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Chiko

© Promo

Panorama: Kurz und schmerzvoll

Brisanter Stoff - genau am Problempuls der Zeit: In Özgür Yildirims Hamburger Gangsterfilm "Chiko" spielt Denis Moschitto einen Drogendealer auf dem Weg nach oben.

Große Klappe reicht nicht, Alter! Sprücheklopfer und Leichtgewichte gibt’s genügend in der Hamburger Halbschattenwelt. Wer den Platz an der Sonne will, braucht Köpfchen und Schneid. Braucht Rücksichtslosigkeit und Härte. Braucht einen fiesen Willen zur Macht. Das gilt zumal für einen wie Chiko (Dennis Moschitto), der als Deutschtürke rein gar nichts geschenkt bekommt in diesem Land – egal ob Breitreifen-Mercedes, Designer-Loft oder Respekt von der Mehrheitsgesellschaft. Da das mühsame Hochhangeln auf der sozialen Sprossenleiter kaum Erfolg verspricht, versucht Chiko, sich anderweitig nach oben zu katapultieren. Eines Tages schlägt er mit seinem Freund Tibet (Volkan Özcan) beim Kleindealer seiner Hochhaussiedlung auf, malträtiert die Wohnung mitsamt dem Dealergesicht und darf deshalb bei Brownie (Moritz Bleibtreu) vorsprechen, dem lokalen Drogen-Macker. Dieses Gespräch wird der Einstieg zum Aufstieg. Und der Anfang vom Ende.

Der Regisseur Özgür Yildirim, geboren, aufgewachsen und ausgebildet in Hamburg, ist 28 Jahre alt. „Chiko“ ist sein Spielfilmdebüt. Der Film dauert knapp 90 Minuten. In diesen anderthalb Stunden steckt soviel Härte und Vitalität, dass man danach erstmal tief durchatmen muss. Das deutsche Kino – das nicht nur erstaunlich prüde ist, sondern oft auch große Scheu vor Gewalt zeigt – schlägt hier einen Ton an, der weh tut. Dabei beginnt der Film zunächst ganz harmlos. Mit seinen clownesken Nebenfiguren lockt Yildirim den Zuschauer sogar kurz auf die falsche Fährte. Doch je länger der Film dauert, desto roher wird er. Irgendwann versteht der Regisseur überhaupt keinen Spaß mehr. Nägel, Baseballschläger und andere Gebrauchsgegenstände werden in Anschlag gebracht: Es hämmert und kracht – und damit sind nicht nur die HipHop-Beats auf der Tonspur gemeint.

Natürlich könnte man jetzt wieder das alte Fass von der Gewalt im Kino aufmachen. Aber das würde bedeuten, deutsche Filme hätten die Augen zu verschließen vor der Realität – was angesichts derzeitiger Jugendgewalt-Debatten eher unerquicklich wäre. Allerdings darf man den Film auch nicht mit Widerspiegelungsansprüchen überfrachten: Was hier gezeigt wird, ist kein detailgetreues Abziehbild deutscher Wirklichkeit. Yildirim flicht zwar schöne Beobachtungen aus dem deutschtürkischen Alltag ein, aber ebenso stark hat „Chiko“ das raue amerikanische Genrekino in sich aufgesogen – mitsamt der Gewalt als ästhetischem Mittel. Yildirim nimmt Anleihen bei Coppolas „Paten“ und Scorseses „Mean Streets“. Ein anderes Vorbild ist „Kurz und schmerzlos“ von Fatih Akin, der selbst ein großer Scorsese-Bewunderer ist und „Chiko“ mitproduziert hat.

Wie so oft beim Genrekino dürften die Wirklichkeitsverweise daher eher in den verdrängten, unbewussten Ängsten und Sehnsüchten des Films zu suchen sein. Und der Gangsterfilm – schon immer ein Gesellschaftsgenre par excellence – legt die Symptome mit besonderer Deutlichkeit frei. Einerseits verkörpert der Gangster nämlich den Paria am Rande der Gesellschaft, weshalb sich die Protagonisten des Gangsterfilms meist aus Italo- Amerikaner, Juden oder Schwarzen rekrutierten. Andererseits untermauert gerade sein radikaler Drang zum Erfolg die Ideale, um die der Gangster von der Gesellschaft gebracht wird. Man sollte also aufhorchen, wenn ein deutschtürkischer Regisseur rüde Lederjacken- und Dreitagebart-Kerle wie Chiko in den Mittelpunkt rückt und deren Kampf um Anerkennung und Statussymbole ohne Rücksicht auf Verluste zeigt. Auch wenn das Hinschauen manchmal weh tun mag.

09.02., 19 Uhr (Zoo-Palast), 10. 2., 10.30 Uhr (Cinemaxx 7), 11. 2., 14 Uhr (International), 17. 2., 21.30 Uhr (Zoo-Palast)

Julian Hanich

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