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Schriftsteller und 68er-Aktivist Peter Schneider.

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Peter Schneider: Bekenntnisse eines Verwirrten

Schriftsteller Peter Schneider über seine masochistische Treue zur SPD und einen echten sozialdemokratischen Beißer.

Was wird aus meiner SPD? Es ist wahr, dass jeder Wähler – sofern er nicht mit fliegenden Fahrrad- Wimpeln zu den Grünen übergelaufen ist – Grund hat, dieselbe Frage nach dem Zustand seiner Stamm-Partei zu stellen. Mir, der seit Jahrzehnten in manchmal masochistischer Treue der SPD verbunden ist, bleibt nichts anderes übrig, als mir den Kopf über das Objekt meiner Anhänglichkeit zu zerbrechen. Dies umso mehr, als ich am Abend der letzten Landtagswahlen in lauter fröhliche SPD-Gesichter blickte. Von einer „krachenden Niederlage“ der Regierungsparteien sprachen sie, obwohl es doch die SPD war, die in Rheinland-Pfalz die meisten Stimmen verlor, 12 Prozent.

Über den Realitätssinn einer Partei, die am solch einem Abend in Heiterkeit verfällt, darf man sich Sorgen machen. Aber auch über meinen eigenen Zustand muss ich mir Gedanken machen. Warum nicht endlich auch ein Wechselwähler werden, da ich doch weiß, dass sie es sind, die den Lauf der Geschichte verändern? In den USA fixieren sich die Parteien derart ungeniert auf die Wechselwähler, dass sie ihre Stars und Dollars auf die Gebiete konzentrieren, in denen Wechselwähler wohnen. Ein Stammwähler kriegt dort im Wahlkampf allenfalls den Kreisvorsitzenden seiner Partei zu sehen.

Soviel steht fest: Auch den anderen Parteien – bis auf die eine – sind die Wähler massenhaft davongelaufen. Aber nicht zur SPD. Die ist in den letzten Jahren arg gezaust worden. Zuerst kam eine skrupellose Gärtnerin namens Angela Merkel daher, die jedes lebensfähige Pflänzchen im Garten der SPD umgetopft und mit dem Etikett CDU versehen hat. Den Aufschwung, mit dem sie sich schmückt, verdankt sie nicht etwa eigenen Reformen, sondern Gerhard Schröders tapferer, auch fehlerhafter Agenda 2010. Das konnte sie unwidersprochen tun, weil sich die ewige Mehrheit der Besserwisser in der SPD vor der Agenda inzwischen bekreuzigt. Dann kehrte der rachsüchtige verlorene Sohn Oskar Lafontaine in die Politik zurück, um der SPD einen guten Teil ihrer Klientel abzujagen. Und als wäre es damit nicht genug, haben ihr die Grünen in Baden-Württemberg die Rolle des Juniorpartners zugewiesen. Da müsste einem das Lachen eigentlich vergehen.

Hat die SPD sich diese Verluste nicht vor allem selber zuzuschreiben? Wer wird schon auf eine Partei wetten, die sich ihrer eigenen Erfolge schämt und die Leichen ihrer Führer ständig umbettet? Schlimmer ist, dass die SPD es nicht verstand, sich die neuen Themen, die ihr die Geschichte zuspielte, anzueignen. Die Finanzkrise und der epochale Vorgang der Vernichtung und Umverteilung von Milliarden hat in der SPD keinen Volkstribun gefunden. Wer, wenn nicht die SPD wäre kraft ihrer Geschichte dazu berufen, das schamlose Treiben der Boni-Banker und ihres falschen Helden Josef Ackermann bloßzustellen? Nicht einmal den von der CDU und der FDP fromm wiederholten Kinderspruch „Märkte korrigieren sich selbst“ („Kinder erziehen sich selbst“, behaupteten ähnlich dumm die 68er) hat sie diesen Parteien um die Ohren geschlagen. In der Libyenkrise, im Streit über Atomkraftwerke, über die Integration von Muslimen hat man von der SPD nichts Deutliches gehört. Das einzige Feld, auf dem sie von sich reden macht, ist ihr heiliger Krieg um Sarrazin. Der Mann ist in der Tat eine Debatte wert, aber doch um Himmels willen nicht ein Partei-Ausschlussverfahren!

Aber vielleicht bin ich wirklich nicht zu retten. Wo andere nur noch Niedergang sehen, hege ich immer noch Hoffnung. Sie gründet sich auf die unabhängigen Köpfe in dieser ältesten und anständigsten Partei Deutschlands. Einer dieser wunderbaren Querköpfe ist der Ex-Finanzminister Peer Steinbrück – nicht unbedingt ein Sympathieträger, aber ein Beißer und Kämpfer von Graden, und einer der wenigen Politiker, die über eine eigene Sprache verfügen. An der Seite der jungen Autonomen in der SPD könnte er jene Eigenschaften der Partei wieder zusammenführen, die sie einmal stark gemacht haben: Gerechtigkeitsgefühl plus Sachverstand plus Biss.

Peter Schneider lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien seine autobiografische Erzählung „Rebellion und Wahn – Mein 68“ (Kiepenheuer & Witsch)

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