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Paul Kalkbrenner bei seinem Auftritt in der Verti Music Hall.

© Martin Müller/Imago

Paul Kalkbrenner live in Berlin: Heimspiel für den Technostar

Bei seiner Rückkehr auf die heimische Indoor-Bühne spielt Paul Kalkbrenner ein mitreißendes Set in der Verti Music Hall. Die Bühne sieht dabei aus wie ein Designer-Wohnzimmer.

Es darf wieder gefeiert werden: Nachdem diverse Clubs bereits seit Wochen erfolgreich Indoor-Veranstaltungen durchführen und vor einer Woche auch das Berghain mit 2G wiedereröffnet hat, scheint die Berliner Techno-Welt wieder ein stückweit in Ordnung zu sein.

Nun feierte auch einer der bekanntesten DJs Deutschlands, der mit dem Film „Berlin Calling“ nicht nur sich selbst sondern auch der Techno-Hauptstadt ein Denkmal gesetzt hat, seine Rückkehr auf die deutschen Indoor-Bühnen: Paul Kalkbrenner beehrt die Verti Music Hall am 8. und 9. Oktober gleich zweimal hintereinander im Rahmen seiner „Episode One“-Europa-Tour, die Anfang September in Paris gestartet ist.

Homeoffice-Ambiente mit Teppich und Zimmerpflanzen

Mit „Si Soy Fuego“ hat er dieses Jahr auch eine neue Single herausgebracht, die er am Freitag neben vielen anderen neuen Songs, präsentiert.

Dass Corona doch noch nicht so richtig vorbei ist, spürt man jedoch am 2G-Einlassprozedere, das nicht unbedingt Partystimmung aufkommen lässt: In der ersten Schleuse einchecken per App, Ticket zeigen, digitalen Impfnachweis zeigen, Personalausweis zeigen, zur zweiten Schleuse, nochmal Ticket zeigen, nochmal Personalausweis zeigen, Ticket scannen lassen, zur dritten Schleuse, Tasche zu groß, Tasche für fünf Euro abgeben, durch den Personenscanner laufen, abgetastet werden – dann ist man endlich drin und schaut misstrauisch das Personal an, ob die nicht auch nochmal den Ausweis, das Ticket oder was auf dem Smartphone sehen wollen, weshalb man sich kaum traut, eines der Dinge wegzustecken.

In der Halle indes herrscht gute Stimmung, der in Friedrichshain lebende DJ hat hier Heimspiel. „Paul, Paul, Paul!“, ertönen immer wieder kleinere Sprechchöre. Als der weiße Vorhang fällt, bekommen die Zuschauer:innen ein ungewöhnliches Bild geboten: Die Bühne sieht aus wie ein gemütliches Designer-Wohnzimmer, der DJ-Tresen steht auf einem großen Perser-Teppich, links und rechts sind Stehlampen und zwei Zimmerpflanzen zu sehen, an den Seitenwänden hängen große rechteckige Wandleuchten.

Was für ein perfektes Understatement: Kalkbrenner ist zurück aus dem Homeoffice, oder vielleicht doch noch nicht ganz? Gleichzeitig erinnert das Ambiente unweigerlich an alle kläglichen Versuche, während des Lockdowns im heimischen Wohnzimmer die Anlage aufzudrehen und unter Zuhilfenahme von viel zu viel Gin Tonic zu probieren, zu einem der unzähligen DJ-Streams zu tanzen.

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Oder reflektiert der 44-jährige Kalkbrenner mit dieser Kulisse vielleicht selbstironisch, dass er nun mal kein Jungspund mehr ist, sondern ein routinierter Profi, der es eigentlich gerne etwas ruhiger angehen lässt? Kalkbrenners Musik jedenfalls passt durchaus zu dieser Interpretation: Konsens-Techno für Clubgänger:innen ab 30 aufwärts: Nicht zu schnell, viele Vocals, ein bisschen sentimental.

Die Halle ist fast ausverkauft, die rund 4000 Besucher:innen tanzen ab der ersten Minute beglückt über den hervorragenden Sound und den fetten Bass. Auch die Lightshow ist erstklassig, vor allem die durch die Video-Leinwand schießenden Scheinwerfer-Batterien sind spektakulär anzusehen. Plattenteller gibt es auf der Bühne nicht zu sehen: Kalkbrenner spielt ausschließlich seine eigene, selbst produzierte Musik und lässt seine Finger dazu stetig durch ein unüberschaubares Meer an Knöpfen, Schaltern und Reglern flitzen, die immer wieder auf der Video-Leinwand in Großaufnahme gezeigt werden. Auch Kalkbrenners Füße bekommen ab und zu eine Nahaufnahme, wenn sie zum Beat auf den Teppich stampfen.

Der Saal tanzt und jubelt

Das ist tanzbar und hat einen guten Flow, Überraschungen gibt es so gut wie keine. Hier und da lässt Kalkbrenner ein bisschen Trance einsickern, ein bisschen Acid House, einmal sogar unsägliche Panflöten-Samples mit südamerikanischen Vocals. „Paule“ wirkt wie immer sympathisch und bodenständig, zündet sich zwischendurch immer wieder Zigaretten an. Er hat sichtlich Spaß und scheint den lang entbehrten Auftritt auf großer Bühne sehr zu genießen, grinst ins Publikum, winkt, tänzelt herum.

Mit bekannten Hits lässt Kalkbrenner lange auf sich warten, was das Publikum jedoch nicht stört, das auch bei instrumentalen Passagen gerne mal mitsingt. Zu den Höhepunkten des Abends gehört der grandiose Remix von Jefferson Airplanes „White Rabbit“, der zu pinkfarbenen Lichtschwaden aus den Boxen schallt: Statt zu einem Bolero erstrahlt Grace Slicks Stimme nun über einem beschwingten Uptempo-Beat und klingt dadurch nicht mehr düster-lockend, sondern wie von triumphaler Euphorie erfüllt. „Feed your Heaaaaad!“, singt der ganze Saal und fühlt die Endorphine aufsteigen.

„Sky And Sand“ hingegen fällt enttäuschend aus, da Kalkbrenner seinen größten Hit, den er zusammen mit Bruder Fritz geschrieben hat, unverständlicherweise mit übersteuerten Keyboard-Fanfaren verunstaltet.
Danach zieht Kalkbrenner das Tempo spürbar an, auch die Beats werden härter.

Der Saal tanzt und jubelt, die Techno-Welt scheint für den Moment tatsächlich etwas heiler. Am Ende dürften nicht wenige Lust bekommen, nach diesem Warmup über die Oberbaumbrücke in den nächsten Club zu gehen - wie man das früher an einem Freitagabend in Berlin eben gemacht hat.

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