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Vom Drummer zum Balladenkönig: Phil Collins, geboren 1951 in London.

© Sebastian Widmann/dpa

Phil Collins wird 70: Noch ein Tag im Paradies

Meister der einprägsamen Pop-Melodien: Der britische Musiker Phil Collins feiert seinen 70. Geburtstag.

Von Jörg Wunder

Flugscham war in den Achtzigern noch kein Thema. Und doch hatte Phil Collins den Bogen überspannt, als er am 13. Juli 1985 nach seinem Auftritt mit Sting beim Live-Aid-Konzert im Wembley-Stadion mit der Concorde über den Atlantik jettete, um sich rechtzeitig zur Prime Time in Philadelphia beim amerikanischen Ableger des weltweiten Medienereignisses bejubeln zu lassen. Collins’ Doppelperformance war nicht nur künstlerisch ein Schuss in den Ofen – sein großspurig als Led-Zeppelin-Reunion angekündigter Gig mit Robert Plant und Jimmy Page gilt allen Beteiligten als Tiefpunkt ihrer Live-Karrieren –, sie wurde auch zum Sinnbild für die Hybris des Rockstar-Jetsets, dessen prominentester Vertreter buchstäblich den Boden unter den Füßen verlor und viel Häme einstecken musste.

Dass sich die Kritik auf Phil Collins einschoss, war kein Zufall. Mitte der Achtziger konnte man seinem nasalen Gesang, seinen seichten, aber höllisch einprägsamen Melodien kaum entrinnen. Vor allem dank monströs erfolgreicher Balladen wie „Against All Odds“, „One More Night“ oder „Another Day In Paradise“ hatte er ein Dauerabo im Radio. Aber es war nicht nur die Allgegenwärtigkeit, die Collins zum Hassobjekt der „seriösen“ Popkritik machte.

Auch sein kometenhafter Aufstieg vom Schlagzeuger und nachgerückten Sänger der kultisch verehrten Progrock-Band Genesis war vielen nicht geheuer: Was hatte dieser unscheinbare Typ mit dem hohen Haaransatz schon geleistet, dass sein Ruhm plötzlich Legenden wie David Bowie oder Bob Dylan zu überstrahlen schien? Dass er, mehr noch als die unnahbaren Superstars Michael Jackson oder Prince, als biederer Jedermann zur Pop-Ikone eines Jahrzehnts wurde?

Der komprimierte, explosive Schlagzeugsound wurde Phil Collins’ akustischer Markenkern

In seiner 2016 erschienenen, erfreulich selbstironischen Autobiografie „Not Dead Yet“ kann Phil Collins die Initialzündung seines Erfolgs zwar präzise verorten, aber auch nicht erklären. Sicher, zum Trio geschrumpft und von Collins in hitparadentaugliche Gefilde geführt, hatten Genesis schon vor seinem Solo-Debüt mehr Zugkraft als zu den Zeiten der virtuosen, verkopften Konzeptalben mit dem 1975 ausgestiegenen Peter Gabriel. Mit der LP „Duke“ eroberte die Band 1980 zum ersten Mal die Spitze der britischen Charts, aber das war nur ein Vorgeschmack auf das, was ein Jahr später nach der Veröffentlichung von Collins’ Debütsingle los sein sollte.

Ba-dumm, ba-dumm, ba-dumm, ba-dumm, dumm-dumm: Fast vier Minuten lang simmert „In The Air Tonight“ als elegische Synthesizer-Ballade mit viel Hall vor sich hin, ehe das kolossale Drum-Break den Song abheben lässt. Ein grandioser Effekt, der immer noch zieht, wie das millionenfach geklickte Video der Youtube-Stars Tim und Fred Williams aus dem Sommer 2020 beweist: Die jungen Zwillinge mit Hip-Hop-Sozialisation haut es beim „First Time Hearing“ vor Begeisterung fast aus dem Sessel.

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„In The Air Tonight“ wurde zum nie erwarteten Superhit, der Collins’ heterogenes Debütalbum „Face Value“, auf dem die Funk-Bläser ebenso Platz fanden wie eine Coverversion des Beatles-Klassikers „Tomorrow Never Knows“, zum Millionenseller machte. Der komprimierte, explosive Schlagzeugsound wurde Phil Collins’ akustischer Markenkern. In der Folge bewies er immer wieder ein Händchen dafür, Vorlagen wie alte Motown-Singles („You Can’t Hurry Love“), vergessene Sixties-Schnulzen („A Groovy Kind Of Love“) oder aktuelle Dancefloor-Trends („Sussudio“ ist bei Prince’ „1999“ geklaut) in sein Universum zu ziehen.

Parallel zu Collins’ Solokarriere kamen auch Genesis in den Achtzigern ganz groß raus. Der Dauerstress im Rampenlicht forderte seinen Tribut. Die zweite und dritte Ehe des Workaholics gingen in die Brüche, zweistellige Millionenbeträge wurden als Abfindungen fällig. Doch so omnipräsent Phil Collins bis Mitte der Neunziger war, so unauffällig verschwand er später in der Versenkung. Er verließ Genesis, zog sich aus der Öffentlichkeit zurück.

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Sein letztes Soloalbum „Going Back“ erschien 2010, eine nostalgische Verbeugung vor dem geliebten Motown-Sound. Auf der jüngsten Tournee überließ der gesundheitlich angeschlagene Routinier seinem Sohn Nicholas den Platz am Schlagzeug und überzeugte als einfühlsamer Interpret seiner großen Hits. Collins’ humorvoller Umgang mit der eigenen Vergänglichkeit zeigte sich 2016 bei den Covern seiner neu aufgelegten Soloalben, auf denen Neuaufnahmen seines faltigen Antlitzes die alten Porträtfotos ersetzten.

Phil Collins, der als jüngster Sohn einer Verkäuferin und eines Versicherungsangestellten im bürgerlichen Westen Londons aufwuchs, als jugendlicher Musicaldarsteller dilettierte, bei diversen Bands trommelte, mit Genesis zur Autorität an seinem Instrument reifte und zum unwahrscheinlichsten Superstar seiner Generation wurde, feiert am Samstag 70. Geburtstag. Möge der Titel seiner Memoiren noch lange Gültigkeit haben.

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