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Aus Holzhackschnitzeln wird Zellstoff für die Papierherstellung gewonnen.

© Cornelia Danetzki/Verband Deutscher Papierfabriken (VDP)

Papier und seine Herstellung: Ein ganz besonderer Stoff

Papier ist eine Kulturleistung – und ein hochgradig effizientes Industrieprodukt. Ein Gespräch mit Frank Miletzky, Professor im Forschungsgebiet Papiertechnik der TU Dresden.

Herr Miletzky,jeder kennt Papier, aber was ist „Papiertechnik“?

Man versteht darunter den modernen, effektivitätsgetriebenen, hoch automatisierten Prozess der Herstellung von Papier aus einem Grundstoff, von der Faser über das feuchte zum getrockneten und veredelten Blatt. Eingebunden in den Prozess sind hochsensible Sensorik, Digitalisierung, Algorithmen, künstliche Intelligenz. Am Institut für Naturstofftechnik befassen wir uns aber auch mit Bioökonomie und Zirkularität.

„Zirkularität“ müssen Sie auch erklären.

Das Konzept der Zirkularität geht von der Annahme aus, dass die Natur keinen Abfall kennt. Im optimalen Fall, der maximalen Zirkularität, wird alles verwertet. Altpapier ist zwar kein Perpetuum mobile, das sich endlos wiederverwenden lässt, aber seine Recyclingquote ist in Deutschland mit 75 Prozent sehr hoch, ähnlich wie bei Glas. Bei Kunststoffen und Metallen liegt sie sehr viel niedriger. Weltweit werden jährlich rund 410 Millionen Tonnen Papier hergestellt, davon sind immerhin 55 Prozent aus Altpapier. Nur 180 Millionen Tonnen entstehen auf Basis von frischem Zellstoff aus Holz.

In welchen Bereichen wird Papier heute eingesetzt? 

Wir unterscheiden vier Kategorien: (a) die grafische, worunter alle Produkte fallen, die in irgendeiner Weise bedruckt werden, (b) Verpackungen, (c) Hygieneartikel und (d) Spezialpapiere. Dieser letzte Bereich macht nur etwa sieben Prozent aus, differenziert sich aber trotzdem aus in über 3000 verschiedene Ausprägungen. Bei den Hygienepapieren ist die Recyclingquote übrigens mit 40 Prozent recht niedrig. Käuferinnen und Käufer akzeptieren in diesem Bereich Altpapier weniger. Sie wollen weißes Toilettenpapier.

Thema Verpackungen – kurz vor unserem Gespräch habe ich ein Hanuta gegessen. Diese Schnitte war bisher nur in Folie eingepackt, jetzt ist sie zusätzlich auch noch in Plastik eingeschweißt. Trügt der Eindruck, dass alle zwar über Müll in den Ozeanen reden, Plastikverpackungen aber trotzdem auf dem Vormarsch sind?

Ja, der Eindruck trügt. Ich würde von Einzelfällen nicht auf das Gesamtbild schließen. Papierverpackungen nehmen zu, vor allem das „flexible packaging“, das im Lebensmittelbereich eingesetzt wird und Aroma viel besser hält. Firmen wie August Köhler im baden-württembergischen Oberkirch spezialisieren sich zunehmend auf diese Verpackungsart. Ein Umbau, bei dem ein komplexer Prozess durchlaufen werden muss: neue Maschinen, neues Design, und die Kundschaft muss es auch annehmen.

Da wir über Maschinen sprechen: Wie sieht es mit der CO2-Bilanz bei der Papierproduktion aus?

Die Branche hat sich in der „Roadmap 2050“ das Ziel gesetzt, bis dahin weltweit CO2-neutral zu produzieren. Sie orientiert sich zudem an den Visionen der SIRA („Strategic Innovation and Research Agenda“) aus dem Jahre 2013. Sie strebt an, Europas Industrien hin zur Nachhaltigkeit und Zirkularität umzuwandeln und die Ausbeutung von Rohstoffen zu beenden – mit dem Ziel, das letztlich weltweit durchzusetzen.

Frank Miletzky
Frank Miletzky

©  TU Dresden

So weit die Theorie, welche Schritte wurden bisher konkret unternommen? 

Zum einen ist Papier deutlich leichter geworden. Zeitungspapier etwa wiegt heute ein Drittel weniger. Das bedeutet ein Drittel weniger Energie- und Wasserverbrauch – ein Fortschritt, den die Industrie meiner Meinung nach viel zu wenig publik macht, den sie versteckt, warum auch immer. Außerdem benötigen gewisse elementare Prozesse bei der Papierherstellung heute weniger Energie und setzen damit auch weniger CO2 frei. Das betrifft vor allem die Trocknung.

