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Die hochmotivierten Flugbegleiter Fajas (Carlos Areces), Ulloa (Raúl Arevalo) und Joserra (Javier Cámara).

© Tobis

Pedro Almodóvar: "Fliegende Liebende" oder Ein Cockpit voller Narren

Der Film zur Reisezeit: Pedro Almodóvar feiert in seiner Kinokomödie „Fliegende Liebende“ eine bizarre Party über den Wolken.

Es ist wahr, über den Wolken schlägt Alkohol schneller an, macht himmelblau. Der Druck in der Flugzeugkabine ist geringer als am Boden, ebenso der Sauerstoffgehalt, so breitet sich der Stoff spürbar leichter in der Blutbahn aus. Der eine trinkt an Bord aus Langeweile, der andere aus Angst oder weil es nichts kostet; das kommt auf die Airline an und auf die Klasse, in der man sitzt – oder eingepfercht der Landung entgegendämmert. Der alte Spruch „Nur Fliegen ist schöner“ ist wirklich ein alter Spruch und hat in einer Zeit, da Discount-Flieger über Stehplätze und eine Toilettengebühr am Himmel nachdenken, nichts mehr mit der Realität gemein. Und dann noch guten Flug und einen schönen Urlaub!
Zu der Illusion, die Welt werde immer kleiner, tragen Flugzeuge entscheidend bei. Sie verdichten Raum und Zeit – und zwar auf Zeit und auf engstem Raum. Nicht weniger jedoch komprimieren sie Emotionen und Drama. Flugzeug-Filme sind ein kleines, sehr spezielles und fast immer wirkungssicheres, bisher rein amerikanisches Genre. Von „Airport“ (1970) über „United 93“ und jüngst erst „Flight“ mit Denzel Washington drängen sich hier die Katastrophen aneinander wie Schafe in der Herde, wenn es blitzt und donnert. Üble Wetterlagen, technische Fehler, menschliches Versagen (meist Liebe und/oder Alkoholismus), Terror sind zwar auch auf der Erde ein Alptraum, doch in der Luft kann man nun gar nicht davonlaufen. Sind Gute und Böse, Frauen, Männer, Kinder, Präsidenten („Air Force One“), Schwerverbrecher („Con Air“), panische Mütter („Flightplan“, mit Jodie Foster) und einsame Meilenjäger („Up in the Air“, mit George Clooney) in schlanke, silbrige Zylinder eingeschweißt. Unvergessliche Flugzeugabstürze erleben Tom Hanks in „Cast Away – Verschollen“ und Jeff Bridges in „Fearless – Jenseits der Angst“. Da hebt das Kino ab, ahnen die Zuschauer , wie es sich anfühlen könnte, wenn man im freien Fall dem Crash entgegenstürzt.

Das sind genau die Filme, die der Passagier nicht sehen möchte. Die Fluggesellschaften auch gar nicht anbieten. Sie wollen die Kunden nicht mit dem Kopf darauf stoßen, dass so ein Flugzeug auch mal in schwere Turbulenzen geraten kann. kann. Seltsam überhaupt ist die Erfahrung, im Flugzeug Filme anzuschauen. Denn dabei vergeht die Zeit gleichsam zwei Mal wie im Flug, setzt man sich einer doppelten Fantasieschleife aus. Denn erstens ist immer noch nicht ganz geklärt, jedenfalls nicht für jedermann, warum Flugzeuge fliegen und oben bleiben; das Fliegen allein ist schon großes Kino. Und zweitens dann der Film, welcher auch immer. Man starrt auf den kleinen Monitor, die Kopfhörer blenden Bord- und Fluggeräusche aus, und man fällt da hinein, fällt und fällt wie Wunderland-Alice in das Kaninchenloch, um in einer anderen Welt zu landen. Aber nur für anderthalb Stunden, denn die eigentliche Rückkehr auf den Boden steht ja noch bevor. Steht noch in weiter Ferne.

