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Verborgener Schatz. Hinter der unscheinbaren Fassade in der Gustav-Adolf-Straße liegt das Kinogewölbe, das fast noch im Originalzustand von 1929 erhalten ist.

© Rentlocation

Party: Komm, schenk noch mal ein

Zurück in die wilden Zwanziger: Wie Theatermacher das einstige Stummfilmkino Delphi in Weißensee mit Absinth-Partys neu beleben.

Die Filmstudios in Babelsberg feiern in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag. Es gibt Jubiläumsfeiern, Sondersendungen und Sonderausstellungen. Aber was ist mit Weißensee, das einmal Klein-Hollywood genannt wurde?

In den zehner Jahren des letzten Jahrhunderts wurde es den Pionieren des Films in den kleinen Dachateliers in Berlin zu eng, also zogen sie weg, in die Außenbezirke der Stadt, wo es mehr und billigeren Raum gab. So sind die Studios in Babelsberg entstanden, aber auch die in Weißensee. 1913 hatten sich an der damaligen Franz-Joseph-Straße, die heute Liebermannstraße heißt, mehrere Filmgesellschaften angesiedelt. Fritz Lang drehte hier seinen ersten Film „Halbblut“. Auf den Ateliergrundstücken wuchsen Tempel, Paläste und tropische Gärten oder florentinische Marktplätze als Kulissen empor. Die Weißenseer Rennbahn wurde für die Historientrilogie „Veritas vincit“ von Max Mack mit viel Pomp in den Circus Maximus des alten Roms umgebaut. Es gab mehrere Kintopps, die Kneipen hatten Hinterräume, in denen Filme gezeigt werden konnten. Weißensee, das war mal ein Zentrum der Filmwirtschaft, bis zum Ende des Stummfilms.

Nichts ist davon übrig. Außer einem leer stehenden Filmtheater, das kaum einer kennt. Wer würde es auch schon hinter der grauen, unscheinbaren Fassade in der Gustav-Adolf-Straße vermuten, das Stummfilmkino Delphi? Es ist ein Schatz, ein Relikt, fast noch im Originalzustand von 1929. Ende der fünfziger Jahre wurde das Kino geschlossen, nachdem Stuck von der Decke gebröckelt war. Später wurde es als Lager, Wäscherei und Briefmarkengeschäft genutzt. Vor einigen Jahren hat es einer gekauft, der den alten Charme bewahren will und es für Feiern und Film- und Fernsehaufnahmen vermietet. Sogar Quentin Tarantino hat hier vor den Dreharbeiten zu „Inglourious Basterds“ vorbeigeschaut – sich dann aber doch dazu entschlossen, das Setting in Babelsberg nachzubauen, das war unkomplizierter. Im Herbst soll „Das Kind“ anlaufen, ein Thriller mit Ben Becker und dem US-Schauspieler Eric Roberts, „der wurde auch hier gedreht“, sagt Andreas Jahn, der Besitzer.

Auch Nikolaus Schneider stand eines Tages dank einer privaten Partyeinladung in dem hohen Raum mit Gewölbe, sah die geschwungenen Balustraden der Ränge, das Proszenium mit seinen drei gestaffelten Bögen, wo einst die Filme über die Leinwand flimmerten, und den Orchestergraben. Schneider ist Schauspieler und Theatermacher. Er war fasziniert von dem nostalgischen Charme und dachte: „Hier möchte ich einmal ein Stück inszenieren.“ So kommt es nun.

„Exposure Berlin“ heißt die Produktion, die Anleihen bei der Zeit der Stummfilmklassiker und den Surrealismus macht, frei nach dem Bühnenstück „Les Mamelles de Tirésias“ von Guillaume Appollinaire. Darin geht es um die griechisch-mythologische Figur Teiresias, der sich eines Tages in eine Frau verwandelt, später wiederum zurück in einen Mann. Zeus und Hera fragen ihn interessiert, welches Geschlecht denn beim Sex mehr Lust empfinde, schließlich kenne er ja nun beide Seiten. Teiresias antwortet: Frauen. Woraufhin Hera mächtig wütend wird, da er das Geheimnis der Frauen preisgegeben habe. Sie lässt ihn kurzerhand erblinden. Zeus kann das zwar nicht mehr rückgängig machen, verleiht ihm dafür aber die Gabe eines Weissagers.

