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Stellan Skarsgård in "Out Stealing Horses".

© 4 1/2 Film

„Out Stealing Horses“ im Berlinale-Wettbewerb: Verlorene Seelen in Norwegen

Hans Petter Moland hat Per Pettersons Roman „Pferde stehlen“ verfilmt, mit Stellan Skarsgård als als Einsiedler vom Fluss.

Ein Roman, der von der Landschaft Norwegens lebt, hat es nicht leicht. Er muss sie schließlich erst erschaffen, mit nichts als dem dürren Zeichensystem der Buchstaben. Ein Film, der von der Landschaft Norwegens lebt, hat es dagegen fast unverschämt leicht. Die Bilder begeben sich ganz von selbst in seine Kamera, und Breitwandformat haben sie von Natur aus. Das erweckt das Misstrauen. Ein Film aber, der von der Landschaft Norwegens lebt und auf einem ziemlich guten Roman basiert, der dieselbe sprachlich noch einmal schuf, was soll man zu dem sagen?

Hans Petter Moland hat Per Pettersons „Pferde stehlen“ verfilmt. Das Buch beginnt so: „Anfang November. Neun Uhr. Die Kohlmeisen knallen gegen die Fenster.“ Man wusste sofort: Der Autor kann es. Und eins, das ist auch klar, würde man diesem Film nie verzeihen: Kohlmeisen, die gegen die Fenster knallen. Oder den letzten Satz des ersten Absatzes zu zitieren: „Wind kommt auf. Ich sehe die Formen des Windes im Wasser.“ Und in der Tat, mit Wasser beginnt es. Aber unter Wasser, ein jähes Gurgeln, dann Auftauchen. Das Motiv ist völlig souverän und wird doch zum Schlüssel.

In der nächsten Einstellung steht ein älterer Mann vorm Haus, und man sieht dem Schnee an, dass er der erste ist in diesem Jahr. Keine Kohlmeisen knallen gegen die Fenster. Sehr gut. Der Mann vor dem Haus ist Trond Sander, ein Stadtflüchtling. Er ist 67 Jahre alt, also in einem Alter, da man kein neues Leben mehr beginnt, und doch oftmals das Gefühl hat, es eben jetzt tun zu müssen.

Auf umwerfend nichtprägnante Weise prägnant

Ja, wenn unsere Seelen so altern würden wie wir, gäbe es gar kein Problem. Einträchtig würden beide auf den Tod warten. Aber gerontologisch betrachtet handelt es sich bei diesem Nichtorgan um eine höchst extravagante, immer aus der Zeit fallende Existenzform. Trond Sanders Seele zum Beispiel wurde formatiert, als er 15 war, in ungefähr so einem Haus, in ungefähr dieser Landschaft, allein mit seinem Vater. Das war 1948. Aus diesem Sommer stammen alle Amplituden seiner Seele, das Leben erwies sie als unfähig, sie je wieder einzuholen. Noch in der Umarmung einer Frau wünschte er, wieder allein zu sein in der Stille von damals. Was für eine Vorlage!

Stellan Skarsgård ist dieser Einsiedler vom Fluss. Skarsgård, in Hollywood wie im skandinavischen Autorenfilm gleichermaßen zu Hause, hat eins jener Gesichter, die auf umwerfend nichtprägnante Weise prägnant sind. Niemand würde sagen: Diesen Trond Sander habe ich mir aber ganz anders vorgestellt. Ab jetzt also: Rückkehr der Seele in sich selbst! Doch dann erkennt er schon in den ersten Tagen in seinem einzigen Nachbarn einen Jungen aus dem Amplitudensommer vor mehr als einem halben Jahrhundert.

Wie der Roman beginnt nun auch Hans Petter Moland sich mehr in der Vergangenheit aufzuhalten, und spätestens jetzt wird klar, dass sich der Film nicht auf Augenhöhe des Buches halten kann. Er kann nicht wie der Roman von innen und außen zugleich sehen, die Bilder wirken zunehmend konventionell, und zumeist sind es Bilder des Glücks, umso schlimmer: Da ist die irritierende Nähe seines Vaters zur Mutter eines Freundes, die der 15-Jährige wohl bemerkt. Aber er hat diesen Vater einen Sommer lang ganz für sich, nur das zählt.

„Es ist ein Buch über Enttäuschung, das sich liest wie ein Buch über Glück“, hat ein Kritiker über per Pettersons Roman gesagt. Zwar sind die Schicksalsfäden auch bei Moland fein gespannt: Verrat wird viel mehr sein als bloßer Verrat, und Jon Ranes als junger Trond ist eindrucksvoll, aber die Balance gelingt nicht, die Landschaft beginnt nicht, mit eigener Stimme zu sprechen. Hat man da gar etwas wie Langeweile gespürt und darüber nachgedacht, wie sich der Uhu mit seinen vorsätzlichen Eule-der-Minerva- Augen vom Baum holen lässt?

10.2., 10.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele), 12.15 Uhr & 21 Uhr, 17.2., 23.30 Uhr (Friedrichstadtpalast)

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