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Patricia Kopatchinskaja: Tanz der freien Geister

Patricia Kopatchinskaja und das Konzerthaus-Orchester spielen Robert Schumanns Violinkonzert unter Iván Fischer.

Die Konvention verbietet es, doch eigentlich müsste der Applaus jetzt schon losbrechen, nach dem ersten Satz von Schumanns Violinkonzert: Denn Patricia Kopatchinskaja hat eine Erzählung von Leben und Tod daraus gemacht. Kurz nachdem Schumann 1853 das Werk vollendet hatte, versuchte der Komponist durch einen Sprung in den Rhein seinem inneren Chaos zu entfliehen. Und das hört man in jedem Ton, den die moldawische Geigerin ihrem Instrument abringt.

Kaum hat Patricia Kopatchinskaja die Bühne des ausverkauften Konzerthauses betreten, streift sie ihre Schuhe ab. Sie braucht den direkten Kontakt zum Boden: Denn von ganz weit unten steigen die Klänge auf, die durch ihren ganze Körper hindurch müssen, ihn beben und zittern lassen, bis die Violinsaiten erreicht sind. Wenn sie Schumann spielt, ist Patricia Kopatchinskaja der einsamste Mensch im Weltengetümmel, das von Iván Fischer und dem Konzerthausorchester packend dargestellt wird. Doch der Dirigent vermag das Orchester auch fast verschwinden zu lassen, einen akustisch unscharfen Hintergrund herzustellen, vor dem sich das bewegende Selbstgespräch der Solistin abspielt.

Nach dem Finale von grimmig-verzweifelter Heiterkeit unterbricht die Solistin den Jubel mit einem Griff zum Mikrofon, erklärt, sie habe gestern festgestellt, dass Iván Fischer auch komponiere, und werde darum etwas aus seiner Feder als Zugabe spielen. Ein Klavier wird für den Maestro herein gerollt, die Geigerin lässt sich in ihrer Robe, die an eine voll erblühte Papageien-Tulpe erinnert, am Bühnenrand nieder. Und dann erklingen – in größtmöglichem Kontrast, wie ihn nur ganz freie Geister wagen – drei Tanzparodien von weltläufigem Humor: Ragtime, Bossa Nova, Tango.

Höchst anregend waren zur Eröffnung des Abends bereits die „Skizzen“ des 90-jährigen Friedrich Cerha gewesen. Der Österreicher arbeitet ausschließlich mit den vertrauten Orchesterklangfarben und stimuliert so die Aufmerksamkeit des Hörers: Weil sich aus dem Tongewebe zahllose Anspielungen herausfiltern lassen, an Wagner, Debussy, Mahler oder auch Hindemith. Ludwig van Beethoven kommt nicht vor, dessen vierter Sinfonie widmet sich Iván Fischer dafür zum Abschluss – und lässt sie in einer Frische erklingen, als habe er das Werk tatsächlich gerade erst für sich entdeckt. Frederik Hanssen

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