zum Hauptinhalt
Muh. Untersicht der A 40 – in den Ruhrauen am Duisburger Kreuz.

© Michael Tewes

Opulenter Bildband über die deutsche Autobahn: Tausend Farben Grau

Niemandsland am Straßenrand: Der Fotograf Michael Tewes zeigt in „Auto Land Scape“ Faszination und zerstörerische Schönheit der Autobahnen.

Die Lautstärke, das ewige Rauschen des Verkehrs – das scheint den Rindviechern egal zu sein. Hauptsache trocken. Die stoische Herde, die auf einer Aue am Duisburger Kreuz lagert, hat das gigantische Bauwerk über ihren Köpfen offensichtlich als Wetterschutz akzeptiert. Von den fetten Restaurationsklemmen, die neben den Betonpfeilern unter dem Bauwerk pappen, geht für sie keine Bedrohung aus.

Das geht dem Betrachter des Bildes aus Michael Tewes’ opulentem Bildband „Auto Land Scape“ anders, der bei den Stichworten Autobahn und Brücken inzwischen an den Sanierungsstau der einstigen deutschen Vorzeige-Infrastrukturen denkt.

Größtes zusammenhängendes Bauwerk Deutschlands

Die Auswahl aus den 800 Fotos, die bei Tewes sechsjähriger fotografischer Erkundung des Niemandslands an den Straßen entstanden sind, widmet sich der Autobahn als eigenständiger Architektur. Bis zum 31. Oktober ist „Auto Land Scape“ auch als Ausstellung im Deutschen Museum in München zu sehen.

Braust man im Auto auf der Bahn entlang, bekommt man durchaus eine Ahnung davon, dass sie das größte zusammenhängende Bauwerk Deutschlands ist. Auf knapp 13 200 Kilometern erstreckt sich das Netz.

Doch Zeit kostet das Überwinden von Entfernungen trotz hoher Geschwindigkeiten, der die deutsche Autobahn für Automaniacs immer noch zu einem Freiheitsversprechen macht. Gegen jede ökologische und ökonomische Vernunft. Die Wirkung der Straße in der Landschaft zu erfassen, ist niemandem möglich, der auf ihr fährt.

[Michael Tewes: Auto Land Scape. Texte von Thomas Zeller, Marietta Schwarz, Claudius Seidl, Hrsg. Nadine Barth, Hatje Cantz, Berlin 2022, 180 S., 120 Abb., 48 €]

Genau das leisten Tewes großformatige Fotografien, die den Bau von unten, von der Seite, von oben abbilden. Und sich auch den Details der Parallelwelt am Rand der Bahnen widmen, den Schallschutzwänden, Rastplatzmöbeln, Zapfsäulen, Baumaterialien, Parkhäusern, Notrufsäulen, Autobahnkirchen, Schildern.

Und fast poetischen Stillleben wie den dunklen Reifenabriebspuren auf einem Parkplatz, die Doppelkreise einer in Regenbogenfarben schillernden Öllache und den dekorativen Rissen eines verlorenen Seitenspiegels.

Untertunnelt. Der Plauensche Grund auf der A 17.
Untertunnelt. Der Plauensche Grund auf der A 17.

© Michael Tewes

Angesicht der majestätischen Betonbögen, die sich über grüne Wälder und hinter Fachwerkidyllen erheben, kommen einem durchaus Begriffe wie „Erhabenheit“ und „Eleganz“ in den Sinn. Die Faszination liege auch in der Dimension und der schieren Materialmenge, die verbaut wurde, sagt der Fotograf.

Unorte am versiegelten Transitraum

Doch eine ästhetische Überhöhung der Mobilitätswege ist nicht Tewes Absicht. Im Gegenteil: Die Fotos entlarven die landschaftsüberwölbende-, ja zerstörerische Wucht der Verkehrsschneisen. Sie zeigen auch die tristen Unorte, die am Rande des Äcker, Wälder und Wiesen versiegelnden Transitraums entstehen.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die Autobahnbau der Nachkriegszeit hat sich unter dem Druck steigender Durchschnittsgeschwindigkeiten und wachsenden Verkehrs stark vom Ideal der 20er und 30er Jahre entfernt, als Bauingenieure und Landschaftsarchitekten eine Versöhnung von Natur und Technik propagierten und Streckenplanung nach Naturschönheiten betrieben.

Tank und Rast. Parkplatzmobiliar an der A6 bei Silberbach.
Tank und Rast. Parkplatzmobiliar an der A6 bei Silberbach.

© Michael Tewes

Ein romantisierendes Motiv, dass den Nationalsozialisten zupasskam, die dem Bau der „Straßen des Führers“ mitsamt dem „Volkswagen“ größte Propaganda-Anstrengungen widmeten. Dass die ersten Autobahnen 1921 (die Avus als nichtöffentliche Renn- und Teststrecke) und 1932 (zwischen Köln und Bonn) eröffneten – und 1924 bereits eine exklusive Autostraße in Italien – ändert nichts an der Legende, dass die Nazis die Autobahnen erfunden haben.

Deren propagandistisches Bild des heimatverbundenen Autowanderns auf geschwungenen Betonbändern, die sich harmonisch in die Landschaft einfügen, haben Erhard Schütz und Eckhard Gruber 1996 in ihrem Buch „Mythos Reichsautobahn – Bau und Inszenierung der ‚Straßen des Führers‘ “ umfassend analysiert.

Das innige Verhältnis zur Straße

In „Auto Land Scape“ greift der einleitende Essay von Thomas Zeller diesen Mythos auf, der die Saat für das innige Verhältnis der Deutschen zur Autobahn gelegt hat. Einer Straße, die sich heute durch Schallschutzmauern, Leitplanken und sonstige Verbauungen weitgehend von der Landschaft abgrenzt.

Dass die Autobahn die Erwartungen der mobilen Gesellschaft an effizientes Fortkommen enttäuschen muss, liegt an den Blechschlangen, die im Stau bei null Kilometer pro Stunde den Sinn des Bauwerks ad absurdum führen. Der Verkehr dominiert seinerseits längst den ihm dienenden Bau.

Solche Wimmelbilder von Menschen und Autos überlässt Michael Tewes weitgehend den Nachrichten. Bei ihm wirken die Leere und die Grauschattierungen von Beton und Asphalt. Das Drama Autobahn, auf dem Menschen zu Unfallopfern werden, kommt nur als Innensicht eines leeren Trümmerfahrzeugs vor. Abrupter Stillstand kann auf Schnellstraßen tödlich sein.

Zur Startseite