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Verlorene Jugend, verlorene Zeit. Das ist nicht Modianos „Condé“, sondern das Pariser „Select“ in den sechziger Jahren.

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Patrick Modianos Roman "Café der verlorenen Jugend": Das Glück der Schwerelosigkeit

Paris, ein Traum fürs Leben: Patrick Modiano besucht das „Café der verlorenen Jugend“ und schickt drei Ich-Erzähler auf die Spur einer geheimnisvollen Frau

Patrick Modiano hat so seine Obsessionen. Paris ist eine davon, insbesondere das der Okkupationszeit von 1940 bis 1944, aber auch das der sechziger Jahre und das von heute. Die Zeit ist eine andere Obsession, die verlorene Zeit, ihr Vergehen, ihr genauso zerstörerischer wie für Schriftsteller kreativer Charakter. Oder auch das Verschwinden der Jugend. Weshalb Modianos in schöner Regelmäßigkeit erscheinende, stets schmale Romane immer wieder von mal heiteren, mal traurigen Melodien der Erinnerung durchzogen werden. Und weshalb seine Protagonisten sich meist in ihren jungen Jahren befinden.

In seinem jüngst in Deutsche übersetzten Roman „Das Café der verlorenen Jugend“, der in Frankreich vor fünf Jahren erschien, setzt der 1945 in einem Vorort von Paris geborene Modiano gleich drei Icherzähler auf die Spur einer geheimnisvollen jungen Frau namens Jaqueline Delanque. Sie wird von allen nur Louki genannt und taucht eines Tages im „Condé“ auf, jenem nach dem Situationisten Guy Debord betitelten Café der verlorenen Jugend im Pariser Stadtteil Saint-Germain-des-Prés.

„In der ersten Zeit sprach sie mit keinem, dann knüpfte sie Bekanntschaft mit den Stammgästen des Condé, von denen die meisten in unserem Alter waren, ich würde sagen zwischen neunzehn und fünfundzwanzig.“, erinnert sich der Bergbaustudent Zacharias an sie. Der Privatdetektiv Pierre Caisley wiederum, der von ihrem Ehemann beauftragt wird, sie zu suchen, hat irgendwann das Gefühl, sich in einem Traum zu befinden „und immer weiter Jaqueline Delanques Spur zu verfolgen. Oder vielmehr, ich spürte ihre Gegenwart auf diesem Boulevard, dessen Lichter wie Signale leuchten, ohne dass ich sie hätte entschlüsseln können und ohne zu wissen aus welch fernen Jahren sie drangen.“ Und der dritte Mann im Louki-Bunde, der angehende Schriftsteller Roland, wird ihr Liebhaber, nachdem sie ihren Mann verlassen hat: „Unsere Begegnung erscheint mir, wenn ich heute zurückdenke, wie die Begegnung zweier Menschen, die keine Verankerung hatten im Leben. Ich glaube, wir waren alle beide allein auf der Welt.“

Alle drei bemühen sich, Louki zu fassen zu bekommen. Doch es sind vor allem die Stationen ihres jungen Lebens, an denen die drei Männer Halt finden, sie orientieren sich am biografischen Gerüst ihres Lebens. Louki selbst aber, ihr Charakter, bleibt ein Rätsel, sie hat etwas Unbestimmtes, Ephemeres. Das ändert sich auch nicht, als sie nach Zacharias und Caisley im dritten Kapitel selbst zu Wort kommt. Sie wächst nicht gerade behütet auf, befreundet sich mit einem etwas älteren Mädchen, experimentiert mit Drogen. Sie lebt allein in der Gegenwart, in der jedoch ausgerechnet eine Buchhandlung einer ihrer wichtigsten Zufluchtsorte wird. Eines Tages fragt sie der Besitzer: „Und, finden Sie Ihr Glück?“ Das größte Glück für sie aber ist es, „in der Luft zu schweben und endlich jenes Gefühl der Schwerelosigkeit zu verspüren, nach dem ich schon immer gesucht habe“. Am Ende stürzt sie sich aus dem Fenster eines billigen Hotels.

Das Gefühl der Schwerelosigkeit vermittelt sich auch durch die schöne, manchmal beiläufige, manchmal selbst irgendwie schwebende Prosa von Patrick Modiano. „Schattentür“ heißt eine der Türen des Cafés, durch die Louki immer hereinkommt; traumverloren wandern die Protagonisten des Romans durch die Straßen und Viertel von Paris. Und Roland schreibt an einem Text über die „neutralen Zonen“, Pariser Viertel, „wo man am Rand von allem und jedem war, auf der Durchreise oder sogar in der Schwebe“. So bekommen noch die heruntergekommensten Hotels, die schmucklosesten Cafés und die ärmlichsten Viertel ihren besonderen Zauber. Das Paris, das Modiano hier beschreibt und dessen Straßennamen zu nennen er nie müde wird, gibt es nicht mehr. Es stellt sich aber auch die Frage, ob es das je gegeben hat, ob es nicht allein in Modianos literarischem Schattenreich existiert. In die Gefahr, nostalgisch zu werden, gerät der Autor so jedenfalls nicht. Geradezu aus dem Erzählrahmen fällt es, als Roland den Leser auf einmal mit der gegenwärtigen Realität konfrontiert, mit der Gentrifizierung eines einstigen Bohèmeviertels: „Doch wozu darüber reden, dieses Arrondissement existiert heute nur noch für Leute, die Luxusläden führen, und für reiche Ausländer, die sich Wohnungen kaufen.“

Mit der Jugend, ihren Leidenschaften, Sehnsüchten und Irrwegen verhält es sich bei Modiano ähnlich wie mit dem Paris der Nachkriegszeit und der sechziger Jahre. Im Nachhinein, in der Erinnerung, ist sie so flüchtig wie ein Duft, verloren selbst schon zu einer Zeit, da man sich mitten in ihr befindet. Das Vergangene kehrt nie wieder – es trotzdem festzuhalten, seinen Zauber zu bannen, diesen Versuch unternimmt Patrick Modiano mit jedem seiner Romane aufs Neue. Mit „Café der verlorenen Jugend“ ist ihm das so gut wie lange nicht gelungen.

Patrick ModianoIm Café der verlorenen Jugend. Roman. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Hanser Verlag, München 2012. 158 Seiten, 16, 90 €.

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