Passagiere des abgestürzten Flugzeugs amüsieren sich zunehmend auf ihrer Insel.

© Martin Agyroglo

Phillipe Quesne inszeniert am HAU: Hipster-Bar unter Palmen

„Crash Park“: Der französische Regisseur Philippe Quesne inszeniert am Kreuzberger HAU sein Kuriositätenkabinett auf einer Insel.

Ganz klar: Diese (Flug-)Gesellschaft ist dem Absturz geweiht. Das sieht man den Passagieren, die nach dem kollektiven Verzehr ihrer Assietten-Menüs auch noch unisono zur Schlafmaske greifen, tausend Kilometer gegen den Flugwind an. Und den adrett kostümierten Stewardessen und Stewards, die unter glucksendem Teenager-Gekicher ein Wodkagläschen nach dem nächsten leeren, sowieso.

Die Individualitätssimulation des Kulturstrebers auf dem undankbaren Mittelplatz, der sich in ein Jean-Luc-Godard-Buch vertieft, wirkt in diesem Umfeld besonders verzweifelt. Solche schrägen Typen, die zunächst per Video eingespielt werden, bevor es auf der Bühne richtig losgeht, sind Philippe Quesnes Spezialgebiet.

„Crash Park – Das Leben einer Insel“ heißt die jüngste Produktion des französischen Theatermachers und bildenden Künstlers, die im koproduzierenden HAU 2 ihre Deutschlandpremiere feiert. Quesnes Durchbruch ist bis heute unvergessen: In „L’Effet de Serge“ vor elf Jahren lud sich der titelgebende Serge, ein unscheinbarer junger Mann und augenscheinlicher Hobbykellerbastler, sonntagnachmittags diverse Freunde ein, um ihnen seine jüngsten Low-Tech-Sensationen zu präsentieren.

Verschrobene Figuren haben sich entkantet

Die Freunde fuhren jedes Mal stumm per Auto vor, reihten sich dann brav im Wohnzimmer auf wie in einem Theater und schauten in ungebrochen schweigender Andacht zu, wie vor ihnen ein ferngesteuertes Spielzeugauto gefühlte achtzigmal auf und ab fuhr und am Wendepunkt unter Umständen kurz aufleuchtete. Oder wie sich eine magere kleine Lichtshow über die Zimmerwand ergoss. Dann nickten sie anerkennend und rauschten wortlos wieder ab. Großartig.

Seither haben sich Quesnes Bühnenwelten freilich perfektioniert und die schön verschrobenen Figuren zumindest in „Crash Park“ sichtlich entkantet. Das Szenario sieht aus wie aus einem durchaus konkurrenzfähigen Animationsfilm. Auf der rechten Bühnenseite ragt die titelgebende Insel auf, mit feinstem Palmenbestand und umspült von einer echten Wasserpfütze, auf die zu gegebener Zeit auch mal sehr illustrative Seifenschaumfladen herabregnen.

Perfekte Wasserpfützenchoreografien

Anfangs sagen sich hier, quasi ganz buchstäblich, Fuchs und Hase gute Nacht. Bald aber bekommt es das hübsche Eiland, das sich später auch mal als lustig spuckendes Vulkaninselchen entpuppt, mit den Schlafmaskenträgerinnen und Godard-Lesern zu tun, deren Flugzeug erwartungsgemäß gecrasht ist. Das Wrack lagert links hinten, in Schwimmnähe zur Palmeninsel, welche sich die Überlebenden umgehend aneignen.

Was mit einer ausgedehnten Expedition beginnt, die man sich, rein szenisch, als musikalisch untermalte Dauer-Insel-Umrundung durch die Schauspielerinnen und Schauspieler vorstellen muss, führt schon bald zu einem Hipster-Bar-Betrieb im Vulkankrater; die entsprechende Abendgarderobe eingeschlossen. Die gut hundertminütige Wegstrecke dazwischen ist der Inhalt dieses „Crash-Parks“. Sprich: Wir sehen Quesnes Akteuren abendfüllend dabei zu, wie sie sich von Palmen abseilen, auf Felsen stellen und in Entdeckerpose die Arme recken, wie sie perfekte Wasserpfützenchoreografien vollführen, wie sie hässlich leuchtende „Open“-Schilder in der schönen Natur platzieren, das Abenteuer suchen und Bananenstauden finden.

Von geradezu enervierender Harmlosigkeit

Wir werden Zeugen eines spektakulären Kampfes gegen eine silberne Riesenkrake, die das Kindermärchen optisch mit der Augsburger Puppenkiste und dem jüngsten Sci-Fi-Thriller verbindet. Das alles läuft nahezu nonverbal ab, pantomimisch: Es wird ein malerisches Bild nach dem anderen produziert, aber praktisch nicht gesprochen im „Crash Park“.

Wirklich sehr schön – und von geradezu enervierender Harmlosigkeit. Ja: So viel pittoreske Anmut muss man erst mal aushalten! Quesne will allerhöchstens halb- oder besser nur vierteldystopisch sein. Durch den großen Rest der Produktion mäandert so etwas wie der Wille zur Utopie. „Wie wäre es, wenn man den Crash einmal nicht als unausweichlichen und schicksalhaften Schlusspunkt der von der Menschheit eingeschlagenen Richtung ansieht, sondern als einen Anfang?“, bringt der Programmzettel die Abendfrage auf den Punkt.

Quesne beantwortet sie mit durchschlagender Nettigkeit. Wenn das keine ernst zu nehmende Drohung ist.

HAU2, wieder an diesem Freitag, 19 Uhr

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