Die Trocknung?

Papier entsteht aus einem hoch verdünnten Brei, ein Kilo Faserstoff, 99 Kilo Wasser. Dieser Brei wird mit einer Geschwindigkeit von bis zu 120 Stundenkilometer auf ein Sieb gepresst und durch Unterdruck entwässert. Je mehr Wasser hier bereits herausgepresst wird, desto weniger muss später durch Trocknung verdampfen. Das ist deshalb bedeutsam, weil auf die Trocknung zwei Drittel des gesamten Energiebedarfs bei der Papierherstellung entfallen. Heute haben Sie nach der Pressung noch eine Tonne Wasser auf eine Tonne Faserstoff, also ein Verhältnis von 50 zu 50. Schafft man es, das auf 75 zu 25 zu steigern, wäre das nachhaltiger und klimafreundlicher.

Woher stammt dieser Zellstoff?

In Deutschland decken wir unseren Frischfaserbedarf zu einem Drittel mit heimischem Holz: Fichte, Kiefer und Buche. Wichtig ist dabei zu wissen, dass es sich ausschließlich um Abfallholz aus Sägewerken handelt. Das heißt, zumindest hierzulande werden keine Bäume unmittelbar für die Papierherstellung gefällt.

Und in anderen Ländern?

Deutschland bezieht Frischfasern aus Skandinavien (Kiefern und Birken). Die großen Faserversorger der Welt befinden sich aber in Südamerika. Dort existieren riesige Monokulturen mit Eukalyptusbäumen, die eine hohe Produktivität haben.

Heißt das, dass für diese Plantagen Regenwald gerodet wird?

Meines Wissens haben sich alle Erzeuger verpflichtet, Standards einzuhalten, was mit Siegeln wie FSC („Forest Stewardship Council“) oder PEFC („Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes“) belegt wird. So weit die Theorie. In der Realität verschwindet natürlich trotzdem leider jedes Jahr viel Regenwald, auch weil die politische Führung etwa in Brasilien die Rodung noch fördert. Allerdings wird zurzeit vor allem für Viehfutter entwaldet. Siegel wie FSC und PEFC haben sich auch dank der Lobbyarbeit von Greenpeace teils gegen den Widerstand der Industrie durchgesetzt. Sie sollen die wirtschaftlichen und soziokulturellen Gegebenheiten in den Ursprungsländern – vor allem der indigenen Bevölkerung – stärker berücksichtigen. Die Bekleidungsindustrie hat es übrigens bis heute nicht geschafft, sich solche Standards aufzuerlegen.

Welche Folgen hat die rasante Digitalisierung für den Papierverbrauch? 

Dramatische. Allerdings vor allem im grafischen Bereich, der früher 60 und heute noch 25 Prozent der Papierproduktion ausmacht. Ein Rückgang, der allerdings überkompensiert wird durch den Verpackungsbereich, der massiv zugelegt hat. Fabriken wurden umgewidmet, das Portfolio hat sich geändert. So ist die Produktion in Deutschland von 16 Millionen Tonnen (1991) nach einer Delle 2009 wegen der Finanzkrise auf jetzt 22 Millionen Tonnen im Jahr 2020 gestiegen. Die Hälfte davon geht in den Export.

[ Das Gespräch führte Udo Badelt. Frank Miletzky ist Professor am Institut für Naturstofftechnik der TU Dresden und Gastprofessor an der FH Rosenheim. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderen Zellstoffe, Spezialpapiere und Umweltmanagement]

Kann man schon einschätzen, welche Folgen die Coronakrise haben wird?

Sie wird Gewinner und Verlierer hervorbringen. Der Verpackungsbereich, Stichwort Onlinehandel, nimmt stetig zu. Und dann ist da noch der mysteriöse, bis heute nicht vollständige verstandene Run auf Toilettenpapier in der Frühphase der Pandemie. Andererseits beschleunigt die Krise natürlich auch die Digitalisierung im Allgemeinen.

Zu Beginn unseres Gesprächs erwähnten Sie den Begriff „Bioökonomie“. Ein Wort noch dazu, was ist das? 

Bioökonomie ist ein Debattenbegriff, aber zunehmend auch ein Lehrfach an den Universitäten. Es geht um einen tiefgreifenden Wandel in unserem Verständnis von Ressourcen. Je länger ich Produkte im Wirtschaftskreislauf halte, umso positiver sind die Effekte für das Klima. Wie können wir nur so viel verbrauchen, wie klimaneutral nachwächst? Übrigens: Wirtschaftswald, der ja in Deutschland oft ein schlechtes Image hat, spielt als CO2-Speicher eine ähnlich große Rolle wie der Regenwald.

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