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K.H. Hödickes roter „Schaukelreiter“ im Palais Populaire.

© Palais Populaire

Palais Populaire: Große Schau des Berliner Malers K. H. Hödicke

Die prächtige Retrospektive erinnert an das West-Berlin der 70er und 80er Jahre. Mit Zeitfensterticket kann sie jetzt besucht werden.

Das Blau schaukelt sich auf zu einer kleinen Welle, es zerfließt zu einem See mit Schiffchen darauf oder aber es ordnet sich zu fünf parallelen Balken. Malerei beginnt bei K. H. Hödicke mit der Farbe.

Das kann das Englisch Rot sein, das seinem Linoleumboden im Atelier gleicht oder das Nachtblau, wenn Berlin erwacht.

„Man muss wissen, dass Berlin fast nur in der Nacht lebte“, wird der Künstler im Treppenhaus des Palais Populaire zitiert. Die prächtige Retrospektive war im letzten Jahr kurz nach ihrer Eröffnung schon wieder geschlossen. Jetzt ist sie mit kostenlosen Zeitfenster-Tickets noch bis Ostermontag zu sehen.

Die Schau erinnert an das West-Berlin der 70er und 80er Jahre. Die Brache rund um das Atelier an der Dessauer Straße nannte der Künstler seine Wüste Gobi. Die Bilder lassen Kurfürstendamm und Wilmersdorfer Straße mit ihrem bescheidenen Glanz wieder aufleben. Bei Dunkelheit streifte der Maler an den Schaufenstern vorbei und beobachtete, wie sich in den Scheiben Farben und Lichter der Stadt spiegelten.

Das Berlin in Hödickes Gemälden gibt es nicht mehr

Da blinkt die Werbung für belgische Leonidas Pralinen auf dunklem Grün. Manchmal sind in der Leuchtreklame einzelne, charakteristische Buchstaben zu erkennen. Das „e“ und das „i“ in der Schreibschrift von Leiser wird verdeckt von rosa, weißen und grünen Streifen.

Eine Schaufensterpuppe im Nerz löst sich im Widerschein der nächtlichen Lichter auf. Und immer wieder der Schriftzug von Bally, einer der wenigen Luxusläden damals. „Das Berlin, das ich gemalt habe, gibt es nicht mehr. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich etwas male, das morgen nicht mehr existiert“, konstatiert K. H. Hödicke.

Blick in die Ausstellung von K.H. Hödicke im Palais Populaire.
Blick in die Ausstellung von K.H. Hödicke im Palais Populaire.

© Palais Populaire

Angesichts dieser üppigen Abfolge vielschichtiger Spiegelungen und vergnüglicher Reflexionen verwundert es, dass sich die Ausstellung K.H. Hödickes Kunst ganz aus dem Antagonismus der deutschen Nachkriegszeit erklärt: hier Abstraktion – da figurative Malerei.

Seine informellen Anfänge sind in ein Kabinett ausgelagert. Die Deutung als Aufstand gegen das Diktat der Abstraktion klingt rebellisch. Eigentlich entwickelt sich diese Malerei organisch aus der Farbe.

Rebellion gegen den Trend zur Abstraktion

Karl Horst Hödicke, Jahrgang 1938, wuchs in München auf, war dort fasziniert von der Künstlergruppe Blauer Reiter. Jetzt hat er seinen roten „Schaukelreiter“, der noch in Berlin hängt, der Gabriele Münter und Johannes Eichner Stiftung im Münchner Lenbachhaus geschenkt.

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Nach Berlin kam Hödicke 1957. Ein Augenöffner war für ihn hier 1958 die Ausstellung „Die neue amerikanische Malerei“. An der Hochschule für Bildende Künste studierte er bei Fred Thieler.

Als die Mauer noch stand. Gouache von K. H. Hödicke aus dem Jahr 1985.
Als die Mauer noch stand. Gouache von K. H. Hödicke aus dem Jahr 1985.

© Palais Populaire

Im schmalen Hochformat „Aktion IV (Informell)“ von 1960/61 setzt er sich respektvoll mit seinem Lehrer auseinander. Das Bild zeigt aber auch seine Kraft zu dramatisieren, sein Geschick, eine Balance der Farben zu halten, seine Freude an dynamischen Bewegungen.

Selbstorganisierte Ausstellungen in „Großgörschen 35“

Gemeinsam mit Markus Lüpertz und Lambert Maria Wintersberger gründete Hödicke die Produzentengalerie Großgörschen 35. Zehn Künstler teilten sich die Kosten für einen Raum und organisierten ihre Ausstellungen selbst. Jeden ersten Freitag im Monat fand eine Eröffnung statt. Nur verkauft wurde wenig.

Hödicke verdiente seinen Lebensunterhalt anfangs bei der Post. 1966/67 zog er mit seiner damaligen Frau, der Malerin Christa Dichgans, nach New York. Später unterrichtete er bis 2005 als Professor an der Berliner UdK. Weil zu seinen Schülern Rainer Fetting, Salomé und Bernd Zimmer gehörten, haftet an ihm das Etikett „Vater der Jungen Wilden“.

Die Bezeichnung vernachlässigt den feinsinnigen Humor seiner Skizzen, den Spaß an Fundstücke. In dem Film „Hödicke-Gobi“ von Helmut Wietz, der in der Ausstellung läuft, kann man beobachten, wie der Künstler seinen „Europäischen Koffer“ öffnet, den er für seine Schau in New York 1976 in der Galerie von René Block gepackt hatte.

Große Spielfreude in Hödickes Arbeiten

Auf den Bauch eines Spielzeugflugzeugs applizierte er die Himmelsansicht eines Schöneberger Hinterhofs. Aus einem Mercedes-Stern bastelte er einen Korkenzieher. Aus Kinderknete formte er einen Engel mit drei Flügelpaaren.

In seiner Malerei, ob auf Leinwand oder auf Papier, verbindet der Künstler dann beides: das Körperhafte und die pure Farbe.

Seine Selbstbildnisse lösen sich in Rauch auf. Als dunkelblauer Bogenschütze erprobt er seine Treffsicherheit mit dem Pfeil, ehe er zum Pinsel greift. Die Konturen von Künstler und Staffelei überlagern sich als korrespondierende Kreuze. Ein Schornsteinfeger und ein Schneemann begegnen sich als weiße und als nachtblaue Fläche.

[Palais Populaire, Unter den Linden 5, bis 5. 4.; Mi–Mo 11–18 Uhr, nur mit kostenlosem Zeitfensterticket unter: www.db-palaispopulaire.de]

Manchmal verselbstständigen sich die Pointen und übertönen die Kunst wie bei dem Kreuz in einer Packung Toffifee. Manchmal ist der Deutungsraum zu eng wie bei dem Brandenburger Tor mit Schwarz Rot und Gold am Himmel darüber.

Aber mit diesen Eindeutigkeiten versöhnen die feinen Croquis, Skizzen auf vorgefundenem Pappkarton. Die hellen Buchstaben von „fragile“ – also zerbrechlich – verblassen im weißen Untergrund. Dabei gehört die Zerbrechlichkeit zur Wildheit dazu.

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