zum Hauptinhalt
Allein mit der Angst. Alex Honnold beim Versuch die Felsformation „El Capitan“ in Kalifornien zu bezwingen.

© National Geographic/Jimmy Chin

Oscar-gekrönte Doku „Free Solo“: Leben und klettern lassen

Alex Honnold erklimmt Felsen ohne Sicherung. „Free Solo“ nennt man das. Die gleichnamige Oscar-prämierte Doku porträtiert den Extremsportler.

Was genau ein Free Solo ist? Im gleichnamigen Dokumentarfilm wird die Kletterdisziplin so erklärt: „Es ist, als ob man an einem olympischen Rennen teilnimmt, und entweder holt man die Goldmedaille – oder man stirbt.“ Das Ende des Zitats ist durchaus wörtlich zu nehmen. Ein falscher Griff, eine Bewegung mit dem Fuß, die nicht ganz sitzt, schon fällt man Hunderte Meter in die Tiefe. Der Wagemutigste unter den Wagemutigen ist Alex Honnold, ein professioneller Extremkletterer und Spezialist für Free Solos. Der 33-Jährige erklimmt die steilsten Felswände, wie andere vor ihm – allerdings ohne jede Sicherung.

„Free Solo“, im Februar mit dem Oscar für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet, begleitet Honnold bei den Vorbereitungen für sein verrücktestes Projekt. Der Amerikaner, drahtig und eher unauffällig, will die Felsformation El Capitan, kurz „El Cap“, im kalifornischen Yosemite-Nationalpark besteigen. Auf einer rund einen Kilometer langen Route, die vor ihm noch niemand free solo geklettert ist. Drei Stunden würde er ungefähr dafür brauchen, drei Stunden, in denen er sich nur kraft seines Körpers an der Wand hält. Unter ihm der gähnende Abgrund und kein Seil, das ihn auffangen könnte. Acht Jahre trägt Honnold die Idee mit sich herum, bevor er sich an den Aufstieg wagt. Falls es klappt, wäre das für den Klettersport ein Quantensprung, heißt es im Film.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Doch bevor es so weit ist, nähert sich „Free Solo“ dem Menschen Alex Honnold aus verschiedenen Blickwinkeln. Das Regie-Ehepaar Elizabeth Chai Vaserhelyi und Jimmy Chin erzählt von der Jugend des Kletterers, seinem Privatleben, dem Engagement der von ihm gegründeten Stiftung, die schon mal hundert Solarsysteme in Angola installiert. Außergewöhnlich wird es erst, wenn sich das Drehteam mit ihm ans Training macht. Chin ist selbst Kletterer. Er hat eine Crew Gleichgesinnter gefunden, die dem Extremsportler auf die Felswand folgen und ihn bei den Probeaufstiegen filmen – alle hübsch angeleint, selbst Honnold zu diesem Zeitpunkt noch. Etliche Kameras sind im Einsatz. Mal sind sie weit weg und rücken die Verhältnisse zurecht: Ameise Mensch versus gigantischer Fels. Dann umschwirren sie ihn auf einer Drohne und wagen sich ganz nah heran.

Man bekommt einen Eindruck von den winzig kleinen Unebenheiten im Gestein, an denen sich Honnold festklammert. An denen sein Leben hängt. Warum nur tut Honnold das? Darauf gibt seine Mutter eine Antwort: weil er sich dabei am lebendigsten fühlt. Doch auch damit gibt sich der Film nicht zufrieden. Er bohrt weiter. Das Wort „Liebe“ sei zu Hause nie gefallen, erzählt er einmal, auch Umarmungen gab es nicht. Gleichzeitig stellte seine Mutter hohe Ansprüche an ihn. Mittlerweile ist er es selbst, der sich unter Druck setzt. Im Leben gehe es ihm nicht darum, Glück zu finden, sagt er. Ihm gehe es immer um performance, um Leistung.

Ein Film nah beim Menschen

Der Sportler sieht sich im Film nicht nur der Herausforderung des Felsmassivs gegenüber, sondern auch einer zweiten, für ihn deutlich extremeren: Nach neun Jahren, die er im Van gelebt hat, versucht Honnold häuslich zu werden. Nicht aus eigenem Antrieb heraus, sondern seiner Freundin zuliebe. Die schafft es, eine halbwegs stabile Beziehung mit dem in der zwischenmenschlichen Kommunikation wenig begabten Eigenbrötler zu führen. Selbst wenn er sie für die häufigen Unfälle während der El-Cap-Vorbereitungen verantwortlich macht. Doch es könnte auch die Anwesenheit des Filmteams sein, die Honnold aus dem Rhythmus bringt. Im ersten Anlauf muss er das Free Solo abbrechen. „Beinahe beruhigend“, kommentiert Regisseur Chin, „Mr. Spock hat also doch Nerven.“

Die Entscheidung, den Dreh zum Teil des Films werden zu lassen, ist absolut zwingend. Die Crew muss sich fragen: Wird ihre Anwesenheit dazu führen, dass Honnold Fehler macht? Oder, wie der Kletterer sagt: „Alleine abzustürzen ist okay, aber vor deinen Freunden? Das ist übel.“ Drehteam und Freundin bibbern und bangen, während Honnold über dem Abgrund hängt. Der Film bleibt nah bei den Menschen und verliert sich nicht in spektakulären Kletter- und Naturaufnahmen.

Beim zweiten Anlauf will Honnold niemanden mehr um sich haben, er schickt seine Freundin nach Hause und zwingt die Crew, auf automatische Kameras umzusteigen. Er will sie nicht sehen, wenn er im Morgengrauen am Fuß der Felswand steht.

So bleiben nur er und El Cap, als sich Honnold aufmacht, die Goldmedaille zu holen – oder zu sterben.

In 23 Berliner Kinos; OmU: Cineplex Alhambra, Cineplex Neukölln Arcaden, Cineplex Spandau, Delphi Lux, Il Kino, Kino in der Kulturbrauerei, Sputnik, Xenon; OV: Cinestar Sony Center, Rollberg

Zur Startseite