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Von Prokofjew bis zur „Berliner Luft“: die Philharmoniker in der Waldbühne.

© DAVIDS/Sven Darmer

Philharmoniker in der Waldbühne: Hoffende Harfe, schmatzende Flip-Flops

Tugan Sokhievs Waldbühnen-Premiere mit den Berliner Philharmonikern bot neue Klangerfahrungen - und ein abwechslungsreiches Programm.

Wenn man das ganze Leben von der Geburt bis zum Grab in eine einzige laue Sommernacht füllt, entfaltet es sein Drama in einer solchen Fülle, als gäbe es zwischen Höhen und Tiefen die Längen der Ebenen nicht, als gelte es unbedingt einen Kontrast zu schaffen zu der alles überstrahlenden Milde der Atmosphäre. So jedenfalls war es beim traditionellen Saisonabschlusskonzert der Berliner Philharmoniker am Samstagabend in der Waldbühne bei Wetter wie von Feenhand gezaubert.

Dem figurativen Programm zwischen Film und Ballett, zwischen Prokofjews „Leutnant Kijé“ und der eigens zusammengestellten Orchestersuite aus dem Ballett „Romeo und Julia“ mit einem Zwischenstopp bei Maurice Ravels „Shéhérazade“ haucht Dirigent Tugan Sokhiev viel Seele ein. Der Künstlerische Direktor des Bolschoi Theaters hat zwar auch früher schon mit den Philharmonikern zusammengearbeitet, aber dies war seine Waldbühnenpremiere, also ein ganz besonderer Abend, dem er mit Respekt und Leidenschaft begegnet. Am Anfang steht die Musik zum Film „Leutnant Kijé“, mit dessen Geburt alles beginnt, bevor der große Bogen gespannt wurde: Romanze, Hochzeit, und schließlich das Begräbnis. In die melodiösen, ansprechenden Notenfolgen mischt die freie Luft ihre eigenen Klangfarben.

Leben heißt zwar unbedingt im „Jetzt“ zu verweilen, aber gerade Musik bahnt ja auch Erinnerungen den Weg. Sie führen etwa in jene Zeiten, als das sanfte Grollen der Flieger noch nicht Flugscham nahelegte, sondern Fernweh, wie die sehnsüchtigen Geigen es doch wieder anfachen wollen, in Zeiten auch, als die Kinder noch lauter schrien, statt staunend die Kombination von kulinarischem und musikalischem Genuss zu betrachten. Die Philharmoniker mit ihrer Autorität halten die Tradition ja am Leben und setzen es immerhin durch, dass man doch noch ein kleines Picknick mitbringen darf, und sogar ein Halbliterplastikfläschchen mit einem guten Getränk.

Das Publikum ist ständig in Bewegung

Draußen freilich sind vor Beginn sehr viele „Stewards“ damit beschäftigt, Rucksackträger zum Gepäck-Container zu schicken und mit Schablonen auszumessen, ob die mitgeführten Taschen wirklich klein genug sind, um Einlass gewährt zu bekommen. So fügen die Verhältnisse dem Konzertgeschehen neue Noten hinzu. Herrschte früher strenger Stillstand beim Gabeln und beim Schlürfen, sobald der Dirigent am Pult erschien, bleibt hier das Publikum bis kurz vor der Pause in Bewegung. Wer eine halbe Stunde angestanden hat um einen großen Becher Wasser für 13 Euro (inklusive Pfand), wird sich vom Konzertgeschehen ja nicht abhalten lassen, die kostbare Beute heimzutragen zu den Lieben auf der Bank ganz unten.

Souveräner Auftritt der Mezzosopranistin Marianne Crebassa

Da mag die preisgekrönte Mezzosopranistin Marianne Crebassa noch so souverän das weite Rund füllen mit Maurice Ravels Shéhérazade-Liedern. Egal ob später das Xylophon sanft von Julias Kindheit erzählt, ob die Streicher Schatten schon vorausahnen oder die Harfe vorsichtig hoffend über den Tod hinausblickt, ob Pauken und Posaunen von der Lust am Leben künden, auch nach der Pause herrscht ein gewisses Kommen und Gehen. Auf den Treppen ächzen Adiletten unter ausladenden Männerfüßen, schmatzen von neonfarbenen Nägeln gesteuerte Flip-Flops, klackern die Absätze glitterübersäter Sandalen der Getränkeschlepper(innen). Ist auch lustig, nur eben anders als in jenen Zeiten, da der Kult entstand um dieses Konzert.

Gerade noch sang die Solistin so innig vom Gleichgültigen, da geht es nach der Pause mit Verve zur Tragödie von Romeo und Julia. Von „Romeo am Grabe Julias“ über die „Masken“ bis zu „Tybalts Tod“ ziehen die Musikerinnen und Musiker sämtliche dramatischen Register: Noch einmal alles geben, bevor die Ferien beginnen. Die Zugaben immerhin vermitteln allen, die es nicht begriffen haben, worum es eigentlich geht in solchen Nächten, um die Liebe natürlich. Edward Elgars „Salut d’Amour“, wunderbar zum Mitsummen, legte das nahe, und Dvořáks „Slawischer Tanz“ steht für unbesiegbare Lebensfreude, bevor die Hymne an die „Berliner Luft“ die entzückte Gemeinde in alle sommerlichen Winde zerstreute. Die legendäre dritte Zugabe allein mag bei allen äußeren Widrigkeiten vielen der Hauptgrund zum Wiederkommen geworden sein.

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