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Katharsistauglich. Sarah Franke haut ihren Regisseur in die Pfanne.

© Vincenzo Laera

„Orestie“ an der Volksbühne: Ein bisschen Splatter hat noch keiner Ehe geschadet

Die „Orestie“-Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson widmet sich den Psychospielchen der Liebe. Die Theatermaschine darf permanent ihre Muskeln zeigen.

Man kann den Tantaliden ja einiges vorwerfen. Abgesehen davon, dass sich die Mitglieder dieser antiken Sippe einander über Generationen hinweg brutal hinmeucheln, geht es dabei auch noch besonders perfide zu.

Man denke etwa an Atreus, der seinem ahnungslosen Bruder in einem Racheakt dessen getötete Kinder als Festmahl vorsetzt. Atreus’ Sohn Agamemnon wiederum opfert für eine erfolgreiche Militäroperation seine eigene Tochter, Iphigenie, und wird dafür von seiner Frau Klytämnestra im heimischen Badezimmer ermordet.

Schön ist’s also nicht beim besagten Tantalidengeschlecht, aktionsreich aber durchaus – was sich auch von Thorleifur Örn Arnarssons „Orestie“-Inszenierung „nach Aischylos“ in der Berliner Volksbühne sagen lässt.

Sie beginnt stilecht in einer Nasszelle mit angrenzendem Bobo-Wohnzimmer. Allerdings sind es nicht Agamemnon und Klytämnestra, die sich hinter der stylishen Hygge-Fassade auf die Nerven gehen, sondern George und Martha aus Edward Albees Ehehöllenklassiker „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“.

Wie die Tantaliden in ihrem göttlichen Meuchelfluch sind die Eheleute aus dem dramatischen 20. Jahrhundert in ihren Psychospielchen gefangen.

Abendfüllende Farbschlachten

Wenn der George-Darsteller Sebastian Grünewald für die innerehelichen Handgreiflichkeiten pandemievorschriftsgemäß Plastikhandschuhe und einen Mund-Nasen-Schutz anlegt, wirkt das zwar wie eine besonders bizarre Variation des täglichen Beziehungsduells.

Ob es den „Orestie“-Abend konzeptionell auch erhellt, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Natürlich kann man – Stichwort: toxisches Patriarchat, das geht immer – Albee mit Aischylos engführen. Die Frage allerdings, wozu man es unbedingt muss, bleibt über den 135-minütigen Abend hinweg eine treue Begleiterin.

[Wieder am 24. und 25. Oktober sowie am 11. und 12. November]

Nachdem Grünewald seine Kollegin Sólveig Arnarsdóttir alias Martha coronaregelkonform kunstblutrot eingefärbt hat, fährt der schicke Wohnungsflachbau mit Bad und guter Stube hinab gen Unterbühne, und los geht’s vor einem imposanten hölzernen Amphitheater-Verschnitt (Bühne: Ann-Christine Müller) mit der antiken Geschichte.

Wobei uns George und Martha nebenbei als Ehesplattermovie erhalten bleiben: Auf Monitoren sieht man sie sich abendfüllend weiter in Farbschlachten bekriegen.

Katharsis ist auch nicht mehr, was sie mal war

Auf der „Orestie“-Ebene gibt es viel Drehbühnenbetrieb mit Musikeinlagen. Es ist schwerer Aktionismus im Gange, die Theatermaschinerie zeigt permanent die Muskeln. Die Schauspielerin Sarah Franke erzählt neben dem Plot launig von den Probenschwierigkeiten unter Corona-Bedingungen und stellt sinngemäß fest, dass die Katharsis auch nicht mehr das ist, was sie (angeblich) mal war.

Die schwangere Sylvana Seddig hält nackt einen Iphigenien-Monolog und spielt im Abgang von der Bühne Wehen vor, um schließlich ein Hühnerei zu „gebären“. Branchenselbstreferenzielle Aktionen, die merkwürdig überholt wirken, wenn man über den aktuellen Debattenstand in puncto theatraler Repräsentation nachdenkt, zumal am Rosa-Luxemburg-Platz.

Am Schluss wird Albees George zum Muttermörder Orest – und freigesprochen, die große Leistung der „Orestie“: dass der Kreislauf von Rache und archaischer Selbstjustiz durchbrochen und von Athene ein Strafgericht eingesetzt wird.

Wohl zum Zeichen dafür, dass Zweifel angebracht sind, ob das zivilisatorische Moment auch in jeder Situation bei jeder Bürgerin angekommen ist, läuft noch ein Donald-Trump-Lookalike über die Bühne. Man darf gespannt sein, ob es demnächst zwingender wird mit der Antike in der Volksbühne, denn die stellt hier ein ganzes Spielzeitthema.

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