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Szene aus "Phaedra"

© Paula Reissig

"Phaedra" von Monster Truck in den Sophiensälen: Nahaufnahmen aus dem Glashaus

Familie als Abgrund der Abhängigkeit: Das Kollektiv Monster Truck kommt mit "Phaedra" in die Sophiensäle.

Die Performerin hat klare Vorstellungen davon, wie die Szene ablaufen soll. Auf dem Rücken liegend, in einer enormen Kunstblutlache, gibt sie dem Kollegen Anweisungen. Er soll ihr das Kleid hochschieben, bis über die Brust. Arme und Hände drapieren, Beine spreizen. „Und jetzt entdeckst du mit der Kamera meinen Körper. Nahaufnahmen!“, befiehlt sie. Dass die Aktion relativ zügig in angedeuteten Sex übergeht, überrascht nicht. Seltsam nur, dass an der Kasse der Sophiensäle das Schild hängt: „Empfohlene Altersfreigabe ab 16 Jahren. Es werden sexuelle Gewalt und Missbrauch thematisiert“. Aber wer missbraucht wen? Und wo ist die Gewalt?

Vielleicht sollte man noch erwähnen, dass Performerin Lucy Wilke körperbehindert ist und keine Kontrolle über ihre Arme und Beine hat. Und dass der Titel dieser Inszenierung des Kollektivs Monster Truck „Phaedra“ lautet – also die unter anderem von Racine in dramatische Form gegossene Inzestgeschichte der Theseus-Gattin abruft, die ihrem Ziehsohn Hippolytos an die Wäsche will, was der entschieden verweigert. Phädra nimmt sich schließlich das Leben. Und auch für Lucy Wilke ist kein Happy End vorgesehen. Das Glashaus, in dem sie sitzt, färbt sich per Kunstblut-Spritze schnell großflächig rot. Was für ein Splatter-Movie!

Die Sehnsucht nach einem "weiblichen Weinstein"

Familie als Abgrund der Abhängigkeit, Umkehrung von Machtverhältnissen und eine #MeToo-Debatte, die vor allem die Sehnsucht nach einem „weiblichen Weinstein“ geweckt hat – diese Themen haben Monster Truck bei ihrer „Phaedra“-Suche beschäftigt, so Regisseurin Sahar Rahimi. Einiges, vor allem Skepsis gegenüber der Kleinfamilie als Geborgenheitsspender, transportiert sich auch. Schon, wenn eingangs ein Junge unter einem Mobile aus umgedrehten Tannen eine große Blutlache aufzuwischen beginnt. Themen wie Macht, Missbrauch und Autonomie durchziehen alle Arbeiten der Gießener Gruppe.

Mit großartigen Ergebnissen bis dato, etwa bei dem in Kooperation mit Theater Thikwa entstandenen „Regie“: Hier setzen die Monster-Truck-Macher drei Performerinnen und Performer mit Down-Syndrom – denen ja gern mal eigenständige Entscheidungsfähigkeit abgesprochen wird – als Spielleiter ein, was eine höchst anarchische „Sex- Theater“-Fantasie des Schauspielers Jonny Chambilla produziert. Was „Phaedra“ betrifft: klar wirft etwa die beschriebene Sex-Szene Fragen nach Handlungshoheit und Zuschreibungen auf. Aber nicht mit der subversiven Power früherer Produktionen und längst nicht so zielgerichtet. Der Abend wirkt unfertig, obwohl er spüren lässt, was in ihm stecken könnte. Aber eine Premiere ist ja nicht der Schlusspunkt künstlerischer Beschäftigung, und einer Gruppe wie Monster Truck sieht man gern mal beim Nachdenken und Weiterdenken zu.

noch einmal diesen Samstag, 9.2., 20 Uhr

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