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Die amerikanische Mezzosopranistin Susan Graham, hier bei einem Auftritt in Moskau 2012.

© Imago

Orchester der Deutschen Oper: Mit dem Mut der Verzweiflung

Beethoven und Operndramatik von Berlioz: Donald Runnicles und das Orchester der Deutschen Oper gastieren auf dem Musikfest Berlin.

Ein ganz schön morbides Programm hat das Orchester der Deutschen Oper da zusammengestellt. Gleich drei Mal reißt der Lebensfaden bei diesem Musikfest-Konzert. In Beethovens Coriolan-Ouvertüre mit (leider verruckelten) Pizzicato-Schwerthieben, bei Berlioz' Kantate „La Mort de Cléopâtre“ mit erst pochendem, dann Schlangen-vergiftetem Herzschlag - und bei der ergreifenden Abschiedsarie der Dido aus Berlioz' Grand Opéra „Die Trojaner“. Eine übermäßige Quint, die sich förmlich in Luft auflöst: Susan Graham moduliert diesen letzten Tonschritt mit derart hauchfein schwingendem, schließlich ersterbendem Vibrato, dass einem selber der Atem stockt.

Überhaupt rettet ihr klarer, kräftiger, aber nuancenreich schillernder Mezzosopran den Abend. Unter Donald Runnicles Leitung lässt das Orchester die Berliozschen Klangdüfte ansonsten weitgehend vermissen und kehrt stattdessen das plakativ Tonmalerische hervor. Erst ein viriler Beethoven, dann ein drastisch-dramatischer Berlioz: Mitunter ist es schlicht zu laut in der Philharmonie.

Wobei die Idee, Blechbläser und Pauke bei der „Troyens“-Jagdmusik im Saal zu verteilen und die Hörner aus der Höhe von Scharouns Weinbergterrassen in die Niederungen des Parketts hineinrufen zu lassen, dem Publikum ein fabelhaftes Raumklangerlebnis beschert. Es ist dann aber doch Susan Grahams Auftritt, der einmal mehr verrät, dass Musik und insbesondere Gesang etwas mit Unsagbarkeit zu tun haben, mit dem Mut der Verzweiflung angesichts des Todes.

Bezwungen, aber nicht unterworfen

Grahams Kleopatra in der sich kühne kompositorische Freiheiten nehmenden lyrischen Kantate (die der 26-jährige Berlioz vergeblich für den Prix de Rome einreichte) legt die Autorität einer zwar bezwungenen, sich aber nicht unterwerfenden Frau an den Tag – #MeToo-Aufschrei einer ägyptischen Königin. Später, bei den Auszügen aus Berlioz’ monumentaler Vergil-Oper, strahlt sie eine himmlische Ruhe aus, im Zwiegesang mit Klaus Florian Vogt als Aeneas. Im „Nuit d’ivresse“-Duett sorgen Terzen- und Sexten-Innigkeit über sanften Wellenbewegungen der Streicher für betörend erotische Stille im Auge der Ekstase.

Auch wenn Vogt in seiner Solo-Arie einen recht unwilligen Feldherrn verkörpert und den Notentext eher buchstabiert als interpretiert, man wünschte sich das Extremwerk der "Trojaner" mal wieder im Spielplan, schon wegen der Seelenglut. Es muss ja nicht immer Wagner sein. Die Deutsche Oper hatte den Kraftakt 2010 gestemmt – mit Runnicles am Pult.

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