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Mischwald. „Lago Quadrato“ heißt das große Gemälde des brasilianischen Künstlers Luiz Zerbini von 2010.

© Eduardo Ortgea

Pariser Ausstellung feiert die Pflanzen: Mein Freund, der Baum

Bäume sind Schatten- und Trostspender, Projektionsflächen und Sehnsuchtsobjekte. Die Pariser Fondation Cartier beleuchtet unser Verhältnis zu ihnen.

Schon im Garten der Stiftung treffen die harten Widersprüche aufeinander. Am Eingang, wo sich die Besucher der Ausstellung „Nous Les Arbres“ zur Warteschlange formieren, steht eine uralte Zeder. Selbst Architekt Jean Nouvel nahm Rücksicht auf das Gewächs, als er der Fondation Cartier jene gläserne Architektur in das Pariser Quartier Montmartre setzte, wo seit 1994 herausragende Ausstellungen stattfinden.

Diesmal also geht es um den Baum. Nicht bloß die Zeder, sondern um Bäume als Schatten- und Trostspender, Projektionsflächen und nicht zuletzt artifizielle Objekte. Ein solches steht hinter dem hohen Haus, es handelt sich um den „Prototype de paradis“ von Fabrice Hyber und verkörpert die immergrüne Alternative: praktisch, perfekt gebaut, nahezu unverwüstlich. Nur muss man ihn bewachen, weil die Besucher seine angeklebten Kunstblätter sonst als Souvenirs abpflücken würden. Und leider betreibt er auch keine Photosynthese. Eine Welt voller Hyberscher Paradiesbäume sähe sicher gut aus, wäre aber faktisch tot.

Zwischen diesen beiden Polen – der lebenden, von Schädlingen, Hitze und Abgasen bedrohten Pflanze und ihrem künstlichen Pendant – lotet die aktuelle Schau das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft im Umgang mit den Pflanzen aus (Paris; bis 10. November). Sie tut das auf bewährte Art der Fondation und lädt zum interdisziplinären Dialog. Was, neben wunderbaren künstlerischen Beiträgen wie den Gemälden von Luiz Zerbini oder den minutiösen Baumzeichnungen von Cesare Leonardi und Franca Stagi, auch Erkenntnisse aus Botanik und Neurobiologie einschließt.

Feierabendverkehr und Verlustängste

Für das Projekt „Symbiosia“ versah der niederländische Künstler Thijs Biersteker die Nebenbäume der fragilen Zeder mit Sensoren an Wurzeln, Blättern und Ästen, die den Besucher nun dank eines LED-Bildschirms über ihren Zustand informieren. Ein Algorithmus setzt die Reaktionen in digitale Bilder um und dokumentiert den Stress, den die Bäume etwa während des Feierabendverkehrs mit seinem steigenden CO2-Gehalt in der Luft empfinden.

Empfindung respektive Empfindsamkeit sind überhaupt die passenden Vokabeln zu dieser Ausstellung. Sie spiegeln sich im respektvollen Umgang der Künstler mit ihrem Thema, selbst wenn die Kolumbianerin Johanna Calla einen Baum lebensgroß auf Computerpapier ausdruckt und ihn so digital wachsen lässt. Pflanzen werden liebevoll in zarten Farben nachgebildet oder in Installationen integriert, wo man sie hegt und wässert. Bewunderung spricht aus vielen Werken. Und Angst, wenn indigene Völker ihre urzeitlichen Wälder und heiligen Bäume als Häcksel zerkleinert sehen. Ursula und Verena Regehr haben Zeichnungen von Autodidakten wie Clemente Juliuz zusammengetragen, die von unwiederbringlichen Verlusten erzählen.

Der Baum ist ein Nachbar

Auf der anderen Seite steht ein Bild von Sebstiàn Mejia: Sein Foto zeigt eine Tankstelle in Santiago de Chile, die sich um eine Palme schmiegt. Niemand hat es gewagt, sie zu fällen. Vielleicht liegt es an dem, Wissen, dass Bäume schon seit knapp 400 Millionen Jahre auf der Erde sind und den Menschen vielfach überleben – wenn man sie lässt.

Zwischen den Werken renommierter Künstler wie Agnès Varda, die sich kurz vor ihrem Tod im März 2019 noch mit der Bronzekatze „Nini“ im Park der Fondation ein Denkmal setzte, den Steinen von Ian Hamilton Finlay und einer Arbeit Guiseppe Penones findet sich eine kurze, eindringliche Video-Dokumentation. Hier spricht der Pflanzenneurobiologie Stefano Mancuso über die Intelligenz der von ihm beobachteten Sprösslinge. 2015 erschien sein Buch „Die Intelligenz der Pflanzen“ – ein Bestseller, der die Dringlichkeit einer neuen, anderen Betrachtung der Flora unterstreicht.

Künstlern sagt man nach, sie seien gesellschaftliche Seismographen. Die Ausstellung „Nous les arbres“ zeigt ihren – manchmal erst kürzlich erworbenen, manchmal schon lange gehegten – Respekt vor der Pflanze auf, geht aber noch einen Schritt weiter. Sie weist, auch ihrem umfangreichen Begleitprogramm, auf die Symbiose zwischen Menschen und Bäumen hin. Ihre Koexistenz ist überlebenswichtig, und vielleicht lässt sich von den Urbewohnern des Planeten sogar noch lernen. „Wir, die Bäume“, so ein Titel formuliert schon einmal einen Anspruch: Der Baum ist kein Ding. Eher ein Nachbar.

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