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Ul Vohrer und Annette Berr, die Gründerinnen des „Haus des Papiers“.

© Sven Darmer

Papiermuseum Berlin: Weiße Ware

In Berlin hat ein privates Museum für skulpturale Arbeiten aus Papier eröffnet.

Das hier ist sicher Porzellan. Diese feine, schwere Platte von Burcak Bingöl, auf der sich Bleistiftspuren neben zarten Einkerbungen abzeichnen. Annette Berr bestreitet dies auch keine Sekunde, und während man sich fragt, was Porzellan in einem Museum für Papier macht, weist sie auf die tricky Strategie der in Istanbul lebenden Künstlerin hin: Das Papier hat sie mit in den Brennofen getan, es steckte in den kleinen Vertiefungen und ist verbrannt. Übrig bleibt die Negativform – das Abwesende. Damit gibt es eine weitere Kategorie an diesem Ort, der sich der Schönheit und Vielfalt im skulpturalen Umgang mit Papier widmet: die der Poesie.

Eine Initiative zweier Unternehmerinnen

Auf 170 Quadratmetern breitet sich in Berlin aus, was Künstler:innen aus dem Material zu gestalten vermögen. Unglaublich zarte, geschnittene Oberflächen konkurrieren mit solchen, die nach diversen Press- und Polierprozessen hart wie Stein geworden sind. Im „Haus des Papiers“ entfalten sie ihre Faszination in Räumen, in denen zuvor eine Galerie beheimatet war. Das klingt nach mäßig viel Platz für ein privates Museum, doch die wenigsten Objekte wuchern oder brauchen ähnlich viel Wand wie das raffinierte Bild von Christiane Feser. Sie hat ihre monumentale Fotografie mit Schnitten und abstrakten, wabenartigen Strukturen übersät, so dass man selbst bei längerem Hinschauen kaum herausfindet, was erhaben über der Fläche steht und was illusionär ist. Feser verdankt sich – mehr oder weniger – auch das ambitionierte Projekt: Vor knapp drei Jahren entdeckten Berr und Ul Vohrer auf einem Gang über die Messe Paris Photo eine ihrer komplexen Arbeiten. Und obwohl die beiden Berliner Unternehmerinnen selbst in dem Metier tätig sind und für internationale Künstler:innen Papierarbeiten auf höchstem drucktechnischen Niveau realisieren, waren sie von der Komplexität und ebenso der Wirkung des Bildes geflasht.

Viel mehr als Origami

Von hier aus reifte der Entschluss, einen festen Ausstellungsort zu etablieren. „Skulpturale Papierkunst ist so viel mehr als Origami“, meint Annette Berr scherzhaft und weist mit einer ausladenden Geste auf die Räume, die nach einer Corona bedingten Mini-Eröffnung nun allen offenstehen. Die aktuelle Schau bestreiten neben Bingöl, Goekhan Erdogan, Wolf Vostell oder Lars Eidinger Künstlerinnen wie Rosemarie Trockel, Monica Bonvicini, Annegret Soltau oder Katharina Hinsberg, die Papier seit langem mit Hingabe ästhetisch perforiert. Dass auch Leiko Ikemura vertreten ist, mag im ersten Moment verwundern, weil man von ihr vor allem Arbeiten auf Leinwand oder aus Ton kennt. Berr und Vohrer aber baten sie darum, ihre liegenden Frauenköpfe in Papier auszuprobieren: Tatsächlich ruht nun eine weiße, zarte Maske der Berliner Künstlerin auf einem Sockel, die die feine Stofflichkeit von Porzellan besitzt.

Um die Ausweitung der Papierzone kümmert sich das Duo schon länger. Seit vier Jahren gibt es eine „Paper Residency“, jeweils vier von einer Jury ausgewählte Stipendiaten können einen Sommer lang in Berliner Ateliers mit dem Material experimentieren. Außerdem wurde ein mit 36 000 Euro dotierter Preis für Papierkunst ins Leben gerufen, der 2020 auf der Berliner Kunstmesse Paper Positions vorgestellt und von diversen Arbeiten gerahmt wurde, die während der Stipendien entstanden . Dieses Jahr soll der Award, wieder auf der Paper Positions im Herbst, an drei Preisträger vergeben werden.

Nicht alles in der Schau gehört zur eigenen Sammlung. Es sind Leihgaben von Künstler:innen darunter. Auch die Entscheidung, dass sich alle Stipendiaten für ihren Aufenthalt mit einer Arbeit revanchieren, die in den Besitz des Museums übergeht, ist relativ jung und wird das Depot noch wachsen lassen. Aber schon jetzt staunt man über die kreativen Spielarten eines Materials, das hier nach allen Seiten ausfransen darf.
Haus des Papiers, Seydelstraße 30/Ecke, Elisabeth-Mara-Straße, 10117 Berlin, Fr–So 10–17 Uhr, www.hausdespapiers.com

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