Wie heißt es so schön bei Delta Airlines: „Egal ob Sie Hollywood-Kassenschlager oder Klassiker oder unabhängige Filme mögen, finden Sie hier eine Auswahl an Filmen, die Ihrem Geschmack entspricht. Mit bis zu 300 Spielfilmen zur Auswahl ist die Zeit verstrichen, bevor Sie sich umgucken.“ Grundsätzlich werden Filme für das inflight entertainment „bearbeitet“, also von besonders brutalen, ordinären oder explizit erotischen Partien befreit. Von Pedro Almodóvars „Fliegende Liebende“ (Los amantes pasajeros) bliebe da höchstens der Vorspann übrig. Der kommt todsicher nicht an Bord. Gewalt ist kein Problem. Es gibt nur einen nicht so ernst gemeinten Selbstmordversuch, und die Verbrechen sind längst begangen, wenn die Urlaubermaschine von einem spanischen Flughafen Richtung Mexiko abhebt. Mit Sex (und Drogen) sieht es anders aus, denn es geht nur darum. Alle tun es mit fast allen, als sich herausstellt, dass der Klapperkasten das Fahrwerk nicht mehr ausfahren kann und auch gar nicht nach Amerika fliegt, sondern über der iberischen Halbinsel kreist, auf der Suche nach einem Flughafen und einer glimpflichen Havarie.

Almodóvar zeigt hinreißend schwule Stewards, die wie die Teufel singen

Falls jemand eine psychologische Erklärung braucht, warum hier alle Dämme brechen, niemand angeschnallt ist, die Piloten sich aus dem Cockpit zum Vögeln zurückziehen, die hinreißenden schwulen Stewards wie die Teufel singen und tanzen und alte wie neue Pärchen sich hemmungslos und ausgiebig finden, dann vielleicht so: Es könnten die letzten Stunden sein, die letzte Nummer. Es geht zu Ende mit dem Profikiller, der Chefin eines Callgirlrings, der Hellseherin, dem betrügerischen Bauunternehmer. Das sind die Leute, die sich die besseren Plätze leisten können. Almodóvars Verbalerotik schwankt zwischen blöder Zote und brillanter Pointe. Man kennt seinen quietschigen Slapstick, die aus dem Nichts explodierende Hysterie. Das ist nichts Neues, manch einer wird mit dem Alter immer sexbesessener. Todesangst liefert den Vorwand, um im spanischen Luftraum eine Swingerparty zu feiern. Zu der die Economy nicht eingeladen ist. Die Crew will Panik vermeiden und jubelt den Holzklassenpassagieren ein starkes Schlafmittel unter. So bewahrheitet sich ein alter Verdacht: dass hinter dem Vorhang in der Business Class, wo die Flugbegleiter sowieso attraktiver sind, die tollsten Sachen passieren. Das Ausschalten fast aller Urlauber an Bord von Air Almodóvar ist ein brillanter Coup der Produktion. Das spart viel Komparserie, viel Geld, und es macht „Fliegende Liebende“ zu einem Kammerspiel mit Verrückten. Hier vorn im Flugzeug hat jeder und jede einen Grund, das Weite zu suchen. Und die Nähe der Mitreisenden. Und die Nähe zu Gott. Erlösung ist für Spanier kein fremdes Konzept. Der Gedanke, dass es möglicherweise noch etwas anderes als Sex gibt, drückt sich in verzweifelten Telefonaten mit Angehörigen und Geliebten am Boden aus. Dann wenden sie sich wieder den diversen Steuerknüppeln und Drogen zu. Zuweilen blitzt die Überlegung auf: Was, wenn wir landen? Und vor allem, wo?

Almodóvars Galgenvögel haben ihre Flucht geplant, sonst nichts. Und natürlich ist das Coming out leichter und lustiger als das Coming down. Die Komödie ist etwas schwergängig, mit Zwangshumor gepudert, aber sie bleibt im Kopf. Man wird sie nicht los, als wär’s ein Ohrwurm, dessen Melodie zugleich nervt und gute Laune macht. Und es gibt ein paar Einfälle und Geschichten, die diesem Stück Camp Klasse verleihen.
Da ist der folgenschwere Kurzauftritt von Penelope Cruz und Antonio Banderas als verliebtes Bodenpersonal gleich zu Beginn. Und da ist die Sache mit dem Flughafen Castillón bei Valencia. Den gibt es wirklich, der wurde gebaut, obwohl er völlig überflüssig ist, und nie in Betrieb genommen; ein riesiger Korruptionsskandal. Bei Almodóvar (der berühmte Regisseur und Oscar-Gewinner soll an Flugangst leiden) kann man sehen, wozu ein Geisterflughafen am Ende doch gut ist. „Fliegende Liebende“ kommt jetzt, so will es die Fügung, als Film zur BER-Klamödie ins Kino. Genau das ist er auch: eine Komödie, die sich als Tragödie verkleidet. Er schreit nach einer berlinischen Bühnenfassung. Flughafen, Erotik, Politik, Milliarden! Als Musical könnte das jahrelang laufen, bis zur Schönefeld-Eröffnung eines schönen Tages.

Rüdiger Schaper

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