zum Hauptinhalt
Einander zugetan: Kirill Petrenko und die Philharmoniker.

© Stephan Rabold

Petrenko und die Berliner Philharmoniker: Das Glück des ersten Mals

Eine erste CD-Box dokumentiert den Beginn der Ära von Kirill Petrenko in Berlin. Man kann hören, wie sich der Dirigent und das Orchester näher kommen.

Schon beim allerersten Date waren sie sich sympathisch, beim zweiten hat es dann richtig gefunkt – und nach dem dritten haben sie beschlossen zu heiraten. Wer so eine amour fou im Bekanntenkreis erlebt, schüttelt verwundert den Kopf. Bei den Berliner Philharmonikern und Kirill Petrenko aber hat es sich genau so zugetragen.

Obwohl es noch nicht einmal eine Handvoll gemeinsamer Konzertprogramme gegeben hatte, wurde der Dirigent zum Nachfolger Simon Rattles auserkoren. Wobei man hinzufügen muss, dass diesem Coup ein erster Wahlgang vorangegangen war, bei dem keiner der in Berlin altbekannten und vielgeliebten Maestri eine Mehrheit der 128 Stimmen auf sich vereinen konnte.

Der Beginn der Ära Petrenko ab dem Spätsommer 2018 war also ein Prozess des Sich-Annäherns, des sich besser Kennenlernen. Das zeigt jetzt auch die erste CD-Veröffentlichung, die beim orchestereigenen Label Berliner Philharmoniker Recordings erschienen ist. Sehr viel gegenseitige Zuneigung ist da im Spiel, aber eben auch eine nur ungefähre Vorstellung von dem, was dem jeweils anderen im Leben wie in der Kunst besonders wichtig ist.

Allerhöchste Erwartungen begleiten Petrenkos Debüts

Hinzu kommt, dass sich der 1972 geborene Kirill Petrenko in seiner Karriere bislang vor allem auf das Musiktheater fokussiert hat. Glücklich war seine Zeit als Chefdirigent der Komischen Oper, in München wurde er als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper geradezu kultisch verehrt, vom Publikum wie auch vom Ensemble. Das Kerngeschäft der Berliner Philharmoniker, also das sinfonische Repertoire, dagegen hat er bislang nur nebenbei betrieben. Weshalb die Beschäftigung mit dem, was fürs Orchester tägliche Kost ist, für Petrenko in Berlin zu einer Serie von Debüts wird. Die gleich mit dem allerhöchsten Erwartungen verbunden sind.

Vier der fünf CDs der Box sind Klassik-Hits vorbehalten, von Beethoven gibt es die Siebte und die Neunte, Tschaikowsky ist mit seinen beiden späten Sinfonien vertreten. Aufregende Aufführungen waren das, die hier als Mitschnitte festgehalten sind, die Detailgenauigkeit, mit der Petrenko vorgeht, ist Ehrfurcht gebietend, das rückhaltlose Engagement, mit dem sich die Philharmoniker auf seine Partitur-Analysen einlassen, beglückend.

Zwei Raritäten, die dem Dirigenten am Herzen liegen

Und doch bleibt auch beim Wiederhören die Spannung spürbar, die während der Aufführungen im Saal herrschte. Wo der unbedingte Wille des Gelingens regiert, bleibt manches in sich dann doch ein wenig zu fest, entsteht noch nicht überall die gewünschte Tiefenwirkung, öffnen sich die gedanklichen Räume nicht selbstverständlich.

Wie aber sollte das auch möglich sein, nach so kurzer Zeit? Wo bliebe in dieser Verbindung die Möglichkeit zur Weiterentwicklung, zum gemeinsamen Erblühen? Die CD-Box kann nur ein erster Zwischenbericht sein. Und ein Hinweis darauf, was alles in Zukunft möglich ist.

Am Interessantesten ist die fünfte CD. Denn hier präsentiert Petrenko zwei Komponisten der Spätromantik, die ihm am Herzen liegen, die aber wiederum für die Philharmoniker Neuland sind. Rudi Stephans 1912 entstandene „Musik für Orchester“ hat vulkanische Kraft, ohne pompös oder überladen zu sein, Franz Schmidts 4. Sinfonie von 1932 ist ein introvertierter Abgesang auf eine verblassende goldene Zeit. Ganz bei sich wirkt hier der Dirigent – und dem Orchester bieten beide Werke die Möglichkeit, ihren Klangfarbenreichtum in herrlichster Pracht zu entfalten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false