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Dix

© Kunstmuseum Stuttgart

Otto Dix: Der Familienmensch

Otto Dix als Porträtist zeigt eine Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart. Das Versäumnis, sich allein den Bildnissen zu widmen, wird damit bereinigt.

Die Wertschätzung der Porträtkunst durchlief in der Geschichte Höhen und Tiefen. Nach dem Ersten Weltkrieg schien sie als Gefälligkeitsleistung für Adel und Geldleute endgültig diskreditiert. Es galt, eine neue Sicht auf die Wirklichkeit, vor allem auf die politische Wirklichkeit, zu wagen. Doch Expressionismus, Verismus und Neue Sachlichkeit übten sich gleichermaßen in der Bildnismalerei, die so eine Spätblüte erlebte.

„Trau deinen Augen“, lautete das Motto von Otto Dix (1891–1969). Der unerbittliche Gesellschaftsdokumentarist der Weimarer Republik malte Huren und Krüppel, Jazzmusiker und den Schrecken der Schützengräben. Und er schuf Porträts, seiner selbst, der Familie, von Freunden, Bekannten und Auftraggebern. Manche dieser Bildnisse sind zu Ikonen der Weimarer Epoche geworden, wie das grellrote „Bildnis der Tänzerin Anita Berber“ von 1925. Sie sind in den kollektiven Bildervorrat eingesunken, ja formen geradezu unsere Vorstellung von den roaring twenties.

Umso merkwürdiger, dass bislang keine Ausstellung allein den Bildnissen gewidmet war. „Getroffen. Otto Dix und die Kunst des Porträts“ bereinigt das Versäumnis jetzt im Kunstmuseum Stuttgart. Durch den beharrlichen Sammlerehrgeiz seiner Direktoren ist das Stuttgarter Haus zur Dix-Heimstatt geworden. Auch wenn der Künstler biografisch nach Dresden gehört, wo er nach der Kunstgewerbeschule die Akademie besuchte, an der er von 1927 bis zum Rauswurf durch die Nazis Professor war. Dazu kommen Düsseldorf zwischen 1921 und 1925 als Mitglied der Avantgardegruppe „Das junge Rheinland“ und Berlin, wo er zwischen 1925 und seiner Berufung nach Dresden die Essenz der Großstadt in sich einsog, der er in seinen Bildern gültigen Ausdruck verlieh.

Nun also Stuttgart. Im Süden des Ländles, am Bodensee, verbrachte Dix den größeren Teil seines Lebens, von 1936 bis zum Tod, als im Westen Deutschlands halb vergessener Veteran der Zwanziger. Im Osten, in der DDR, wurde er als Vorläufer des Sozialistischen Realismus eingemeindet, ohne dass die aller Ideologie fremde Auffassung des Künstlers verstanden oder gar gebilligt worden wäre.

Die Stuttgarter Ausstellung – das ist ihr besonderes Verdienst – bemüht sich darum, Dix’ Porträtkunst in ihrer Gänze vorzustellen. Dementsprechend ist der Aufbau nicht so sehr chronologisch – was bei Dix unausweichlich zur Abwertung des Spätwerkes führt –, sondern eher thematisch nach den wichtigsten Feldern der Porträtmalerei. Gleichwohl schleicht sich die Chronologie ein, denn die reichste und reifste Produktion des Künstlers liegt nun einmal in der kurzen Zeitspanne zwischen den expressionistischen Versuchen im Kriege, als sich Dix 1914 als Soldat mit kahlem Schädel darstellt wie einen Strafgefangenen auf der Flucht, und der altmeisterlich geschulten Feinmalerei der späten Zwanziger, als Dix seine Bildnisse zugleich als Darstellungen des Berufsstandes und der gesellschaftlichen Verhältnisse auslegt, wie in dem aus der Berlinischen Galerie entliehenen, großartigen Porträt des „elenden Dichters“ Iwar von Lücken. Und dann die beiden berühmten Bildnisse der Eltern, 1921 über Eck als abgearbeitete Proletarier – die sie, er Eisenformer, sie Näherin, ja auch waren –, 1924 frontal und altersmilde, als ob die Stabilisierung der Republik auch ihr Los gebessert hätte.

Aber diesen gesellschaftsanalytischen Blick will die Ausstellung nicht wiederholen. Stattdessen weisen Vergleichsbilder, zurückreichend bis in die Spätantike, vor allem aber aus der Altdeutschen Malerei, auf die kunstgeschichtlichen Verbindungen. Dix bezeichnete sich im Alter gern als „konservativ – aber wie!“. Malerei um der Malerei willen hat ihn nie interessiert, er wollte „unserer Gegenwart ganz nahekommen, erschlagend zeitnah“ sein. Dass ihm am Bodensee diese Zeitnähe im Sinne des kritischen Blicks entglitt, dass er – wie im „Bildnis des Dichters Max Frisch“ von 1967 – nur mehr gefällig malte wie für die Galerie im Kanzleramt: Auch das verschweigt die Ausstellung nicht. Und sie zeigt, dass die Gesellschaftsanalyse schon in den Zwanzigern in der Fotografie angekommen war, etwa in den Aufnahmen des großartigen August Sander.

Und noch eine Entdeckung: Otto Dix war ein Familienmensch. Seine Frau und vor allem seine Kinder hat er immer wieder gemalt, 1930 sich selbst mit Sohn Jan wie Christophorus mit dem Jesusknaben, kurz vor seinem Tode 1969 großväterlich behütend die Enkelin Marcella. Die schönste Gegenüberstellung der von dem jungen Kurator Daniel Spanke erarbeiteten Ausstellung ist die von Lucas Cranachs „Nacktem Knäblein“ von 1526 mit Dix’ „Neugeborenem Kind auf Händen“, dem Sohn Ursus von 1927. Ein Gruß, eine Empfindung über vier Jahrhunderte hinweg – das ist es wohl, was Dix voller Stolz mit „konservativ“ meinte.

Stuttgart, Kunstmuseum, bis 6. April. Umfassender Katalog (416 Seiten) bei DuMont, 34 €, im Buchhandel 39,90 €.

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