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Zu Hause in Berlin. Peter Schneider auf seinem Sofa. 

© Kathrin Schubert/Imago

Peter Schneider zum 80. Geburtstag: Poesie und Politik

Kriegskind und Leitfigur der 68er, Autor von „Lenz“ und „Mauerspringer“, Essayist und international wahrgenommener Intellektueller: Peter Schneider zum 80.

Gerade hat er wieder seine Geistesgegenwärtigkeit demonstriert. Am vergangenen Sonntag waren an dieser Stelle im Tagesspiegel Peter Schneiders Fragen an Gesundheitsminister Jens Spahn und die deutschen Mediziner zu den bisher trotz aller Fallzahlen noch immer unerklärten Überlebenschancen und konkreten Überlebensfolgen von Patienten auf den Corona-Intensivstationen zu lesen.

Peter Schneider, der am 21. April 1940 als Kriegskind in Lübeck geboren, später aber in Bayern und dann im badischen Freiburg aufgewachsen ist, gehört zu den im Kopf und äußerem Auftreten bis heute erstaunlich vital gebliebenen einstigen Leitfiguren der 68er-Bewegung

Ein Jahrzehnt jünger als Jürgen Habermas, Hans Magnus Enzensberger oder Alexander Kluge, verkörpert der seit fast sechzig Jahren in Berlin lebende Romanautor und Essayist die hochintensiv gelebte Verbindung von Denken und Dichten. 

Mitorganisator des „Springer-Tribunals“

Enzensberger und Schneider, sie beide gehören mit ihren Beiträgen in der „New York Times“, in „La Repubblica“, dem „Corriere della Sera“ oder in „Le Monde“ auch wie Bernard-Henry Lévy und vordem Umberto Eco oder Susan Sontag zu den international wahrgenommenen Intellektuellen der vergangenen Jahrzehnte.

Das alles hat 1973 mit einem nur 90 Seiten dünnen Bändchen im Berliner Rotbuch Verlag begonnen. Die Erzählung „Lenz“, deren Titelheld auf Georg Büchners gleichnamige Figur anspielte, treibt einen jungen Mann durch die von linken Studenten, Literaten, Arbeitern und Arbeiter sein wollenden Bürgerkindern bevölkerte Szene jener Jahre: „Immer hin- und hergerissen zwischen den Neurotikern und den Theoretikern“, sagt Lenz über sich selbst, „bei den einen die Leidenschaften, bei den anderen die Rettung suchend.“

Bevor das Wort Kultbuch so geläufig wurde, war dieser „Lenz“ Peter Schneiders alsbald in viele Sprachen übersetzter Debüt-Bestseller. Noch kurz vor Erscheinen legt Schneider, der längst prominente Wortführer der Studentenbewegung und nach dem Attentat auf seinen Freund Rudi Dutschke Mitorganisator des legendären „Springer-Tribunals“, sein germanistisches Staatsexamen an der West-Berliner FU ab. 

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Doch ihm wird vom Schulsenator, gestützt auf den Verfassungsschutz, der Referendardienst fürs Lehramt verweigert. Und prompt entsteht zum damals so umstrittenen „Radikalenerlass“ das zweite Erfolgsbuch „... schon bist du ein Verfassungsfeind“.

Schneider wird nun nicht mehr Lehrer (dafür später Gastprofessor und „poet in residence“ an amerikanischen Eliteuniversitäten). Die literarische Karriere ist bei dem temperamentvollen Geisteskopf, der zugleich Fußball und Tennis und als Sohn eines Dirigenten noch sehr gut Violine spielt, unaufhaltsam. 

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Mit Titeln wie das (Dreh-)Buch „Messer im Kopf“, von Reinhard Hauff 1978 verfilmt mit Bruno Ganz und Angela Winkler, dann die 1982 schon mit dem Gedanken des Mauerfalls spielende Erzählung „Der Mauerspringer“ (gerühmt von Salman Rushdie und Ian McEwan), der ironisch-melancholische Liebesroman „Paarungen“ und die Nachwendegeschichte „Eduards Heimkehr“ – bis zum jüngsten, semidokumentarischen und musikalisch inspirierten Venedig-Buch „Vivaldi und seine Töchter“.

Politik und Poesie. Dabei hat Peter Schneider seine ideologischen Irrtümer nicht verhehlt, das reicht von dem Sammelband „Rebellion und Wahn“, 2008 zum 68er-Jubiläum, bis zur eben erschienenen essayistischen Anthologie „Denken mit dem eigenen Kopf“ (Verlag Kiepenheuer & Witsch, 365 Seiten, 22 Euro).

Noch ein schöner, jetzt 75 Jahre nach Kriegsende sinniger Satz aus dem „Mauerspringer“: „In Deutschland heißt es, heilt die Zeit die Wunden nicht, sie tötet das Schmerzempfinden.“ Dennoch siegt nicht Schwermut, daneben gibt es immer auch Peter Schneiders Lebensfreude, seinen Humor. Vivat! 

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