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Am liebsten Geschichten erzählen: Der 1947 in Newark geborene amerikanische Schriftsteller Paul Auster.

© AFP

Paul Austers neuer Essayband: Reisen an den Beginn des Schreibens

Ein Leben in der Kunst: Paul Auster hat für sein Buch „Mit Fremden sprechen“ Texte und Essays aus 50 Jahren ausgewählt.

Das Einzige, was Paul Auster von frühester Jugend an tun wollte, ist schreiben. Er meint damit nicht irgendein Schreiben, Tagebücher, Journalismus, sondern jenes, das ein Instrument dafür ist, „Geschichten zu erzählen, erfundene Geschichten, die in dem, was wir Realität nennen, nie stattgefunden haben“. Das hat der amerikanische Schriftsteller 2006 während einer im spanischen Oviedo gehaltenen Dankesrede für den Prinz-von-Asturien-Preis bekannt, und mit dieser Rede beschließt er nun einen Band mit ausgewählten Essays und Schriften von ihm aus nicht weniger als fünfzig Jahren.

Die aktuellsten Texte dieses Bandes stammen von 2014, dazu kommt ein Fragebogen „Über Bücher“ von der „New York Times Book Review“, den Auster im Januar 2017 beantwortet hatte. (Leider wird dabei sein aktuelles Lieblingsbuch bei dieser Befragung, nämlich „Oreo“ von Fran Ross, vom Rowohlt Verlag einem gewissen Frank Ross zugeschrieben.)

Das Alter der Texte weist im Verein mit der finalen Liebeserklärung an das Schreiben darauf hin, dass Auster mit diesem Buch ein weiteres Mal sein Leben inspiziert, er Rückschau hält, er offenlegt, was ihn und sein Werk ausmacht, nach dem durchaus autobiografisch grundierten Großroman „4, 3, 2, 1“ und dem betont autobiografischen „Winterjournal“, seinen letzten Veröffentlichungen der letzten Dekade.

Auster ließ sich von französischen Autoren beeinflussen

Im Mittelpunkt des ersten Teils stehen die Schriftsteller, die ihn entscheidend beeinflusst haben, angefangen von Knut Hamsun über Kafka und Beckett bis Edgar Allan Poe und Nathaniel Hawthorne. Und vor allem ist da die französische Dichtung, sind da Autoren wie Georges Bataille, Georges Perec, Edmond Jabès oder Stéphane Mallarmé.

Die Liebe zu Frankreich und seinen Autoren hat biografische Gründe. Paul Auster, der 1947 in Newark als Kind jüdischer Immigranten geboren wurde, ging nach seinem Studium an der New Yorker Columbia University Anfang der siebziger Jahre für einige Jahre nach Paris, wo er sich als Übersetzer und Englischlehrer durchzuschlagen versuchte.

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Er lernte hier Samuel Beckett kennen, sah hier den – auch aus einem Roman des irischen Schriftstellers Colum McCann bekannten – Hochseiltänzer Philippe Petit das erste Mal, als Jongleur oder wie dieser zwischen den Türmen von Notre-Dame balancierte. Und er befreundete sich mit dem Dichter Jacques Dupin, dessen Bücher er ins Englische übersetzt hatte und der in Paris die Literaturzeitschrift „L’ Ephémère“ mitherausgab.

Über diese Zeitschrift wiederum lernte Auster den Anthropologen Pierre Clastres kennen und dessen Schriften bewundern; was ihn Jahrzehnte später dazu brachte, in einem Vorwort zu dem von ihm übersetzten Clastres-Buch „Chronik der Guyaki“ eine „der traurigsten Geschichten“ zu erzählen, „die ich kenne“.

Der Band enthält verlorene Stücke aus den achtziger Jahren

Denn über der von Auster vorgenommenen Übersetzung dieses Buches stand kein guter Stern. Der amerikanische Verlag, der die „Chronik der Guyaki“ herausbringen wollte, ging pleite, und Auster hatte in seinen jungen Jahren nicht das Geld für eine Kopie. So verschwand das Manuskript seiner Übersetzung spurlos. Erst ein junger Mann und fanatischer Büchersammler entdeckte die Fahnen Jahre später in einem Antiquariat und überreichte sie Auster nach einer Lesung.

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Es ist dies eine typische Paul-Auster-Geschichte, die er sich für einen seiner Romane nicht besser hätte ausdenken können – und die er, wie vieles anderes aus seinem Leben, auch in seinem Romanwerk fiktiv verarbeitet hat, in dem Buch „Reisen ins Scriptorium“.

