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Cameron Carpenter hat eine transportable Konzertorgel erfunden. Er ist derzeit Artist in Residence im Berliner Konzerthaus.

© Marco Borggreve

Orgelbau als Weltkulturerbe: Krönung der Königin

Halleluja: Orgelbau und Orgelmusik sind in die Unesco-Weltkulturerbeliste aufgenommen worden.

Was die Orgel alles sein kann, erzählt der vielseitige Künstler und Schauspieler Hanns Zischler in dem von Elke Heidenreich herausgegebenen Sammelband „Ein Traum von Musik“: Folterinstrument nämlich, aber eben auch eine Himmelsmacht, das Sprachrohr Gottes. Grauenhaft, erinnert sich Zischler, war es, wie der Kantor in der Dorfkirche das Instrument traktierte. „Mit seinen genagelten Schuhen stapfte er über die Fußpedale, vergriff sich in den Manualen. Er hörte schlecht und achtet nicht auf die schleppenden Tempi der Gemeinde, so dass der Gesang häufig mit einem unfreiwilligen a cappella endete, weil Herr Fischer mit dem Choral schon durch war." Später aber erlebte Hanns Zischler auch, wie die Orgel den Zuhörer berauschen, ja zu Abheben bringen kann. Als er zufällig in Paris in die Kathedrale Notre Dame kommt, als sich dort gerade „im dunklen Raum Bachs Chromatische Fantasie und Fuge wie ein Gewitter ausbreitete“.

Im südkoreanischen Jeju hat die Weltkulturorganisation Unesco jetzt beschlossen, den Orgelbau und die Orgelmusik in die Liste des „Immaterielles Kulturerbes der Menschheit“ aufzunehmen. Der Vorschlag dazu kam aus Deutschland, denn mit rund 50 000 Instrumenten gibt es hierzulande die höchste Orgeldichte weltweit. Rund 400 Orgelbaubetriebe beschäftigen 2800 Mitarbeiter, es gibt 3500 hauptamtliche Organisten – und Zehntausende, die in den Kirchen ehrenamtlich für die Musik sorgen.

Bereits im 3. vorchristlichen Jahrhundert erfand der Grieche Kteseibos die Urahnin der heutigen Orgel. Aber auch aus Asien ist mit der Mundorgel ein Vorläufer bekannt. Bei den antiken Olympischen Spielen war das Orgelspiel eine eigene Disziplin, im alten Rom erklang die Orgel in den Arenen als Zeichen kaiserlicher Macht. Ab dem achten Jahrhundert etablierte sich das Instrument dann in der christlichen Kirche, nachdem der Frankenkönig Pippin der Kurze vom byzantinischen Kaiser eine Orgel geschenkt bekommen hatte.

Berühmte Orgelbauer stammen auch aus der Berliner Region

In Aachen, Straßburg und Freising standen die ersten Kirchenorgeln, im 10. Jahrhundert zogen Rom, Köln, Canterbury und Winchester nach. Seine größte Blüte erlebte der Orgelbau in der Renaissance und im Barock. Zu den großen Meistern der Zunft gehört der vor allem in Nordeuropa tätige Schnitger, berühmt war im 18. Jahrhundert der auf Sachsen spezialisierte Gottfried Silbermann, im 19. Jahrhundert dann Friedrich Ladegast sowie in Frankreich die Firma Cavaillé-Coll. In Berlin ist die 1894 gegründete Firma Schuke ansässig, in Frankfurt/Oder die seit 1856 bestehende Firma Sauer.

Wer wissen, will, wie es im Innern der Instrumentenkönigin aussieht, wird mit jeder Menge kurios-altmodischen Begriffen konfrontiert: Von Labial- und Lingualpfeifen ist da die Rede, von Windladen und Kanzellen, von Haupt-, Schwell- und Brustwerk, Äolodikon, Bordun, Clairon. Echokornett und Vox Angelica.

Orgeln können spielend ein ganzes Orchester ersetzen. Und funktionierten doch völlig anders. Weil hier nur einer entscheidet. Während es der Job des Dirigenten ist, ein Kollektiv hochspezialisierter Fachleute zum gemeinsamen Atmen im Geist der Musik zu bringen, bleibt der Organist selbst im größten Fortissimo-Brausen seiner Pfeifen stets ein einsamer Solist. Und eigenverantwortlicher Schöpfer des Zusammenklangs.

Die Grünen-Politikerin und studierte Theologin Antje Vollmer hat es mal so formuliert: „Der Klang lässt uns gelegentlich glauben, Kirchen seien um ihre Orgeln herum gebaut worden: nach oben hin kaum Grenzen, links und rechts möglichst viel Farbe. Kein anderes Instrument bietet soviel Kosmos.“

Eine Orgel mit einer irren Zahl an Klangkombinationen

Ein ganz neues Kapitel in Sachen Orgelbau hat 2014 Cameron Carpenter aufgeschlagen. Der Virtuose war es leid, sich bei jedem Aufritt auf ein anderes Instrument mit all seinen Macken und Besonderheiten einstellen zu müssen. Als hat er eine touring organ entwickelt, die ihn nun auf seinen Konzertreisen begleitet.

Die unbegrenzten Möglichkeiten des digitalen Hightechgeräts führt er derzeit am Berliner Gendarmenmarkt als „Artist in Residence“ des Konzerthauses vor. Die gigantische Orgel des Berliner Doms hat 113 Register, Carpenters Instrument kommt auf 186 Register, was bedeutet, dass die Summe aller möglichen Klangkombinationen 190 Nullen hat.

Die Gefühle, die von den Orgeltönen ausgelöst werden, seien sie nun mechanisch oder elektronisch erzeugt, beschreibt der 1981 geborene Amerikaner so: „In gewisser Weise bildet die Orgel die Erfahrung eines Menschen nach, der sich beim Blick in den Sternenhimmel nicht klein vorkommt, sondern eine tiefe Verbundenheit erlebt.“

Infos zu Orgelmusik in der Region unter: www.kultur-in-kirchen.info; zu Cameron Carpenter unter: www.konzerthaus.de

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