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Peaches (Mitte) während der Performance ihres Songs "I feel Cream".

© LYDIA DANILLER

Peaches live in der Volksbühne: Freiheit für die Brüste

Mit der Show „There is only one Peach with the Hole in the Middle“ feiert Peaches ihr 20-jähriges Pop-Jubiläum. Eindrücke von der Premiere in der Volksbühne.

Als kürzlich in Berlin zum ersten Mal der International Music Award verliehen wurde, hatten die Organisatoren großes Glück, dass Rammstein dort nicht auftauchten, um ihren Publikumspreis entgegenzunehmen.

Denn dadurch wurde ein Gastauftritt zu Ehren der Berliner Band zu einem irren Wow-Moment, wie ihn Rammstein selber wahrscheinlich gar nicht hinbekommen hätten: Peaches coverte „Du hast“ mit einer riesigen Band plus einer Gruppe nur in Unterhosen auftretenden Performerinnen, die die Sängerin langsam nach vorne trugen. Gekleidet in ein schwarzes Dominatrix-Outfit gab sie dem in zackigem Deutsch vorgetragenen Song eine Bösartigkeit zurück, die er seit gut zwei Dekaden nicht mehr hat.

In Berlin wurde Peaches zum Star

Der Auftritt war zugleich eine Art öffentlicher Generalprobe für Peaches eigene Show, bei der es derzeit in der Berliner Volksbühne ein Wiedersehen mit der Band sowie den Tänzerinnen und Tänzern gibt.

Dieses Spektakel zur Feier des 20-jährigen Peaches-Jubiläums trägt den von einer ihrer Songzeilen abgeleiteten Titel „There is only one Peach with the Hole in the Middle“ und kommt nach Stationen in Hamburg, London und Aarhus nun endlich auch in die Stadt, in der die Transformation der kanadischen Erzieherin Merrill Nisker zur Genre- und Gendergrenzen sprengenden Electroclash-Ikone Peaches begann.

Im Jahr 2000 brachte das mittlerweile nicht mehr existierende Label Kitty-Yo aus Berlin-Mitte ihr Debütalbum „The Teaches of Peaches“ heraus. Eine ruppig-reduzierte Songsammlung voller Sex und Selbstbewusstsein, die zum Berliner Weltkulturerbe gehört – genau wie Peaches selbst, die schon lange hier wohnt und einer der wenigen internationalen Popstars der Hauptstadt ist.

Peaches-Werkschau im XXL-Format

Zwei Stücke aus dem Album eröffnen den Abend, wobei Peaches sich zunächst gar nicht blicken lässt. Zeit, um die auf einer Empore im Hintergrund aufgereihte zwölfköpfige Band und vor allem die vielen tollen Performerinnen zu beobachten. Sie bewegen sich mal in roboterhaften Linien, mal bilden sie skulpturale Formationen, mal singen sie einen Refrain. Dann erscheint Peaches – wobei sie unter ihrem wischmoppartigen Kostüm zunächst nicht wirklich zu erkennen ist.

Untrüglich jedoch ihre Stimme, die rappend fordert: „Tilt on my pussy/ Whistleblow my clit/ Watch it open up ’cause it can’t keep a secret.“ Diese Mischung aus Humor und explizit sexuellen Bildern ist typisch für Peaches’ und sie zieht sich auch durch diesen Abend, der wie eine Art Werkschau im XXL-Format funktioniert.

Peaches im Haarmantel bei ihrer "There is only one Peach"-Show.
Peaches im Haarmantel bei ihrer "There is only one Peach"-Show.

© LYDIA DANILLER

Ein schöner Wiedersehensmoment ist etwa die Trapeznummer von Empress Stah, die aus dem Video von „Light In Places“ bekannt ist. Als Peaches „I’ve got light in places/You didn’t know it could shine“ singt, beginnt ein grüner Laser aus der Vagina der Artistin zu leuchten.

Genauso lustig und plakativ sind auch wieder die beiden bei der letzten Tour verwendeten Mega-Penisse, die über den ersten Reihen aufgepustet werden – natürlich zum Song „Dick In The Air“. Danach fordert Peaches, deren Brüste an diesem Abend oft unbekleidet bleiben dürfen, die Fans zu „Dick“-Sprechchören auf und macht weiter mit „Shake Yer Dix“.

Wobei sie vorab erklärt, dass es auch Leute ohne Titten und Schwänze gibt. So singt sie nicht mehr nur über „dix“ und „tits“, sondern auch über „bits“ – ein non-binäres Update, das sie bei anderen Texten ebenfalls vorgenommen hat. Selbst ein queerfeministisches Idol lernt noch dazu, gerade deshalb ist Peaches immer noch relevant.

Strenge Ansage

Allerdings scheint sie bei dieser ersten von vier ausverkauften Shows in der Volksbühne keine sonderlich gute Laune zu haben. Gleich zu Beginn sagt sie beim Abschreiten des Laufstegs in die ersten unbestuhlten Reihen mit scharfem Ton an, dass dort nichts abgelegt werden solle.

Bei Zuwiderhandlungen werde demjenigen, der nicht zugehört habe, sein Gegenstand direkt ins Gesicht gekickt. Auch später lässt sich die 53-Jährige zu keinerlei Herzlichkeiten gegenüber ihren Heimspiel-Fans hinreißen.

Iggy Pop auf der Leinwand

Dafür fackelt sie ein fulminantes Show-Feuerwerk ab, in dem drei an grünen Laserharfen aufgeführte Songs ein weiteres Highlight bilden. Großartig sind auch immer wieder die Rockmomente etwa bei „Kick It“, zu dem Duettpartner Iggy Pop auf einer Leinwand eingeblendet wird und der zuckenden Peaches einen virtuellen Fußtritt verpasst.

Oder bei „Boys Wanna Be Her“, zu dem sich vier Gitarristinnen neben Peaches aufreihen, um das geniale Joan-Jett-Gedächtnis-Riff runterzuschrubben. Es ist eine knallige Selbstermächtigungsgeste, die männlichen Rockstars das Phallussymbol E-Gitarre streitig macht. Was durch den Einsatz von Gibson SGs und Flying Vs unterstrichen wird.

Das Prinzip Maximierung einer minimalistisch produzierten Musik funktioniert hervorragend. Es macht Spaß zu hören, wie die drei Geigen sonst vom Synthesizer gespielte Parts übernehmen oder die Bläser die Basslines spielen. Mitunter erinnert dieser von großem Gemeinschaftssinn geprägte Auftritt an Beyoncés „Homecoming“-Show in Coachella.

Und tatsächlich fanden beide Musikerinnen unabhängig voneinander Inspiration in New Orleans.

So gibt es bei „There is only one Peach with the Hole in the Middle“ sogar eine kleinen Marching-Band-Einlage – allerdings bietet Peaches statt sechs Sousafonen wie ihre Kollegin nur eins auf. Das darf dafür am Ende das knurrende Intro von „Fuck The Pain Away“ spielen. Cooler kann es kaum werden für dieses Instrument. Und die Fans haben einen schönen Motto-Ohrwurm für ihren Weg ins neue Jahrzehnt.

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