Zwei weitere verlorene Stücke aus den achtziger Jahren bilden den Mittelteil des Essaybandes, gefolgt von einer für Auster ebenfalls notorischen, idealtypischen Geschichte über seine Schreibmaschine, geschrieben im Jahr 2000. Letztere wirft natürlich die Frage auf, ob Auster immer noch darauf schreibt?

Die politischen Essays sind älteren Datums

Dass Auster am liebsten Geschichten erzählt, und wenn sie aus seinem eigenen Leben sind, und er sich nicht weniger gern über die Werke seiner Lieblingsautoren beugt, merkt man auch daran, dass er nur wenige, zudem eher dürre politische Essays in diese Sammlung aufgenommen hat.

Diese sind allesamt älteren Datums, obwohl Paul Auster zu Donald Trump und den aktuellen Entwicklungen in den USA in den vergangenen Jahren immer mal wieder Stellung bezogen hat, insbesondere in deutschen Zeitungen und Magazinen.

Doch in „Mit Fremden sprechen“ finden sich bloß Einlassungen zu den Fällen von Salman Rushdie und Mumia Abu-Jamal, eine Erinnerung an die Ereignisse an der Columbia-Universität 1968 und ein paar „ungeordnete Notizen“ zu 9/11.

Auster arbeitete als Dolmetscher für Jean Genet

Das darf man programmatisch verstehen. Auster begreift diese Essaysammlung als Baustein seiner Autobiografie. „Ein Leben in der Kunst“, ist seine Ode auf den Grove-Press-Verleger Barney Rosset überschrieben, verfasst anlässlich einer Diskussionsrunde über die Veröffentlichung eines Briefwechsels von Beckett mit Rosset. Dieses In-der-Kunst- Leben bezieht sich auf Auster selbst, und man kann da wohl von einem gelungenen, beneidenswerten Leben sprechen.

Auster hält dieses Loblied auf den Verleger, auf Rossets Autoren „so persönlich wie möglich“, um zunächst abermals auf seine Pariser Zeit zurückzukommen, da er Rossets Ehefrau Joan Mitchell kennengelernt hatte.

Sie gestaltete das Cover einer von ihm mitherausgegebenen Zeitschrift und machte ihn mit Beckett bekannt. Dann erwähnt er, dass er Jean Genet während seines Studiums an der Columbia traf und für diesen in der aufrührerischen Zeit, 1968, als Dolmetscher arbeitete; dass er zwanzig Jahre später mit Alain Robbe-Grillet in Hamburg auf einem Podium saß oder er in London ein Verlagsessen mit Harold Pinter hatte.

Geschmeidig geschrieben, die Texte lassen sich wunderbar lesen

Auch wenn diese Textsammlung ein wenig seltsam in der aktuellen, politisch und gesellschaftlich aufgeladenen Literaturwelt herumsteht, ja, auch wenn viele der Beiträge manchmal ans Kunstreligiöse grenzen: Es ist ein Vergnügen, Austers Texte über sich oder andere Autoren (im Übrigen wirklich alles Männer) zu lesen. Denn alles, was Auster schreibt, kommt stets klar, verständlich und attraktiv herüber. So wie seine Romane auch.

Diese mögen oft bemüht konstruiert wirken, zu viele Rätsel und Zufälle enthalten, stets offensichtlich seinen literarischen Helden verpflichtet sein – trotzdem sind sie geschmeidig geschrieben, lassen sie sich wunderbar leicht lesen.

[Paul Auster: Mit Fremden sprechen. Essays. Übersetzt von Werner Schmitz, Robert Habeck, Andrea Paluch u. a. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 412 Seiten, 26 €]

Die schönste Geschichte handelt übrigens von Austers erster Begegnung mit Beckett in Paris in der Closerie des Lilas. Nicht nur dass der große Ire zu ihm sagte, dass nichts schwieriger sei, als Blickkontakt zu Barkeepern zu bekommen. Sondern Beckett fragte den jungen Kollegen auch, nachdem sie sich länger über Becketts Roman „Mercier et Carnier“ unterhalten hatten und Auster ihm mehrmals versichert hatte, wie gut der sei: „Es hat Ihnen wirklich gefallen, ja? Sie fanden es wirklich gut?

Soll niemand sagen, dass so ein Leben in und mit der Literatur, in und mit der Kunst leicht sei. Die Zweifel bleiben immer, die hat sicher auch Paul Auster nach seiner erfolgreichen fünfzigjährigen Schreibkarriere noch.

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