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Die afghanische Regisseurin Shahrbanoo Sadat.

© Jalal Hussaini

Panel-Diskussion im Rahmen der Berlinale: „Es gibt ein großes Potential für afghanisches Kino“

Eigene Geschichten erzählen: Drei Filmemacherinnen aus Afghanistan und dem Iran über Stereotype, Vereinnahmung und Druck aus dem Westen.

Als das Teeservice zu Bruch ging, wusste Zamarin Wahdat, dass etwas nicht stimmte. Sie war in Afghanistan als Teil der Crew von „Learning to Skateboard in a Warzone (If You’re a Girl)”, der 2020 mit den Oscar als bester Dokumentar-Kurzfilm ausgezeichnet werden sollte. Wahdat ist in Kabul geboren, aber in Deutschland aufgewachsen. In Afghanistan war sie 2017 zum ersten Mal seit ihrer frühen Kindheit – und trotzdem kannte sie die Lebensart besser als das Filmteam aus den USA.

Sie wusste zum Beispiel, wie enorm wichtig Gastfreundschaft ist. Als das Team bei einer armen Familie zu Besuch war und im Chaos des Drehs das gute Teeservice zu Bruch ging, schien das niemanden in der Crew zu kümmern, erzählt Wahdat. Nur ihr war die Bedeutung dieses Verlustes klar. Sie machte sich gemeinsam mit einem Ortshelfer auf dem Weg in die Stadt, um neues Geschirr für die Familie zu kaufen.

Die Realität interessiere oft nicht

Die Anekdote zeigt die Probleme, die entstehen können, wenn Filmemacher:innen aus dem Westen in Afghanistan drehen. Lasst Afghanen und Afghaninnen ihre eigenen Geschichten erzählen, das war die zentrale Botschaft des Zoom-Panels „Imagine Afghanistan: Women Filmmakers and Their Vision“, welches das Internationale Frauen*Film Fest Dortmund + Köln im Rahmen des European Film Market der Berlinale am Montagnachmittag veranstaltete. Neben Zamarin Wahdat, die 2021 mit ihrem Regie-Debüt „Bambirak“ den Preis für den besten internationalen Kurzfilm in Sundance gewann, nahmen die Regisseur:innen Shahrbanoo Sadat und Rokhsareh Ghaem Maghami teil, modereiert wurde die Veranstaltung von Andrea Kuhn, Leiterin des Internationalen Nürnberger Filmfestivals der Menschenrechte.

Zamarin Wahdat, geboren 1989 in Kabul.
Zamarin Wahdat, geboren 1989 in Kabul.

© Lisa Knauer

„Leute aus dem Westen wollen nur ganz bestimmte Geschichten über unsere Region sehen“, sagt Rokhsareh Ghaem Maghami. Ihr sei beispielsweise nahegelegt worden, in einem Film über Teheran nicht die Autobahn zu zeigen, die es dort gibt. „Ihnen geht es nicht um die Realität.“ Für ihren Dokumentarfilm „Sonita“ begleitete die iranische Regisseurin eine junge afghanische Frau, die im Iran als Flüchtling lebt und zwangsverheiratet werden sollte dabei, wie sie Aktivistin und Rapperin wird. Sie gewann zahlreiche Preise, unter anderem 2016 in Sundance. Trotzdem sei die Erinnerung sehr bitter.  „Dieser Film hat mir das Herz gebrochen.“ Denn er sei vom Westen vereinnahmt worden, als Sinnbild davon, wie verroht die Sitten „dort drüben“ seien. Und damit auch als Rechtfertigung für den Krieg in Afghanistan.

Die iranische Regisseurin Rokhsareh Ghaem Magham.
Die iranische Regisseurin Rokhsareh Ghaem Magham.

© Privat

„Ich war besessen davon, das wahre Afghanistan zu zeigen“, sagt Shahrbanoo Sadat. Ihren Film „Kabul Kinderheim“, der während der sowjetischen Besatzung Afghanistans in den 80er Jahren spielt, drehte sie trotzdem in Tadschikistan. Vor Ort hätte sie wegen des Sicherheitsrisikos nur mit einer kleinen Crew drehen können. Wichtig sei nicht die Location, sondern wer hinter der Kamera steht, sagt sie. „Ob diese Person Afghanistan kennt, welche Geschichte sie erzählen will.“ Dabei muss es nicht um Krieg und Zerstörung gehen. Sie selbst arbeite gerade an einer romantischen Komödie.

Ein herzliches Willkommen ist wichtig

Sadat ist die einzige der drei Panel-Teilnehmerinnen, die in Afghanistan lebte, in ständiger Angst, wie sie erzählt. Trotzdem kaufte sie sich eine Wohnung in Kabul. „Ich wollte Afghanistan vertrauen.“ Dann, im August 2021, übernahmen die Taliban die Macht, Sadat wurde gemeinsam mit zehntausenden Anderen evakuiert, lebt jetzt in Hamburg. Seitdem werde sie jeden Tag gefragt, ob sie über ihre Evakuierung nicht einen Film machen wollen würde. „Aber ich bin noch mittendrin in dieser Erfahrung“, sagt sie.

Nicht nur Geld für Projekte afghanischer Filmemacher:innen und die Freiheit, ihre eigenen Geschichten jenseits von Klischees erzählen zu können, auch Teilhabe an den Film-Communities in Europa und den USA sei wichtig.  In Hamburg sei sie herzlich aufgenommen worden, erzählt Shahrbanoo Sadat. Bei einem Abendessen bekam sie eine Liste mit den Telefonnummern aller Anwesenden aus der Filmbranche vor Ort. Sie war zunächst überfordert. „Irgendwann habe ich angefangen, anzurufen.“ Sie wünscht sich, dass die vielen afghanische Filmemacher:innen, die jetzt im Exil leben, Ähnliches erleben. „Es gibt ein großes Potential für afghanisches Kino“, sagt sie. Wenn man die Künstler:innen ihre eigenen Geschichten erzählen lässt.

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