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Für seinen Film „Zu jeder Zeit“ hat der Dokumentarist die Absolventen einer Pflegeschule drei Jahre lang begleitet.

© Mindjazz Pictures

Pflege-Doku „Zu jeder Zeit“: Händewaschen in sieben Schritten

Konflikt zwischen institutionellen Zwängen und der Empathie: Nicolas Philiberts Doku „Zu jeder Zeit“ über eine Pflegeschule.

Seit einigen Jahren sind die Verwerfungen im deutschen Gesundheitswesen regelmäßig Thema in den Medien. Im vergangenen Herbst sagte mit der Dokumentation „Der marktgerechte Patient“ auch ein Kinofilm der Ökonomisierung der deutschen Krankenhäuser den Kampf an. Wie in der öffentlichen Diskussion standen dabei neben dem überarbeiteten ärztlichen Personal auch die schwierigen Arbeitsbedingungen von Pflegerinnen und Pflegern im Zentrum. Und der jüngste Film des französischen Dokumentaristen Nicolas Philibert widmet sich ebenfalls jenen Menschen, die in Kliniken und Pflegestationen für unser körperliches und oft auch seelisches Wohl sorgen.

Philibert ist einer der beharrlichsten europäischen Dokumentarfilmer. Seit fast dreißig Jahren sucht er mit Kamera und Mikrofon größere oder kleinere Institutionen auf und gewährt seinem Publikum einen Blick in deren Inneres. Sei es der Louvre („La ville Louvre“, 1990), die Welt der Gehörlosen („Im Land der Stille“, 1992), eine psychiatrische Klinik („La moindre des choses“, 1996) oder eine Zwergschule im Zentralmassiv wie in „Sein und Haben“ von 2002 – mit fast zwei Millionen Zuschauern und vielen Preisen seine bisher erfolgreichste Arbeit. Dabei ist es Philiberts besonderes Talent, die vielfältigen Beziehungen an den jeweiligen Orten in der Konzentration auf ein konkretes gemeinsames Projekt zu bündeln und zu verdichten.

Philibert ist ein leidenschaftlicher Adept jener Art des Filmemachens, die sich als offene, improvisierende Begegnung mit der Welt versteht. Drehbücher oder Vorab-Thesen gibt es bei ihm nicht. Und so hat er auch diese, von einem eigenen Klinikaufenthalt angeregte Reise in die Welt der Krankenpflege nicht als Agitprop à la Michael Moore angelegt. „Zu jeder Zeit“ ist eine Forschungsreise in eine ihm unbekannte Welt, eine Schule für Krankenpflege in Montreuil bei Paris. Hier wird das Berufsbild der Pflege täglich frisch geformt und reflektiert.

Ernsthaftigkeit, Hingabe und Hilfsbereitschaft

Nicolas Philibert hat die Auszubildenden eines Durchgangs von drei Jahren im Unterricht, bei Übungen und ihren ersten Erfahrungen im Krankenhausbetrieb begleitet. Das geht von der ausführlichen Unterweisung im „Händewaschen in sieben Schritten“ und korrekter Arbeitskleidung über die Vermittlung ethischer, rechtlicher und medizinischer Grundlagen bis zur praktischen Arbeit mit sterbenskranken Patienten. Im Betreuungsgespräch werden die belastenden Situationen dann ausgewertet.

Beeindruckend ist die Ernsthaftigkeit, Hingabe und Hilfsbereitschaft der oft (aber keineswegs immer) weiblichen und sehr diversen jungen Menschen, die sich für diese unterbezahlte und anstrengende Arbeit entschieden haben. Trotzdem wird auch reichlich gelacht – oft zur emotionalen Entlastung –, wenn etwa die Spritze wieder mal nicht dahin will, wo sie hin soll, oder ein junger Mann stöhnend eine Gebärende mimt. Die von Philibert selbst geführte Kamera findet intuitiv die stimmige Distanz zu den Situationen und den Gesichtern seiner Protagonisten. Wie stets lässt der Filmemacher die Menschen und Dinge für sich sprechen; er verzichtet auf Off-Kommentare, Musik oder eine allzu interpretierende, gar polemisierende Montage.

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Dennoch wird auch hier recht bald und eindringlich deutlich, wie sich die hehre Lehre in der Praxis dann zunehmend an der von Sparzwängen bestimmten Krankenhaus-Realität reibt. Das treibt viele der Elevinnen und Eleven in Bedrängnis, manche auch in Verzweiflung. So erzählt Nicolas Philiberts Film eindringlich und fast modellhaft universell auch vom Konflikt zwischen institutionellen Zwängen und der Tatkraft wie der Empathie der meisten Pflege-Anwärter. Spezialvorstellungen mit Pflegekräften sind in Dresden und Hamburg schon angesetzt.

OmU: Filmtheater am Friedrichshain, fsk am Oranienplatz, Moviemento, Wolf

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