„Das ist eine moderne Gendergeschichte“, findet der 29-jährige Schneider, der das Stück zusammen mit Brina Stinehelfer entwickelt hat, gemeinsam nennen sie sich „Per Aspera“. Stinehelfer kommt aus New York. Ihr Stück „Skype- Duet“ wurde im vergangenen Jahr auf dem 100-Grad-Festival im Hebbel am Ufer ausgezeichnet. Die 30-Jährige kommunizierte auf der Bühne mit dem Publikum und mit einer Schauspielerin, die in einem Café in Manhattan saß, per Internetchat.

Auch dieses Mal werden die beiden Theatermacher mit verschiedenen Medien arbeiten. Ein Kamerateam verfolgt die Spielszenen und überträgt sie live und in Schwarz-Weiß auf die große Leinwand, es ist eine Reminiszenz an den Ort. Ein Orchester spielt auf, ein DJ steuert elektronische Klänge bei, eine Opernsängerin soll wie ein geheimnisvoller Geist auftauchen, eine Videokünstlerin fügt fantastisch-surreale Bilder hinzu. Und weil das Team, das sich Schneider und Stinehelfer aus der freien Szene Berlins zusammengewürfelt haben, so international ist, wird das Stück in drei Sprachen aufgeführt, Deutsch, Englisch, Französisch. „Aber jeder wird mitkommen können, auch wenn er eine Sprache nicht beherrscht“, verspricht Schneider. Vieles wird im dramatischen Halbdunkel geschehen – das passt zum Stück, hängt aber auch damit zusammen, dass es in dem Kino keine richtige Bühnenbeleuchtung gibt. Improvisieren ist gefragt. Und Kerzenschein.

Eigentlich sind Schneider und seine Partnerin mit der Probenarbeit fertig, die Premiere war für diesen Monat geplant. Doch ihnen fehlt das Geld. Also versuchen es die Künstler über Fundraising, der Senat hat ebenfalls Unterstützung signalisiert. Außerdem veranstalteten Schneider und Stinehelfer im Kino bereits eine „Soirée Absinth“, einen Kultur-Salon- Abend im Stile der Zwanziger. Endlich eine Gelegenheit, das sonst verschlossene Kino von innen zu sehen! Dachten sich wohl auch die vielen Besucher, die über Facebook davon erfahren hatten. Der Abend war nur als Testlauf für das Theaterstück gedacht, um mit dem Ort vertraut zu werden und Gelder für das Projekt zu sammeln, wurde aber ein so großer Erfolg, dass Schneider und Stinehelfer weitermachen. An diesem Freitag und am Samstag ist es wieder so weit. Dieses Mal werden die beiden Ausschnitte aus ihrem Stück „Exposure Berlin“ zeigen, quasi als Appetitanreger. Denn Premiere wird nun voraussichtlich im Herbst sein. Wer will, schmeißt sich in Zwanziger-Jahre-Schale. „Das ist kein Muss, aber wir fänden es schön“, sagt Brina Stinehelfer. Der Absinth wird fließen, es gibt Musik von Schellack-Platten, und passend zur Fashion- Week eine „Revue“ mit aus der Zeit inspirierter Mode zweier junger Berliner Designerinnen. Außerdem zeigt der renommierte Videokünstler Reynold Reynolds eines seiner Werke.

Schon seit längerem gibt es in Berlin die „Bohème Sauvage“-Partyreihe, die an wechselnden Orten die ausgelassene Zeit der Zwanziger zelebriert. Und im Berliner Dom werden Stummfilmklassiker gezeigt. In diesem Jahr rollt eine echte Twenties-Welle an: Regisseur Buz Luhrmann („Australia“) dreht gerade in Hollywood eine Romanadaption des „Großen Gatsby“ von 1925, der den Rausch vor der Großen Depression beschreibt. Bei den Golden Globes hat der moderne Schwarz-Weiß-Stummfilm „The Artist“ mächtig abgeräumt. Und die neue Frühjahrs-Sommer-Mode verspricht Art-Deco-Fashion. Gucci oder Marc Jacobs bringen Flatterkleidchen auf den Markt, in denen die Damenwelt stilecht Charleston tanzen könnte. Woher kommt der Trend? Die Zeiten wiederholen sich, glaubt Schneider. „Wir erleben gerade große Unsicherheit“, sagt er. „Alle haben Angst vor der Rezession, da will man sich noch mal schön machen und ausgehen.“

Soirées Absinth: Fr/Sa 20./21.1., 18-22 Uhr, ehemaliges Stummfilmkino Delphi, Gustav-Adolf-Straße 2, Weißensee. Infos und Karten: www.exposure-berlin.com

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